Sebastian Kurz ist aktuell wohl der vielversprechendste Politiker Österreichs. Die Flüchtlingskrise stellt ihn und die Bundesregierung zwar vor große Herausforderungen. Macht er jedoch nicht zu viele Fehler, könnte er zum Kanzlerkandidaten der ÖVP werden.
Der Start seiner Politkarriere verlief etwas holprig. Zum ersten Mal nahm die Bevölkerung den Jungpolitiker
Mit einem schwarzen Hummer - dem "Geilomobil" - kurvte der damalige Chef der Jungen ÖVP (JVP) im Wahlkampf 2010 durch Wien. Nach diesem peinlichen Start ins Politikerdasein hatten viele die neue Hoffnung der ÖVP wohl schon abgeschrieben. Doch dann kam alles anders.
Kurz - Sohn einer AHS-Lehrerin und eines HTL-Ingenieurs - wuchs im Arbeiterbezirk Wien-Meidling auf, wo er noch heute lebt. 2004 machte er am Gymnasium seine Matura, anschließend absolvierte er seinen Dienst beim Bundesheer.
Der Jus-Student war bereits seit 2003 Mitglied der Jungen ÖVP. Von 2010 bis 2011 war er Abgeordneter zum Wiener Landtag, bevor er im Juni 2011 mit nur 24 Jahren Integrationsstaatssekretär im Innenministeriums wurde.
Hämische Kommentare und ein Image als "Milchbubi" begleiteten diesen Karrieresprung. Lob kam aber später sogar vom politischen Gegner, etwa von den Grünen, deren Integrationssprecherin Alev Korun Kurz´ Aktivitätslevel positiv hervorhob.
Die folgenden harschen Angriffe der FPÖ waren wohl mit als Zeichen zu werten, dass Kurz seinen Job als Integrationsexperte verstand. Er brachte Sachlichkeit in die mit Emotion geladene Ausländerdebatte.
Ganz ÖVP-typisch gab er das Motto "Integration durch Leistung" aus und sorgte dafür, dass gut integrierte Ausländer rascher zu ihrer österreichischen Staatsbürgerschaft kamen.
Jüngster Außenminister Österreichs
2013 wurde Kurz mit 27 Jahren zum jüngsten Außenminister der österreichischen Geschichte. Auch in dieser Funktion konnte er anfängliche Skeptiker rasch überzeugen.
Kurz entspricht teilweise dem Paradepolitiker. Er kleidet sich gut, kennt schon in jungem Alter die Etikette und weiß mit kritischen journalistischen Fragen umzugehen.
Trotz seiner 29 Jahre hat er schon jetzt mehr zu bieten als scheinbare Vollblutpolitiker, die um Jahrzehnte älter sind als er. Kurz legt eine Lockerheit an den Tag, die nicht gespielt wirkt wie bei Kanzler Werner Faymann oder dem ehemaligen Vizeminister Michael Spindelegger. Er ist eloquent, spricht in Interviews druckreif und trifft häufig Aussagen deren Ehrlichkeit erfrischend für das gesamte Feld der Politik wirken.
Kurz macht sich für Obergrenze stark
Sebastian Kurz steht in der Flüchtlingskrise voll hinter der von der Regierung beschlossenen Obergrenze. Es mag der Eindruck entstehen, die ÖVP habe die SPÖ in diesem Thema auf ihre Seite gebracht.
Fakt ist jedoch, dass die österreichische Bundesregierung sich bezüglich der Asylwerber einig ist wie lange nicht mehr.
Auch wenn der Kurs in Richtung Abschottung geht und sich Österreich mit seiner Entscheidung der Obergrenze viel internationale Kritik eingebrockt hat, so stehen doch viele Österreicherinnen und Österreicher hinter dem Argument, das auch Sebastian Kurz vertritt: An Österreich seien keine Vorwürfe zu richten, denn man habe im Vorjahr 90.000 Asylsuchende aufgenommen. Pro Kopf mehr als Deutschland.
Erfolg zu Kopf gestiegen?
Tschechiens ehemaliger Außenminister Karel Schwarzenberg kritisierte Kurz in einem "Profil"-Interview kürzlich scharf: "Er hat sehr vielversprechend begonnen. Aber dann ist ihm sein Erfolg wohl doch etwas zu Kopf gestiegen, was bei seinem jungen Alter auch völlig verständlich ist."
Kurz stütze sich seiner Meinung nach auf einen viel zu kleinen, geschlossenen Kreis an Beratern. Der Tscheche unterstellt dem Außenamt in Wien allerdings generell, dass es zu wenig Interesse an guten Kontakten zur Visegrad-Gruppe (Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei) zeige. Womöglich der Grund für seine Kritik an Kurz.
Gegen die aktuellen, von mehreren Seiten formulierten Vorwürfe, er wolle Flüchtlinge bewusst durch humanitäre Missstände an den Grenzen abschrecken wehrt sich Kurz: "Ich habe gesagt, dass es unangenehme Bilder geben wird, nicht, dass ich sie mir wünsche", sagte Kurz der "Presse am Sonntag".
An den Grenzen werde es seiner Meinung nach Leid geben. "Aber trotzdem darf es kein Recht des Stärkeren geben. Es geht nicht, dass junge Männer durchkommen und Frauen, Kinder, Alte und Schwache zurückbleiben", so Kurz in dem Streitgespräch mit Caritas-Präsident Michael Landau.
Die europaweite Verteilung von Flüchtlingen könne man laut Kurz nur umsetzen, wenn "sie nicht dorthin ziehen, wohin sie wollen. Wer eine Wohnung in Berlin bezogen hat, wird nicht mehr nach Polen gehen. Etwas anderes zu glauben, ist absurd."
Wenn Sebastian Kurz zukünftig keine allzu großen politischen Fehler begehen wird, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis er von der ÖVP als Kanzlerkandidat aufgestellt wird.
In der SPÖ jedenfalls findet sich derzeit niemand, der es in Sachen Jugend, verbaler Intelligenz und Weitblick mit ihm aufnehmen kann. Sein Jus-Studium, das Kurz noch nicht abgeschlossen hat, wird dann wohl noch etwas warten müssen.
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