Belgien gibt schwerstkranken Kindern und Jugendlichen das Recht auf Sterbehilfe. Auch in Deutschland flammt die Diskussion um einen selbstbestimmten Tod wieder auf. Denn noch immer ist die Gesetzeslage hierzulande nicht eindeutig.
Liegt die ausdrückliche Einwilligung des Patienten vor, ist das Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen oder deren aktive Beendigung unter ärztlicher Aufsicht gesetzlich erlaubt. So urteilte der Bundesgerichtshof am 25. Juni 2010. Organisierte Sterbehilfe soll hingegen künftig verboten werden.
Im Gespräch mit Vertretern und Kritikern erläutern wir, welche Argumente für oder gegen die aktive Sterbehilfe sprechen. Rede und Antwort stehen Elisabeth Kunze-Wünsch (Contra), Leiterin des Hospiz Stuttgart, und Wega Wetzel (Pro) von der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS).
Was bedeutet eine mögliche Gesetzesänderung hierzulande für das Selbstbestimmungsrecht der Patienten?
Elisabeth Kunze-Wünsch: Ich begrüße die Initiative von Hermann Gröhe (CDU), die meiner Meinung aber eher spät kommt. Aus ethischen Gründen bin ich gegen jede Form des assistierten Suizids, egal, ob durch Ärzte oder Organisationen im Ausland, die meinen das machen zu müssen.
Wega Wetzel: Ein Verbot der organisierten Freitodbegleitung wäre eine sehr schlechte Nachricht. Dann müssten noch mehr Menschen zum Sterben in die Schweiz fahren. Betroffene sollten sich ohne Angst an Ärzte und Organisationen wenden können, um für sich alle Optionen seines bevorstehenden Lebensendes ausloten zu können.
Lindert Sterbehilfe das Leid Schwerstkranker oder setzt diese sie eher unter Druck, anderen nicht zur Last zu fallen?
Kunze-Wünsch: In den Niederlande beobachten wir schon lange, dass alte oder hinfällige Menschen sich in Einrichtungen auf deutschen Boden verlegen lassen. Um nicht in die Verlegenheit zu kommen, dieser Selektion zum Opfer zu fallen. Mit einer Freigabe der Sterbehilfe wird dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Suizidwünsche gehören zum Prozess der Krankheitsannahme dazu. Aber sie verschwinden auch wieder oder verwandeln sich, wenn Sterbende die entsprechende Fürsorge bekommen und wissen, dass sie nicht allein sind.Wetzel: Sterbehilfe in all ihren Facetten – von palliativer Sedierung bis Behandlungsabbruch – kann das Leiden meist enorm lindern. Das Wissen um die Möglichkeit, nicht ausweglos dem eigenen Leiden ausgesetzt zu sein, und einen „Notausgang“ durch Selbsttötung wahrnehmen zu können, wirkt meist ungemein beruhigend. Dabei müssen wir natürlich auf ein Klima der Solidarität achten.Wer soll (mit-)entscheiden, ob aktive Sterbehilfe vorgenommen werden sollte?Wetzel: Nur der Betroffene kann und darf entscheiden, was geschehen soll. Falls er sich nicht mehr äußern kann, kann ein Bevollmächtigter helfen. Ärzten sollte entsprechend ihrer Gewissensfreiheit ermöglicht werden, bei einer selbstbestimmten Selbsttötung durch Bereitstellen des entsprechenden Medikaments assistieren zu dürfen. Die Krankenkassen haben da gar nicht mitzuentscheiden, es wäre allenfalls zu klären, ob die Suizidassistenz als ärztliche Leistung von ihnen bezahlt wird.Sind lebensverlängernde Maßnahmen ethisch nicht auch zu hinterfragen?Wetzel: Ja, es gibt schließlich ein Recht auf Leben, aber keine Pflicht zum Weiterleben.Kunze-Wünsch: Natürlich. Die Leute sollten sich deshalb schon früher mit dem Tod auseinandersetzen, indem sie festlegen, welche Maßnahmen sie möchten und welche nicht. Ohne den Willen des Erkrankten wissen auch alle Betroffenen um den Erkrankten oft nicht, was sie machen sollen.Welche Rolle spielt die Politik in dieser Debatte: Soll sie, darf sie oder muss sie sich endlich deutlich für oder gegen die aktive Sterbehilfe aussprechen?Kunze-Wünsch: Ich habe größten Respekt vor Menschen wie dem Schriftsteller Wolfgang Herrndorf und seiner Entscheidung, aus dem Leben zu treten, die auch Ausdruck einer Verzweiflung ist. Aber eine gesetzliche Lockerung ist eine humane Katastrophe. Zumal das auch durchkreuzen würde, wofür wir als Gesellschaft stehen sollten: Nämlich Sterbende und Angehörige zu begleiten. Sollte Sterbehilfe im Zweifel auch für Kinder und Jugendliche gelten?Wetzel: Jugendliche bedürfen unserer besonderen Fürsorge und bestmöglichen Beistand. Die Politik sollte generell klare Rahmenbedingungen schaffen, damit das von der Mehrheit der Bevölkerung und grundgesetzlich verbriefte Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen auch bis zum Lebensende gewahrt ist. Es bedarf keiner weiteren Verbotsregelung.
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