Für die einen ist es die schönste Tradition des Jahres für die anderen eine Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt. Ist das Verbot von Raketen und Böllern an Silvester längst überfällig oder wäre das das Ende eines erhaltenswerten Rituals?
So sicher wie der Jahreswechsel selbst ist auch die wiederkehrende Debatte um ein Verbot von privatem Feuerwerk. Am 31. Dezember und 1. Januar dürfen in Deutschland legal Raketen und Böller gezündet werden. Für zahlreiche Menschen gehört das Ritual zu einem gelungenen Neujahr einfach dazu. Kritiker halten es angesichts der negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt dagegen für nicht mehr tragbar. Muss die Silvester-Tradition endlich verboten werden?
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Pro: Silvester verkommt zu einem Fest der Regellosigkeit
von Fabian Hartmann
Bald ist es wieder so weit: Der Jahreswechsel steht an. Die Deutschen liegen sich um Mitternacht in den Armen, stoßen mit oder ohne Alkohol an und begrüßen das neue Jahr mit einem Feuerwerk. Ein Meer aus bunten Farben. Es könnte so schön sein.
Ist es aber nicht.
Die Realität sieht oft anders, trister aus: Rücksichtslose Böllerei durchzieht die Silvesternacht. Raketen, die über Straßen und Plätze geschossen, Knallkörper, die achtlos gezündet werden. Nicht nur in Großstädten spielen sich drastische Szenen ab.
Wir haben uns an vieles gewöhnt. Dass die Notaufnahmen in dieser Nacht – oft wegen abgesprengter Finger – volllaufen, Ärzte und Pfleger am Limit sind, gehört zur traurigen Routine. Genauso wie die Angst der Tiere oder die explodierende Feinstaubbelastung. Wenn man so will: Der Preis der Folklore.
Dass Rettungskräfte aber immer öfter mit Feuerwerkskörpern angegriffen werden, ist eine neue Dimension der Rücksichtslosigkeit. Silvester verkommt zu einem Fest der Regellosigkeit. Dahinter steht ein dumpfer, neoliberaler Freiheitsbegriff: Das "Ich" steht über dem "Wir". Einmal die Sau rauslassen, erlaubt ist, was Spaß macht. Hauptsache, es kracht – auch wenn Raketen und Böller dabei in Menschenmengen fliegen.
Dies ist kein Plädoyer, auf Feuerwerk zu verzichten. Die Tradition, ein heidnischer Brauch, um böse Geister zu vertreiben, soll gewahrt bleiben. Aber: Bitte mit Regeln. Etwa unter Aufsicht an zentralen Plätzen in den Städten. Wer mag, kann knallen. Und alle anderen haben ihre Ruhe.
Denn: Freiheit bedeutet Verantwortung und die eigene Freiheit endet immer da, wo die der Mitmenschen beginnt. Eine Selbstverständlichkeit, eigentlich. Wo dieser Grundsatz aber nicht mehr gilt, hilft nur noch eines: das Verbot.
Contra: Durch ein Verbot würde Silvester seinen besonderen Charakter verlieren
von Joshua Schultheis
Es gibt einen Tag im Jahr, den alle Menschen in Deutschland gemeinsam begehen. Ob jung oder alt, städtisch oder ländlich, mit Migrationshintergrund oder ohne, ob christlich, muslimisch oder jüdisch: An Silvester bleibt so gut wie jeder länger wach als sonst, geht trotz klirrender Kälte raus, wünscht Freunden und Verwandten, aber auch Nachbarn und Fremden ein "frohes Neues". Silvester, so ließe sich zugespitzt sagen, ist das einzig echte Volksfest in unserem Land. Und es gibt vor allem eine Tradition, die dabei weniger als jede andere fehlen darf – das Feuerwerk.
Einmal im Jahr verwandeln sich deutsche Städte in ein Gesamtkunstwerk, sind über dutzende Minuten in ein buntes Licht gehüllt. Das hat auch seine Kehrseiten: Notaufnahmen werden mehr belastet als sonst, die Feinstaubbelastung nimmt zu und viele Tiere sind verängstigt.
Zugleich bringt das Raketen-Schießen und Böller-Zünden wie kaum eine andere Tradition Menschen zusammen. Zu welcher anderen Gelegenheit teilt man mit den Anwohnern seines Hauses oder Viertels, mit denen man sonst kaum ins Gespräch kommt, ein gemeinsames Erlebnis? Ein städtisch finanziertes Feuerwerk kann das nicht leisten.
Ein Verbot der privaten Knallerei würde das Ende des ganz besonderen Charakters des Neujahrsfests bedeuten. Kein anderer Feiertag ist so partizipativ und öffentlich wie Silvester, und das hängt nun mal entscheidend mit Raketen und Böllern zusammen.
Jeder, der es knallen lässt, ist selbstverständlich angehalten, dies verantwortlich zu tun. Verbote an bestimmten Orten, etwa in nordfriesischen Dörfern mit leicht entflammbaren Reetdächern, sind richtig. Falsch wäre aber ein generelles Verbot. Deutschland würde eine der wenigen Traditionen verlieren, mit der sich Menschen quer durch die Gesellschaft identifizieren können. Das wäre es nicht wert.
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