Auf einer Pressekonferenz haben Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow sowie Rolf Jacob, Leiter der Justizvollzugsanstalt Leipzig, Auskunft über die Hintergründe des Todes von Dschaber al-Bakr gegeben. Der 22 Jahre alte Terrorverdächtige aus Syrien hatte sich am Mittwochabend in seiner Zelle selbst das Leben genommen.

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Der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow sagte über den Selbstmord von Dschaber al-Bakr: "Das hätte nicht passieren dürfen, ist aber leider geschehen. Obwohl wir nach jetzigem Stand alles getan haben, um das zu verhindern." Entsprechende psychologische Prognosen, bei denen keine akute Selbstmordgefahr festgestellt worden war, hätten sich "nicht bestätigt".

War Dschaber al-Bakr akut suizidgefährdet oder nicht?

Dabei war Al-Bakr von der Haftrichterin vor seiner Überstellung in die Untersuchungshaft noch als suizidgefährdet eingestuft worden, bestätigt Jacob. Dabei habe sich die Amtsrichterin in Dresden auch auf einen vom Beschuldigten bereits bei der Verkündung des Haftbefehls angekündigten Hungerstreik berufen. In der JVA sei nach einem Gespräch mit einer Psychologin die Gefahr aber als nicht akut eingestuft worden.

Die Kommunikation bei der Einweisung von Dschaber al-Bakr sei aber aufgrund sprachlicher Hürden schwierig gewesen. Ein Dolmetscher sei nicht angefordert worden, erklärte JVA-Leiter Rolf Jacob. Dieser sei erst für ein psychologisches Gespräch am Folgetag eingeplant gewesen.

Der Gefangene sei auf Rundgängen zunächst alle 15 Minuten kontrolliert worden, so Jacob. Diese Kontrollintervalle seien nach Absprache mit einer Psychologin später auf 30 Minuten erhöht worden. Die hinzugezogene Psychologin sei zwar sehr erfahren, habe aber keine Erfahrung mit Terroristen besessen, sagte JVA-Chef Rolf Jacob.

Schwerer Vorwurf: "Reihe von Fehleinschätzungen"

Sachsens Vize-Ministerpräsident Martin Dulig sieht bei der Justiz des Landes eine Mitschuld für die Selbsttötung des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr. "Es ist offensichtlich zu einer Reihe von Fehleinschätzungen sowohl über die Bedeutung, als auch den Zustand des Gefangenen gekommen", sagte der SPD-Politiker am Donnerstag in Dresden.

Wie Gemkow bestätigt, hatte sich Al-Bakr an einem Zwischengitter seiner Gefängniszelle in Leipzig mit seinem Hemd stranguliert. Die Leiche des 22-Jährigen wurde zur Obduktion freigegeben. Nach ersten Untersuchungen könne aber ein Fremdverschulden ausgeschlossen werden, meinte Gemkow.

Sachsens Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann merkte jedoch an, dass allen Hinweisen auf mögliches Fremdverschulden nachgegangen werde. Die Situation in der Zelle sei nach der Selbsttötung und durch die Reanimationsversuche "nicht mehr ganz hundertprozentig zu klären" gewesen.

Al-Bakr hatte am Dienstag eine kaputte Deckenlampe in seiner Zelle gemeldet, wie Jacob bestätigt. Die Lampe sei mitsamt den Dübeln aus der Verankerung gerissen worden. Man habe umgehend den Strom abgestellt. Später sei dann auch bemerkt worden, dass die Steckdosen manipuliert worden seien. "Man hat das als Vandalismus eingestuft", so Jacob. "Es ist leider nicht erkannt worden, dies als einen möglichen Hinweis auf Suizid einzuschätzen."

Al-Bakr wurde um 19:45 Uhr tot aufgefunden

Al-Bakr habe sich ruhig und sachlich gegeben. Ein direkter Zusammenhang mit einem geplanten Selbstmord sei nicht hergestellt worden, erklärte Jacob weiter. Der letzte reguläre Kontrollgang habe um 19:30 Uhr stattgefunden. Eine Aufseherin habe danach dennoch nochmal "aus Eigeninteresse oder Dienstbeflissenheit" einen Kontrollgang unternommen und Dschaber al-Bakr um 19:45 Uhr stranguliert aufgefunden. Eine Reanimation wurde umgehend eingeleitet, sie blieb aber erfolglos.

Spezielle Hafträume, in denen ein Suizid nahezu ausgeschlossen werden könnte, gibt es auch in der JVA Leipzig. Die Unterbringung in einem solchen Raum sei aber nicht für notwendig erachtet worden, da keine akute Selbstmordgefahr vorgelegen habe. Eine Video-Überwachung in Hafträumen sei in Sachsen ausgeschlossen, erklärte JVA-Leiter Jacob. Er halte eine "Sitzwache" vor der Zelle in Fällen von Suizidgefahr ohnehin sinnvoller, da die Beamten so die Situation besser einschätzen könnten.

Nach Anhörung aller Beteiligten stehe er zu den getroffenen Entscheidungen, betonte Jacob. Ob alle Entscheidung in der Nachbetrachtung optimal gewesen seien, sei dahingestellt. Man habe aber im Rahmen der rechtlichen Vorschriften gehandelt.

Justizminister Gemkow schließt Rücktritt aus

Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow sagte, er übernehme qua seines Amtes die politische Verantwortung für das Geschehen. Grund für einen Rücktritt, wie er bereits gefordert wird, sehe er aber nicht.

Personalmangel habe im Fall Al-Bakr keine Rolle gespielt, sagte JVA-Chef Rolf Jacob. Es wäre jedoch wünschenswert, wenn man nach regulärem Dienstschluss noch Dolmetscher einsetzen könnte. "Kommunikation ist das Wesentliche bei der Verhinderung von Suiziden", betonte Jacob.

Generalstaatsanwalt Fleischmann erklärte: "Es wäre ein sehr schöner Ermittlungsansatz gewesen, wenn Al-Bakr - ich sag es mal unschön - im Ermittlungsverfahren ausgepackt hätte." Die Behörden in Dresden ermittelten jedoch nur zum Suizid. Die Terror-Ermittlungen liefen bei der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe.

Zweiter Verdächtiger in Dresden wird strenger bewacht

Der zweite Verdächtige befindet sich in der JVA Dresden. Er werde jetzt wegen möglicher Suizidgefahr in seiner Zelle durch eine Sitzwache dauerhaft kontrolliert, sagte der Abteilungsleiter Vollzug des Justizministeriums, Willi Schmid.

Al-Bakr war am Montag in Leipzig festgenommen worden. Nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz hatte der anerkannte Flüchtling einen Sprengstoffanschlag auf einen Berliner Flughafen geplant und bereits weitestgehend vorbereitet.

Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizid-Gedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge unter der Telefonnummer 0800 111 0 111 (Deutschland), 142 (Österreich), 143 (Schweiz).

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