Seit 100 Tagen ist SPD-Chefin Andrea Nahles im Amt, doch mit den Sozialdemokraten geht es vor der wichtigen Landtagswahl in Bayern auch bundesweit eher bergab als bergauf - obwohl Nahles die Partei entrümpelt und selbst immer wieder aneckt. Die SPD-Chefin kämpft mit einem großen Imageproblem.

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Für die SPD sieht die politische Realität in Bayern mau aus. Bei der Landtagswahl am 14. Oktober droht Spitzenkandidatin Natascha Kohnen ein Fiasko, Platz vier hinter CSU, Grünen und AfD könnte es werden.

Auch bei der Wahl zwei Wochen später in Hessen droht eine Schlappe. Nahles weiß: Die Ergebnisse werden auch ihre Ergebnisse.

Sie hat nicht viel Zeit. Sie will einen Mitte-Kurs, statt klar nach links, wie viele Freunde der "reinen Lehre" es in der SPD gerne hätten. Denn der Zeitgeist ist gerade nicht links.

"Wir brauchen mehr Speed", sagt sie zur Integration der Flüchtlinge – aber sie will auch mehr Tempo beim Umkrempeln der SPD.

Nahles kann den Umschwung bislang nicht einleiten

Immerhin ist die Partei viel geschlossener als noch vor Monaten, hält dicht, wirkt seriöser. Doch die versprochene Erneuerung der Partei ist bisher eine Hülse, Nahles' politische Bilanz noch bescheiden; ein Umschwung nicht in Sicht. Und der SPD fehlen spannende neue Köpfe.

In ihrem Vorsitzendenbüro ließ Nahles eine Bücherwand rausreißen, um Platz für eine moderne Multimediawand für Präsentationen zu schaffen.

Von 54 Kommissionen und Gesprächskreisen lässt sie zwölf abschaffen - darunter die noch von Willy Brandt ins Leben gerufene Historische Kommission, die in den letzten Jahren kaum Ergebnisse produziert hat. Sie hat ein dickes Fell, auch wenn es nun viel Kritik daran gibt.

Sie gibt die Anpackerin, die Kümmerin, immer einen derben oder flapsigen Spruch auf den Lippen. Mit Bamberg, Fürth, Erlangen und Dietfurt besucht sie Städte, in denen die SPD den Rathauschef stellt.

Während es landes- und bundesweit für die SPD schlecht aussieht, kann sie hier erfahren, wie Vertrauen in einzelne Personen und Bürgernähe kommunale SPD-Erfolge möglich macht – zugleich könnte vielleicht eine Auseinandersetzung mit Orten, wo die SPD weniger stark ist, mehr Erkenntnisse bringen. So dominiert Schulterklopfen unter Genossen.

In Dietfurt lässt sie beim Stadtrundgang die Pfarrkirche St. Ägidius links liegen, "erweitert und barockisiert durch Hofbaumeister Gabriel de Gabrieli".

Da dürften ungute Erinnerungen an ihren Vorvorgänger Sigmar Gabriel hochkommen, der von Nahles als Außenminister abserviert wurde und munter von außen der Führung Ratschläge gibt.

Nahles versucht sich als Problemlöserin

Nahles bräuchte mal eine knallige Idee, die begeistert - erstmal lautet ihr Ziel: Die nervöse SPD befrieden. Fürths Oberbürgermeister Thomas Jung regt sich zum Beispiel über den SPD-Außenminister im fernen Berlin auf: "Wenn ich den Kollegen Maas höre, wird mir angst und bange."

Gemeint sind dessen russlandkritische Einlassungen zu Beginn der Amtszeit. Jung berichtet von einem Fürther Unternehmen, das wegen der Sanktionen Russlands Biathlonmannschaft nicht mehr mit Munition beliefern kann.

Und er kritisiert, dass Kindergeld für Arbeitsmigranten aus Osteuropa die kommunalen Kassen immer stärker belasten. Nahles verspricht, eine Lösung zu suchen.

Im Ausbildungszentrum der Bundespolizei in Bamberg will Nahles von den Azubis wissen, wo der Schuh drückt. Seit im Zuge zunehmender Terrorgefahr und anderer Herausforderungen kräftig aufgestockt wird, sind hier seit 2016 rund 2200 Ausbildungsplätze geschaffen worden. "Das hat den ganzen Heiratsmarkt von Bamberg durcheinander gebracht", witzelt Nahles.

Immer wieder hört sie, dass Stellen entfristet werden sollen und betont, dass die große Koalition von CDU, CSU und SPD hier - und auch beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) - "die größte Entfristungsaktion der Bundesrepublik" ins Werk gesetzt habe.

Gefragt nach ihrer Bilanz zählt sie Gesetze auf, und sie steuerte die SPD mit ruhiger Hand durch den Unionsstreit um eine schärfere Asylpolitik – die Koalition hielt. Dennoch dümpelt man weiter bei 18 Prozent.

Nahles will mit der SPD bei Migrationsfrage in die Mitte rücken

Beim Thema Flüchtlinge will sie die SPD auf einen Mitte-Kurs einschwören, der Kommunen nicht überfordert, geflüchtete Menschen aber auch nicht schikaniert.

Die CSU um Ministerpräsident Markus Söder sieht sie hier auf Zick-Zack-Kurs: "Markus Söder hat Kreide gefressen", meint sie mit Blick auf dessen verbales Abrüsten.

Dass es auch positive Aspekte in der Debatte gibt, zeigt ein Besuch bei Siemens in Erlangen. Naji Alzaim (23) flüchtete im September 2015 aus Syrien nach Deutschland. Über ein Jobcenter kam der Hinweis auf Siemens.

Er bekam einen von 16 Praktikumsplätzen für Flüchtlinge, ab September beginnt er eine Ausbildung als Ingenieursassistent für Automatisierungsprozesse, er spricht sehr gut Deutsch. Der Muslim führt eine von ihm programmierte Abfüllanlage für Bierkästen vor.

Nahles weiß, eine Neuwahl und das Ende von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) könnten schneller als gedacht kommen, das zeigten die letzten Wochen.

Die in Bayern nun auch schwächelnde CSU ist nervös. Man regiert solide im Bund, SPD-Vizekanzler Olaf Scholz ist einer der beliebtesten Politiker. Doch auszahlen tut sich das bisher nicht.

Das SPD-Profil wird den Bürgern nicht klar

Es ist wie immer in großen Koalitionen unter Merkel - und von den Kritikern befürchtet. Man rackert wacker, aber das klare Profil, wofür die SPD steht, ist für viele Bürger unklar.

Sie trifft sich mit Truckern, nimmt das Lohndumping in der Paketbranche unter die Lupe, feilt an Plänen für eine solidarische Marktwirtschaft, der digitale Kapitalismus soll gebändigt und der Mietenanstieg gedämpft werden.

Die Mutter einer siebenjährigen Tochter wurde nach ihrer Wahl zur ersten Frau an der Spitze der Sozialdemokraten als Trümmerfrau bezeichnet. Wie groß auch intern die Vorbehalte gegen sie sind, zeigt das schlechte Wahlergebnis von nur 66 Prozent.

In Zeiten, wo Bindungen an Parteien geringer werden und Einzelpersonen immer wichtiger, muss es der SPD Sorge bereiten, dass die Frau aus der Eifel weiterhin sehr bescheidene persönliche Umfragewerte hat.

Ihr Image zu verbessern, das scheint ein so schwieriges Unterfangen zu werden wie jenes, die SPD wieder nach vorn zu bringen. Doch Nahles will - anders als Vorgänger Martin Schulz - auch erstmal gar nicht der Liebling sein. Noch hat sie eine Gnadenfrist. (tfr/dpa)

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