In der Ampelkoalition ist eine Diskussion über die Migrationspolitik ausgebrochen. In "sichere Herkunftsstaaten" können abgelehnte Asylbewerber schneller abgeschoben werden. Die FDP will die Liste um Georgien und Moldau erweitern. Die Grünen sind skeptisch.
In der Politik ist gerade viel von Zeitenwenden und Kurswechseln die Rede. Wenn es nach der FDP geht, soll sich die Bundesregierung auch in der Flucht- und Migrationspolitik neu orientieren. Die Liberalen wollen einerseits mehr Einwanderung von Fachkräften, andererseits aber weniger irreguläre Migration. Doch innerhalb der Koalition sorgen konkrete Maßnahmen für Diskussionen. Bahnt sich hier der nächste Ampel-Streit an?
Sichere Herkunftsstaaten: Wird die Liste länger?
Politikerinnen und Politiker der Koalition diskutieren unter anderem über die sogenannten sicheren Herkunftsländer. Bei diesen Staaten geht der deutsche Gesetzgeber davon aus, dass abgeschobenen Asylbewerbern dort generell keine staatliche Verfolgung droht und der Staat seine Bürgerinnen und Bürger auch vor nichtstaatlicher Verfolgung schützen kann. So definiert es das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Der Asylantrag ist dem Asylgesetz zufolge dann "als offensichtlich unbegründet abzulehnen" – es sei denn, der Antragsteller kann nachweisen, dass ihm im Falle einer Abschiebung im Herkunftsland Verfolgung oder ein ernstzunehmender Schaden drohen.
Das Asylgesetz listet als sichere Herkunftsstaaten derzeit alle Mitgliedsländer der Europäischen Union auf, außerdem die Balkanstaaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien sowie Ghana und Senegal in Afrika.
Stephan Thomae (FDP): "Geeignetes Mittel für Senkung der Asylzahlen"
Die FDP möchte diese Liste nun fortschreiben, zunächst um Georgien und Moldau. "Die Einstufung von Georgien und Moldawien als sichere Herkunftsländer ist ein geeignetes Mittel, um zu einer Senkung der Antragszahlen und einer Beschleunigung der Asylverfahren beizutragen", sagt der Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Geschäftsführer Stephan Thomae gegenüber unserer Redaktion. "Beide Staaten weisen eine sehr geringe Anerkennungsquote auf und zeigen sich bei der Rücknahme abgelehnter Asylbewerber kooperationsbereit."
Die Politik diskutiert nicht zum ersten Mal über dieses Thema. Im Januar 2019 hatte die damalige Große Koalition aus CDU/CSU und SPD die Einstufung von Georgien sowie den Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsländer bereits beschlossen. Trotzdem kam die Gesetzesänderung nicht zustande, weil absehbar war, dass die Grünen sie im Bundesrat verhindern würden.
Julian Pahlke (Grüne): "Negative Folgen für verfolgte Minderheiten"
Auch jetzt haben die Grünen starke Vorbehalte. Die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten sei nicht zu unterstützen, sagt der Bundestagsabgeordnete Julian Pahlke gegenüber unserer Redaktion. "Wenn man Staaten einen Persilschein ausstellt und sie als sicher einstuft, kann das negative Folgen für dortige zivilgesellschaftliche Akteure und für verfolgte Minderheiten haben", meint der Innen- und Asylpolitiker. "Menschenrechtliche Grundsätze dürfen nicht aufgegeben werden. Stattdessen braucht es schnelle und faire Asylverfahren ohne Aushöhlung der Rechtsgarantien für Asylsuchende."
In ihrem Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP sich Ende 2021 nur vage geeinigt. Dort heißt es, man wolle "neue praxistaugliche und partnerschaftliche Vereinbarungen mit wesentlichen Herkunftsländern unter Beachtung menschenrechtlicher Standards schließen". Diese Vereinbarungen sollen unter anderem Visa-Erleichterungen für Bürgerinnen und Bürger dieser Staaten umfassen – aber eben auch eine "Zusammenarbeit bei der Rückkehr abgelehnter Asylsuchender". Konkrete Staaten werden im Koalitionsvertrag aber nicht genannt.
Sebastian Hartmann (SPD): "Sehr genau anschauen, welche Staaten infrage kommen"
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Hartmann, hält die Einstufung weiterer Länder als sichere Herkunftsstaaten grundsätzlich für geeignet, die Dauer von Asylverfahren zu verkürzen: "Insbesondere für Menschen, deren Aussicht auf Erfolg von vornherein sehr gering ist", sagt Hartmann. "Es handelt sich dabei schließlich um Länder, bei denen aufgrund des demokratischen Systems und der allgemeinen politischen Lage davon ausgegangen werden kann, dass dort generell keine staatliche Verfolgung zu befürchten beziehungsweise auch Schutz vor nicht staatlicher Verfolgung gegeben ist." Man müsse sich aber "sehr genau anschauen, welche weiteren Staaten hier überhaupt infrage kommen", so Hartmann.
In der Tat dürfte die Einschätzung von Staat zu Staat unterschiedlich ausfallen. CDU und CSU wollen zum Beispiel weiterhin Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten einstufen. Die Organisation "Amnesty International" kritisierte aber schon in der Diskussion 2019, dort würden Menschen "nach wie vor aufgrund ihrer Religion, sexuellen Orientierung oder politischen Einstellungen diskriminiert und verfolgt".
Auch FDP-Politiker Thomae ist bei diesen drei Ländern skeptisch: "Denn die Einstufung als sichere Herkunftsländer bringt nichts, wenn die Staaten ihre abgelehnten Asylbewerber nicht zurücknehmen." Und das ist bei diesen drei Ländern offenbar nur bedingt der Fall.
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Welchen Effekt hätte der Schritt?
Etwas anders sieht es bei Georgien und Moldau aus. Moldau ist seit vergangenem Jahr offiziell Beitrittskandidat der Europäischen Union. Georgien ist noch nicht so weit, hat aber immerhin eine "Beitrittsperspektive" erhalten.
Fraglich ist aber, wie groß der Effekt für die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland wäre: Von den 87.777 Asyl-Erstanträgen in den ersten drei Monaten dieses Jahres entfielen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zufolge die meisten auf Menschen aus Syrien, Afghanistan, der Türkei, Irak und Iran. Asylsuchende aus diesen fünf Staaten machten fast zwei Drittel aller Anträge aus. Georgien liegt mit 2.855 Anträgen nur auf dem sechsten Platz.
Stephan Thomae erwartet durch die Einstufung von Georgien und Moldau als sichere Herkunftsstaaten trotzdem "durchaus einen Effekt": 2022 hätten Asylbewerber aus diesen beiden Ländern zusammen mehr als 10.000 Erstanträge ausgemacht.
Grünen-Politiker Pahlke ist dagegen der Meinung: "Zügige Verfahren sind auch ohne Einstufung als sichere Herkunftsländer zu erreichen: Dies ist auf Verwaltungsebene durch entsprechende Dienstanweisungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge möglich."
Wer sich durchsetzt, könnte sich schon bald entscheiden: Am 10. Mai kommt Bundeskanzler Olaf Scholz mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten zusammen. Bei der Konferenz werden die Länder erneut auf mehr Geld vom Bund für die Unterbringung von Flüchtlingen pochen. Doch zumindest die FDP dringt auch auf weitere Entscheidungen zur Asyl- und Migrationspolitik.
Verwendete Quellen:
- Stellungnahmen von Sebastian Hartmann, Julian Pahlke und Stephan Thomae
- amnesty.de: Algerien, Marokko und Tunesien sind keine sicheren Herkunftsstaaten
- bamf.de: Aktuelle Zahlen (03/2023)
- bundesregierung.de: Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP
- dejure.org: Asylgesetz
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