- In Brasilien fällt die Entscheidung in der Stichwahl Ende Oktober.
- Während Lula mit den Wahlverlierern anbandelt, schaut Bolsonaro auf die Gouverneure.
Nach der Wahl ist vor der Wahl. Der erste Wahlgang ist gerade vergangen, da richten die beiden Kandidaten der Stichwahl, Amtsinhaber Jair Bolsonaro und sein Herausforderer, der Ex-Präsident
Eine Frage steht in der ersten Zwischenwahlwoche besonders im Fokus. Welche Allianzen die beiden Kontrahenten nun schmieden müssen, um die fehlenden Stimmen einzufahren. Im Falle von Lula waren das am Ende rund 1,4 Millionen. Rund 57 Millionen stimmten für ihn und damit so viele, wie nie zuvor ein Präsident in einem ersten Wahlgang sammeln konnte. Bolsonaro wählten rund 51 Millionen Brasilianer, mehr als im ersten Wahlgang vor vier Jahren. 40 Millionen Stimmen sind aber noch zu vergeben, zählt man Nichtwähler und die Ergebnisse der ausgeschiedenen Kandidaten zusammen.
Eine Entwicklung aus dem Lager Lulas war schnell zu erkennen: Er sucht den Schulterschluss mit den Parteien der beiden Ausgeschiedenen Ciro Gomes (PDT) und Simone Tebet (MDB). Die beiden hatten auf dem dritten bzw. vierten Platz abgeschlossen mit etwa drei bzw. vier Prozent der Stimmen, absolut knapp 8,5 Millionen. Gomes' Partei PDT spricht sich "einmütig" dafür aus, eine Wahlempfehlung für Lula auszusprechen, wie Ciro Gomes in einem Video per Twitter erklärte.
Dass das nicht unbedingt seine persönliche Entscheidungspräferenz war, ließ er in dem Video durchschimmern. An keiner Stelle erwähnte er den Namen Lulas oder der Partei PT.
Stattdessen sprach Gomes von einem "letzten Ausweg", für den er sich "für das Land" positioniere und sich "an die Seite der Gesellschaft" stelle. Dieses wachsweiche Statement war immerhin mehr als das, was Gomes 2018 verkündet hatte: nämlich nichts. Damals hatte er es vermieden, eine Empfehlung auszusprechen und fuhr stattdessen in den Urlaub.
Tebet unterstützt Lula und darf auf Ministerposten hoffen
Schon etwas artikulierter verkündete Simone Tebet, dass ihre Wähler doch bitte im zweiten Wahlgang für den Kandidaten Lula stimmen mögen: "Weil ich bei ihm einen Einsatz für die Demokratie und die Verfassung sehe, die ich bei dem Präsidenten nicht erkenne." Damit spricht die Kandidatin der MDB jedoch nicht im Namen ihrer Partei, die eine Empfehlung vermied. Die MDB gehört, als einstmals große Zentrumspartei, zu den Verlierern der Wahl.
Ebenso wie die PSDB, die Partei des früheren Präsidenten Fernando Henrique Cardoso und Lulas designierten Vize-Präsidenten Geraldo Alckmin, verlor die MDB massiv an Wählern – vor allem wohl in Richtung Bolsonaro. Die politische Mitte hat also besonders unter der Links-Rechts- Polarisierung gelitten. Möglicherweise will man dort erst einmal abwarten, wie sich die Aussichten für die Stichwahl entwickeln. Für Tebet könnte sich ihr Bekenntnis lohnen. Sie soll zu den Personen gehören, die bei Lulas Wahlsieg einen Ministerposten erhalten könnten.
Für sie besonders wichtig, denn sie gilt durchaus als aussichtsreiche Kandidatin für die Zukunft. Allerdings erhielt sie kein Mandat für das Abgeordnetenhaus. Als Ministerin aber bliebe sie politisch deutlich sichtbarer.
Einige Parteien vermeiden ein klares Bekenntnis
Ebenfalls unentschlossen ist die PSDB. Alt-Präsident Cardoso bekannte sich offen zu Lula und verkündete via Twitter, diesen am 30. Oktober wählen zu wollen.
Dazu postete er zwei Fotos. Das eine zeigt ihn und Lula bei einem Gespräch aus der Zeit, als sie noch politische Gegner waren. Auf dem zweiten Bild halten sie sich mit etwas Abstand in den Armen – nur circa 30 Jahre später. Die Message ist klar: Trotz aller inhaltlichen Unterschiede respektiert man einander. So weit will Cardosos Partei, die PSDB, aber nicht gehen. Sie stellt ihren Wählern und Politikern frei, wie sie sich entscheiden wollen.
Aber nicht nur politische, auch gesellschaftliche Gruppen rücken in den Blick der Kandidaten. Noch geben die Katholiken zahlenmäßig den Ton an, auch wenn die evangelikalen Pfingstkirchen der Amtskirche zunehmend den Rang ablaufen und diese, so sehen es Prognosen, Anfang der 2030er-Jahre mitgliedermäßig überholen werden. Darum besuchte Lula am Dienstag einen Franziskanerorden.
Das Ganze natürlich versehen mit einer klaren Botschaft ins katholische Lager, aber auch in Richtung der Evangelikalen. Denn aus Reihen einiger fundamentalistischer Kirchen, wie der zweitgrößten des Landes, der Asembleia de Deus, deren oberster Priester der Bolsonaro-Freund Silas Malafaia ist, hatte es immer wieder Angriffe auf Lula gegeben, teilweise recht abstruser Natur. So war in sozialen Netzwerken behauptet worden, Lula sei "vom Teufel besessen". Ein Vorwurf, den er meinte nur korrigieren zu müssen. "Lula ist Christ" prangt auf seiner Webseite als Überschrift. In der Aufzählung der Gründe steht dort: "1. Lula glaubt an Gott und ist Christ" und "2. Lula hat keinen Pakt mit dem Teufel und hat auch niemals mit ihm gesprochen."
Video, das Bolsonaro bei Freimaurern zeigt, geht viral
Da scheint man sich bei Konkurrent Bolsonaro wohl nicht mehr ganz so sicher zu sein. Anfang der Woche tauchte ein altes Video von Bolsonaro aus dessen Zeit als Kongressabgeordneter auf, wie er eine Rede bei den Freimaurern hält. Pikant: Der Bund gilt bei Evangelikalen als nicht besonders beliebt. Diese bilden jedoch eine wichtige Wählerbasis für Bolsonaro. Das Video ging viral.
In sozialen Netzwerken tauchten daraufhin wiederum Videos von vermeintlichen Bolsonaro-Anhängern auf, die zeigen sollen, wie sich evangelikale Anhänger des Präsidenten über ihn aufregen und ihm ob des Videos die Gefolgschaft entziehen. Einwandfrei verifizieren lassen sich diese Videos kaum. Auch die Herkunft des Freimaurer-Videos ist unklar. Die Wirkung verfehlte es aber anscheinend nicht. Am Ende sah sich sogar Bolsonaros Freund Malafaia dazu bemüßigt, die Wogen zu glätten.
Aber auch der Präsident nutzte die ersten Tage nach der Wahl für Gespräche. Er verfolgt dabei eine andere Taktik. Er sucht vor allem den Schulterschluss mit den Gouverneuren der bevölkerungsreichen Bundesstaaten. In Rio de Janeiro hatte Bolsonaros Mann Cláudio Castro die Wiederwahl deutlich geschafft. Er kündigte seine Unterstützung bereits an.
Ebenfalls sicher hat Romeu Zema sein Mandat im Bundesstaat Minas Gerais, das er mit 56 Prozent der Stimmen gewann. Minas ist ein bevölkerungsreicher Staat und ist damit so etwas wie ein Schlüsselstaat. Dort sind insgesamt mehr als zwölf Millionen Stimmen zu holen. Noch offen ist das Rennen um das Gouverneursamt im bevölkerungsreichsten Bundesstaat São Paulo. Insgesamt gut 27 Millionen Paulistas könnten dort Ende Oktober massiven Einfluss auf den Wahlausgang nehmen.
Gouverneur von São Paulo will Bolsonaro helfen
Die Chancen für Bolsonaro stehen nicht schlecht. Sein Verbündeter, der Kandidat Tarcísio de Freitas legte da, ähnlich wie Bolsonaro, ein überraschend gutes und in dieser Deutlichkeit nicht vorhergesagtes Ergebnis hin. Am Ende lag er mit 42,3 Prozent knapp sieben Prozentpunkte vor Fernando Haddad (35,7%), der Kandidat der PT und 2018 Präsidentschaftskandidat. Beide müssen nun in der Stichwahl gegeneinander antreten. Der ausscheidende Gouverneur Rodrigo García kündigte bereits an, Bolsonaro und de Freitas in der Stichwahl unterstützen zu wollen.
García ist von der Partei PSDB, die seit rund 30 Jahren ununterbrochen den Gouverneur von São Paulo stellte und dies nun erstmals seit Langem nicht mehr wird. Die Entscheidung für Bolsonaro, die sich beispielsweise gegen Altmeister Cardoso stellt, zeigt die Unentschlossenheit und Zerrissenheit der Partei. Denn deren Kandidat Eduardo Leite hofft in seiner Stichwahl um das Gouverneursamt in Rio Grande do Sul durchaus noch auf die Unterstützung von Lula und der PT.
Die ersten Entwicklungen zeigen: Das Rennen um das Präsidentenamt in Brasilien ist nach dem ersten Wahlgang offener, als viele das vorhergesagt hätten. Beide Kandidaten, Lula wie auch Bolsonaro, haben durchaus gleich gute Chancen, am 30. Oktober die Stichwahl gewinnen zu können.
Verwendete Quellen:
- resultados.tse.jus.br: Alle Wahlergebnisse
- Twitter-Post von Ciro Gomes, 4. Oktober
- Twitter-Post von Fernando Henrique Cardoso, 5. Oktober
- lula.com.br: Lula é cristão. Não existe qualquer relação com satanismo.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.