Mossul ist vom IS befreit. Doch sind die Terroristen damit endgültig geschlagen oder verzeichnen sie paradoxerweise in der militärischen Niederlage nicht vielleicht doch noch einen ideologischen Sieg? Über eine Gemengelage, die den Blick auf die Zukunft des Irak und der Region verdunkelt.
Der sogenannte "Islamische Staat im Irak und der Levante" (IS) ist geschlagen. Das verkündete der irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi nach der Rückeroberung Mossuls.
Zusammen mit dem mutmaßlichen Tod von IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi hat die Terrororganisation tatsächlich schwere Rückschläge einstecken müssen.
Rückeroberung Mossuls vom IS als Neuanfang?
Aber heißt das, dass die Region jetzt befriedet werden kann?
Dr. Sophia Hoffmann vom Leibniz-Zentrum Moderner Orient in Berlin (ZMO) bleibt skeptisch.
Dass sich die irakische Armee unter Ministerpräsident al-Abadi letztes Jahr dazu durchgerungen hat, den IS aktiv aus Mossul zu vertreiben, bewertet die Politologin zwar positiv, erinnert aber auch an ein folgenschweres Versagen drei Jahre zuvor.
"Man darf nicht vergessen, dass die Regierung nach Einmarsch des IS in Mossul 2014 nichts gemacht hat. Die Stadt wurde dem IS quasi einfach überlassen."
Für den zunächst zögerlichen Kampf gegen den IS ist allerdings nicht nur die schiitisch dominierte Zentralregierung verantwortlich.
Kurdischer Beitrag zur Befreiung Mossuls
Die von den USA geführte internationale Koalition hat die Bodengefechte im einst überwiegend sunnitischen Mossul ebenfalls gescheut.
Stattdessen setzte man auf militärische Beratung, Finanzierung und Bewaffnung der kurdischen Peshmerga-Truppen und flog monatelang unzählige Luftschläge.
Nach einem US-Bericht von 2016 haben allein die ersten 571 Einsatztage seit August 2014 im Durchschnitt 11,4 Millionen US-Dollar gekostet. War es da wert?
Das Wall Street Journal hatte unter Berufung auf interne Quellen vor einigen Monaten berichtet, dass sich der IS bewusst selbst dazu entschieden habe, seine Kämpfer aus Mossul abzuziehen.
Eine Darstellung, der Dr. Sophia Hoffmann widerspricht. Der IS sei zwar sowohl in Syrien als auch im Irak enorm in die Defensive geraten, "von alleine wäre der IS aber nicht einfach aus Mossul verschwunden."
Den Sieg über die Terroristen nennt Hoffmann deshalb "das Ergebnis harter Gefechte".
So konnten sich immerhin rund 150 IS-Anhänger im Westen der Stadt gut zwei Wochen gegen das Aufgebot des internationalen Militärbündnisses behaupten, ehe sie überwältigt wurden.
Auch der Iran hatte seine Finger im Spiel
Zu diesem Anti-IS-Bündnis gehört, wenn auch nicht offiziell, so aber doch hinter vorgehaltener Hand, auch der schiitische Iran.
Von ihm unterstützte paramilitärische Gruppen wie die libanesische Hisbollah und das Khazali-Netzwerk bekämpfen den IS quasi seit Beginn seiner Ausdehnung. Nicht selten an der Seite der Peshmerga.
John Kerry, ehemaliger US-Außenminister unter Barack Obama, bezeichnete den Iran entgegen der Sichtweise Israels deshalb in diesem Kontext auch als "hilfreich".
Israels Premier Benjamin Netanjahu widersprach mit einer eigenen Logik: "Wenn die eigenen Feinde einander bekriegen, sollte man nicht einen von ihnen stärken. Sondern beide schwächen."
Inwiefern die gewonnene Schlacht um Mossul einer nachhaltigen Befriedung des multireligiösen Vielvölkerstaats Irak den Weg ebnet, ist gegenwärtig kaum zu beantwortet.
Der Irak gilt nur auf dem Papier als Demokratie. Und die Sicherheitslage jenseits der autonomen kurdisch dominierten Nordregion ist alles andere als stabil.
Von Infrastrukturproblemen, Korruption und einem Mangel an Bürgerrechten ganz zu schweigen. Doch ethnische Spannungen sind weiter das größte Problem.
Nahostexpertin Hoffmann hebt beispielsweise hervor, dass das Verhältnis der Bewohner Mossuls zur Zentralregierung vor der Ankunft des IS bereits schwer belastet war.
Spannungen schon vor Ankunft des IS
"Bevor sich herausstellte, welche Tyrannenherrschaft der IS mit sich brachte, wurde der Einzug der Gruppe von den Bewohnern der Stadt begrüßt."
Als Grund für die anfängliche Unterstützung nennt sie Repressionen der schiitischen Sicherheitskräfte vor allem gegen die Sunniten in der Stadt. Sie wurden nicht selten bedroht und willkürlich verhaftet.
Von den 2015 über 660.000 Einwohnern Mossuls verharrt heute nur noch ein Bruchteil in den Grenzen der zweitgrößten Stadt im Irak.
"In diesem Meer der Verwüstung leben vielleicht noch 20.000 Leute", schätzt Hoffmann. "Und diese fühlen sich von allen Seiten geknechtet. Der Rest, der vertrieben wurde, sich zu Verwandten retten konnte oder in Lagern haust, ist immer noch extrem gebeutelt."
Aktuelle Aufrufe zur langfristigen nationalen Einigung zwischen Kurden, Turkmenen, Jesiden, schiitischen und sunnitischen Arabern, könnten folgenlos verhallen.
Zu groß ist das gegenseitige Misstrauen durch die Dauerkonflikte und ethnischen Gräueltaten der vergangenen Jahre.
Nach offiziellen Angaben der Vereinten Nationen gibt es im Land außerdem über drei Millionen Binnenvertriebene. Hinzu kommen rund 250.000 Flüchtlinge aus Syrien.
Eine unübersichtliche, explosive Mischung und somit keine gute Voraussetzung für die Aussöhnung verfeindeter Akteure. Auch wenn sich diese im Kampf gegen den Terror zeitweise zusammengeschlossen hatten.
Dass die Bagdader Regierung angesichts solcher Zustände absehbar friedliche und rechtsstaatliche Verhältnisse schaffen kann, hält Hoffmann für unwahrscheinlich.
Wird Niederlage des IS zum Sieg des IS?
Somit könnte ein blutiges Wiederaufflammen der ethnischen und religiösen Konflikte ausgerechnet wieder dem "Islamischen Staat" in die Karten spielen und ihm zu einem Comeback verhelfen, das eine seine Ursprünge erinnern würde.
In diesem Fall würde die militärische Niederlage in Mossul paradoxerweise zu einem ideologischen Sieg des IS führen.
Schon jetzt wird befürchtet, dass geflohene IS-Anhänger in den Untergrund gehen, um die Region mit asymmetrischer Kriegsführung und Terroranschlägen zu destabilisieren.
Auch ein strategischer Zusammenschluss mit anderen Terrormilize scheint nicht abwegig. Immerhin sollen bis zu 60.000 IS-Kämpfer laut Schätzungen der USA während der jahrelangen Auseinandersetzungen getötet worden sein.
Innerhalb des US-Militärs hält man sich bislang mit offiziellen Prognosen zurück, was nach der Niederlage in Mossul nun aus dem IS werden könnte.
In den Augen von Politologin Dr. Sophia Hoffmann liegt in dem militärischen Erfolg von Mossul aber durchaus auch Hoffnung.
Es werde zwar weiter radikale Gruppierungen geben, die gegen die irakische Zentralregierung und gegen die internationale Koalition kämpfen. "Aber die eindeutige Niederlage in Mossul hat sicherlich einen negativen Effekt auf die Rekrutierungsmöglichkeiten des IS."
Auf potenziellen Nachwuchs für den Dschihad, könnte die Zerschlagung des IS bei der Offensive auf die Stadt eine abschreckende Wirkung haben.
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