Politikberater Frank Stauss ist der Kopf hinter zahlreichen SPD-Kampagnen – Erfolgen wie Niederlagen, Bürgermeister- bis Kanzlerrennen. Was macht es mit ihm selbst, wenn die SPD nun einstellige Ergebnisse einfährt? Im Interview spricht er über die Nachfolge von Nahles, die SPD und das Klimathema, sowie über Nostalgie als politischen Ratgeber.
Die Parteienlandschaft in Deutschland hat sich innerhalb der letzten Jahre grundlegend gewandelt: Die Volksparteien werden an vielen Stellen ob ihrer Größe heute nur noch Traditionsparteien genannt, aus den Reihen der Grünen könnte der nächste Kanzler kommen und die AfD hat die SPD vielerorts in den Umfragen überholt. Was bedeutet dieser Wandel für die Politikberatung?
Frank Stauss: Es ist völlig nachvollziehbar, dass sich Veränderungen in der Gesellschaft in der Politiklandschaft widerspiegeln. Solche Debatten gab es immer wieder, beispielsweise beim Aufkommen der Grünen. Aber: Es wird für uns als Politikberater durch Entwicklungen wie zunehmende Individualisierung, abnehmenden Bindungen und einer völlig veränderten Medienlandschaft nicht leichter.
Zugehörigkeiten durch traditionelle Milieus wie Religion und Arbeit lösen sich sowieso schon lange auf. Trotzdem ist – in Parteien wie in Unternehmen – aktuell eine Generation an der Führungsspitze und an den Schalthebeln der Macht, die in den 60er und 70er Jahren geboren wurde.
Ihre Sozialisierung fand in einem völlig anderen Umfeld statt und sie leiten heute noch wichtige Entscheidungen aus den Erfahrungswerten dieser Zeit ab. Einer Zeit, in der sie in Wirtschaft oder Politik erfolgreich Karriere gemacht haben. Aber dieses Umfeld gibt es so nicht mehr.
Was heißt das?
Mir begegnen häufig Leute, die von einer Phantomgröße ausgehen, die ihre Partei vor 20 Jahren hatte, aber heute nicht mehr. Das wirkt sich deutlich auf das politische Agieren aus. Es ist eine ganz andere Frage, ob ich von 25, 30, 40 Prozent Zustimmung bei den Wählern ausgehe, oder auf der Grundlage handele, dass ich von zwischen 12 und 20 Prozent aufbauen kann.
Somit ist es für uns als Politikberater eine der wichtigsten Aufgaben unseren Kunden immer wieder zu sagen: "Nostalgie ist kein guter Ratgeber im Umgang mit politischer Veränderung." Parteien daran zu messen, welche Werte sie vor 30 Jahren in irgendeinem Bundesland erreicht haben, ist etwas für Historiker, nicht aber für solche, die im Hier und Jetzt arbeiten.
Was macht es mit Ihnen selbst, wenn Sie einst für die SPD zum Kanzlermacher werden konnten und nun sehen, dass die Partei nun beispielsweise in Sachsen einstellige Ergebnisse in den Umfragen einfährt?
Froh macht es mich natürlich nicht, aber ich sehe es als Wählerwillen an. Zwar frage ich mich, ob die Partikularisierung immer zu Ende gedacht ist, denn damit ist natürlich verbunden, dass sich nach der Wahl immer mehr Parteien finden müssen, um eine Regierung zu formen. Aber die Entwicklung eröffnet auch völlig neue Chancen – man kann mit 20 Prozent eine Landes- oder Bundesregierung führen.
Es wird immer wieder komplett neu gewürfelt. Eine durchgehend zersplitterte Parteienlandschaft führt dazu, dass die Wähler immer seltener wissen, was sie nach der Wahl eigentlich bekommen. Wer wird durch meine Stimme Ministerpräsident oder Bundeskanzlerin? - Das wird oft nicht mehr durch die Wahl, sondern danach entschieden.
Aktuell sucht die SPD ein Nachfolger-Team für
Kein Bluff: Ich weiß nicht, wer kandidieren wird und kann daher keine richtige Einschätzung abgegeben. Ich glaube, dass es nicht zwingend ein prominentes Duo sein muss. Der ganze Prozess kann eine Dynamik entfalten und ich würde mir wünschen, dass möglichst viele kandidieren, um die Bandbreite der SPD zu zeigen. Dann wird man am Ende sehen, für wen sich die Mitglieder entscheiden. Ich ermutige alle, die sich mit dem Gedanken einer Kandidatur plagen, zu sagen: "Komm, lass uns springen".
Ich glaube, dass der Maßstab ein anderer ist: Es wird darum gehen, wer inhaltlich klare Ansagen macht. Die Kandidaturen dürfen nicht zur Laufsteg-Veranstaltung werden. Vielmehr als ein personelles Problem hat die SPD ein Verortungsproblem. Deshalb muss das Team eine klare Haltung mitbringen und motivieren können. Rhetorik ohne Substanz wird nicht funktionieren – umgekehrt aber auch nicht.
Das Team aus EU-Staatssekretär Michael Roth und der ehemaligen NRW-Familienministerin Christina Kampmann hat in einem Bewerbungsschreiben an die SPD-Mitglieder gefordert, beim Thema Klimaschutz "lauter und unbequemer" zu werden. Die SPD solle sich an die Spitze der Bewegung setzen. Besteht die Gefahr, die Grünen zu kopieren? Immerhin stammt das Modell der Doppelspitze auch von ihnen.
Zunächst: Es wird schwierig für die SPD sich an die Spitze einer Bewegung zum Klimawandel und Umweltschutz zu setzen. Aber ich sehe es auch so, dass es sich um ein Thema handelt, welches die SPD in der Vergangenheit schon einmal deutlich präsenter bearbeitet hat, als es in den letzten Jahren der Fall war.
Es gab exponierte Umweltpolitiker – Hermann Scheer, Ernst Ulrich von Weizsäcker, Erhard Eppler, Jo Leinen - aber später wurde das Thema an den damals ständigen Koalitionspartner delegiert und verkümmerte.
...sagten Sie nicht vorhin, Nostalgie sei kein guter Ratgeber?
Nostalgie ist ein schlechter Ratgeber, wenn man die Uhr zurückdrehen will und etwa in der Industriepolitik von Zeiten und Wählerklientelen träumt, die es so nicht mehr geben wird. Das Umweltthema ist und bleibt allerdings über Jahrzehnte ein dominantes Thema. Das muss man exzellent besetzen.
Zurück zum Umweltthema: Auch Sie fordern, die SPD solle sich stärker Themen wie Klima- und Umweltschutz zuwenden. Merkel wird oft die Sozialdemokratisierung der CDU vorgeworfen. Wie kann die SPD sich denn davor schützen, sich einfach nur grün anzumalen?
Die SPD muss vor allem ihr Portfolio verbreitern. Sie hat es aus meiner Sicht in der Vergangenheit teilweise nicht geschafft, den Widerspruch zwischen Arbeit und Umwelt so aufzulösen, dass es am Ende zu einer glaubwürdigen Politik geführt hat.
Die starke Energiewirtschaft in Schlüsselländern wie NRW, aber auch die Kohleverbände etwa in Brandenburg, haben die SPD immer wieder in die Zwickmühle gebracht hat. Damit kommt man 2019 aber nicht mehr weiter. Um keine "Kopie" zu werden, geht es also um eine Erweiterung des Themenfeldes. Wofür es die SPD aber vor allem braucht ist nach wie vor eine Frage der Verteilung von Wohlstand und Schaffung von guten Arbeitsplätzen.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Fragen, die die SPD aktuell für ihre Wähler beantworten muss?
Die wichtigsten Fragen sind jene, die in nächster Zukunft die drängendsten Themen sein werden. Und klar: Der Klimawandel gehört dazu. Das ist aber nicht das Nummer 1 Thema für die SPD. Das Nummer 1 Thema ist die Zukunft der Arbeit. Denn die Industrie unterliegt einer Umwälzung, das sehen wir zum Beispiel in der Auto- und Digitalwirtschaft.
Fragen lauten also: Wie gehen wir mit vermutlich weniger anfallenden Arbeitsstunden um, verteilen aber den digital oder von Maschinen erwirtschafteten Wohlstand so, dass wir unseren Wohlstand als Gesellschaft überhaupt erhalten können? Das sind die Fragen, die auch global diskutiert werden und bei denen die SPD an die Spitze muss.
Sigmar Gabriel hat den Vorschlag Ursula von der Leyen als EU-Kommisionschefin im Tagesspiegel als "beispiellosen Akt der politischen Trickserei" bezeichnet und die SPD dazu aufgerufen, die Koalition zu verlassen. Ein sinnvoller Appell?
Nicht mit dieser Begründung. Ich sehe derzeit aber tatsächlich nicht, dass die Koalition ein stabiles Gebilde wäre. Wie lange sie hält, hängt auch davon ab, welche Spitze die Mitglieder bei der SPD nun wählen. Es könnte sein, dass sich eine Dynamik im Rahmen dieses Prozesses entfaltet, bei der man die Personalfrage mit der Zukunft der GroKo verknüpft.
Auf Seiten der Union gibt es ebenfalls destabilisierende Faktoren: Ein Stolperstart von AKK und Wahlen im Osten, bei denen die CDU sich nicht klar verortet, wie sie mit der AfD vor und nach der Wahl umgehen will.
AKK pocht doch auf ein Kooperationsverbot und Michael Kretschmer hat eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen?
Gerade in Sachsen sehen viele in der CDU-Fraktion das ganz anders und ob Michael Kretschmer nach der Wahl noch etwas zu sagen hat, wissen wir danach.
Der "Cicero" schreibt, die Parteiführung der SPD müsse sich die Frage stellen, ob Stauss noch der richtige Mann für die Werbung der SPD ist. Passen Sie noch zur SPD?
Ich bin nicht derjenige, der das beantworten kann. Diejenigen, die mit mir und meinem Team arbeiten, können sehr gut einschätzen, was wir in einem Wahlkampf unter welchen Umständen leisten.
Wir sind auf jeden Fall keine Rosinenpicker und uns nie zu schade, in eine Wahlkampfauseinandersetzung zu gehen, auch wenn wir wissen, dass sie extrem schwierig wird und Niederlagen im Zweifelsfall wahrscheinlicher sind als ein Erfolg. Da muss man mit leben, dass man nicht nur Freunde hat. Spitzenpolitiker müssen mehr aushalten als wir.
Vielen Dank für das Interview!
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