Auge um Auge, Byte um Byte: Während der Abhörskandal um die US-Geheimdienste immer weitere Kreise zieht, will die SPD nun Gleiches mit Gleichem vergelten. Experten bewerten die Forderung nach mehr Bespitzelung der Amerikaner als Hirngespinst.
"Wer uns ausspäht, muss damit rechnen, dass er seinerseits ebenfalls Zielobjekt wird", so lautete die vollmundige Ankündigung des Innenexperten der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann, gegenüber der Tageszeitung "Rheinische Post". Viele Experten sind hingegen skeptisch, was die Möglichkeiten der deutschen Schlapphüte angeht. Nicht nur auf technischem Gebiet gilt der BND nicht unbedingt als Speerspitze der informationellen Evolution.
"Die SPD-Forderung ist unsinnig", bringt Wolfgang Krieger, Geheimdienst-Spezialist und Professor im Ruhestand an der Philipps-Universität in Marburg die Meinung vieler seiner Kollegen auf den Punkt. "Unsere Spionageabwehr ist zwar hochwertig, aber viel zu klein, um sich mit unseren Alliierten zu befassen." Auch aus internen Quellen gibt es immer wieder Kommentare, die Zweifel an der technischen Schlagfertigkeit des deutschen Geheimdienstes nähren.
Bei vielen Experten gilt die Bundesrepublik in Sachen Web-Schnüffelei bestenfalls als Schwellenland. "Die Fähigkeiten sind schlicht nicht vorhanden, wenn es darum geht, gut aufgestellte Konkurrenten auszuspionieren, das gilt besonders für ein Ziel wie die Amerikaner", sagt Sandro Gaycken, der an der Freien Universität Berlin als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich "Computer Science" arbeitet. "Wirklich offensive Strategien werden von den deutschen Behörden aus Angst vor Gesetzesverstößen ohnehin nicht angepackt", sagt Gaycken.
Man dürfe sich in dieser Beziehung keine Illusionen machen: "Die US-amerikanischen Hacker wurden in der Vergangenheit nicht entdeckt und könnten auch in Zukunft die Technik so gut ausnutzen, dass keine Spuren bleiben." Zum Vergleich: Im Haushaltsjahr 2013 wurden von den USA rund 52 Milliarden Dollar in die Geheimdienste gesteckt, die über 100.000 Menschen beschäftigen, darunter Expertenschätzungen zufolge über 5.000 Hacker. Angesichts solcher Zahlen scheinen Gerüchte, die Bundesregierung wolle in den kommenden Monaten 100 technische Mitarbeiter einstellen, bestenfalls wie ein Tropfen auf den heißen Stein.
"Die Kapazitäten Deutschlands reichen schon für die Hauptgegner China und Russland nicht aus", sagt auch Krieger. Der wichtigste Schritt sei deshalb ein deutlicher Ausbau der vorhandenen Strukturen. Auch, um die deutsche Wirtschaft besser vor Spionage zu schützen. Zugleich hätte Deutschland dann mehr Material, um es den Verbündeten anbieten zu können, sagt Krieger. "Wenn wir mehr anbieten können - auch den Amerikanern - erst dann können wir Gegenforderungen stellen. Denn Spionageaustausch ist immer ein Tauschgeschäft. Wer nichts anzubieten hat, kann nichts einfordern."
Um wirklich effektive Gegenspionage zu betrieben, sei auch das Misstrauen der deutschen Geheimdienste gegen Außenstehende viel zu hoch, sagt Gaycken. "Die trauen niemandem, der nicht von der eigenen Hochschule kommt." Dadurch werde viel Potenzial verschenkt.
Bereits seit Jahren, schon lange vor Bekanntwerden der Datensammelwut der US-Geheimdienste, kritisiert etwa der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom die Hörigkeit des BND gegenüber den amerikanischen Freunden. Der deutsche Nachrichtendienst sei aus der Zusammenarbeit mit US-Diensten entstanden und bis heute in vielen Bereichen vom "großen Bruder" abhängig, vor allem, wenn es um die Informationsbeschaffung im Ausland gehe. "Der BND leistet eine gute Arbeit. Er ist aber nach wie vor auf Informationen der Amerikaner angewiesen", sagt auch Gaycken.
Auf der politischen Ebene scheint eine Eindämmung der Sammelwut der Geheimdienste ebenfalls in weiter Ferne. Denn bisher haben es noch nicht einmal die Europäer untereinander geschafft, sich etwa auf eine gemeinsame Datenschutzrichtlinie zu verständigen. Unter anderem wegen des Widerstands aus Deutschland ist mit einer Einigung vor der Europawahl im Mai 2014 nicht zu rechnen. Und solange Europa in Sachen Datenschutz keine gemeinsame Linie findet, scheint es äußerst unwahrscheinlich, dass sich die USA und Präsident Barack Obama auf weitere Zugeständnisse gegenüber den Europäern einlassen.
Letztlich ist der Schutz vor Bespitzelung auch eine Frage der Bequemlichkeit: Die Mehrzahl der Deutschen scheut bislang den Umstieg auf eine Verschlüsselung etwa des E-Mail-Verkehrs. Das gilt für Privatpersonen ebenso wie für Unternehmen. Kryptografie-Tools, die den Schlapphüten das Leben zumindest etwas schwer machen könnten, gibt es zwar schon für alle gängigen Mailprogramme sowie für Computer und Clouds. Tatsächlich genutzt werden solche Lösungen aber bisher nur von einem Bruchteil der Nutzer.
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