Hans-Christian Ströbele, Politiker der Grünen und Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages zur Überwachung der Geheimdienste, sieht einen Giftgaseinsatz des Assad-Regimes gegen die eigene Bevölkerung nicht als erwiesen an. Im Interview erklärt er, warum er den Geheimdienstinformationen um die Vorgänge in Syrien misstraut. Seine Forderung: Die Bundesrepublik Deutschland sollte sich aus einer Bestrafungsaktion gegen Syrien raushalten.
Herr Ströbele, viele Beobachter sehen es als erwiesen an, dass von dem Regime in Syrien Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt wird. Halten Sie vor diesem Hintergrund ein militärisches Eingreifen zum Schutz der Zivilbevölkerung für hinnehmbar?
Hans-Christian Ströbele: Die Auffassung der "vielen Beobachter" teile ich nicht. Es kann keine Rede davon sein, dass bewiesen ist, von wem oder auf wessen Befehl die schrecklichen Giftgasangriffe in Syrien erfolgten. (Anm. d. Red.: Das Interview wurde am Wochenende geführt. Der aktuelle Nachrichtenstand am Montag ist daher nicht enthalten.) Die Angaben der Geheimdienste sind mit spitzen Fingern anzufassen, schließlich haben sie mit dem Kriegsgrund für den Angriffskrieg auf den Irak - Saddam Hussein verfüge über biologische Kampfstoffe - eindeutig gelogen und diese Lüge inzwischen auch eingestanden. Außerdem wird durch Raketen und Bomben auf Damaskus und andere Ziele die Zivilbevölkerung nicht geschützt. Opfer dieser geplanten "Bestrafung" und "Vergeltung" werden wieder viele Menschen sein. Es gibt auch keinen international anerkannten Rechtfertigungsgrund für Angriffskriege zur Bestrafung eines Regimes. Schon gar nicht ohne UN-Mandat. Das wäre ein Bruch des Völkerrechts.
Angenommen die USA greifen an, sollte Deutschland eine Militäraktion logistisch unterstützen?
Ströbele: Nein, ganz und gar nicht. Die Bundesregierung sollte vielmehr den Mut haben, sich eindeutig gegen diesen Bestrafungskrieg zu äußern und den US-Krieg verurteilen.
Was sind die Alternativen zu einem militärischen Eingreifen? Macht sich der Westen nicht unglaubwürdig und mitschuldig, wenn er einfach tatenlos zusieht?
Ströbele: Es geht nicht um Tatenlosigkeit. Der geplante Kriegsschlag wird wohl die Gefahr des zukünftigen Einsatzes von Giftgas nicht verhindern, sondern erhöhen, denn die Giftgasdepots sollen nicht angegriffen werden. Notwendig ist eine Befassung des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag. Der Chefankläger muss ermitteln und das Gericht möglichst rasch entscheiden. Dafür wurde dieses Gericht geschaffen. Die Bundesregierung sollte ihr Möglichstes zur Unterstützung tun. Bei einer Schuldfeststellung wird sich voraussichtlich auch Russland nicht entziehen, "ernste Konsequenzen" zu realisieren. Jedenfalls wird dies auch von Präsident Putin immer wieder betont. Und Russland hat erheblichen Einfluss auf das Assad-Regime.
Können Sie Obamas Haltung, notfalls auch ohne Uno-Mandat zu handeln, nachvollziehen?
Ströbele: Nein, ich halte sie für falsch. Aus Gründen der Gesichtswahrung und des ansonsten drohenden Prestigeverlustes sollte kein Krieg geführt werden. Das weiß ein Friedensnobelpreisträger. Al-Kaida-Milizen könnte damit sehenden Auges der Weg nach Damaskus freigebombt werden.
Ist ein radikaler Pazifismus, wie ihn ein Teil der Grünen vertritt, angesichts der Komplexität heutiger Krisenherde noch zeitgemäß?
Ströbele: Pazifismus ist eine politische Haltung, die aller Ehren wert ist. Nur sind wir keine "radikalen Pazifisten", sondern Realisten, die voll Sorge immer wieder erleben, wie Kriege keinesfalls, wie behauptet, als allerletztes Mittel - ultima ratio - begonnen werden, sondern unverantwortlich unter Bruch des Völkerrechts und unter Missachtung der internationalen Organisationen wie UNO und Strafgerichtshof als gängiges Mittel der Politik. Die Fehler des nach zwölf Jahren verlorenen Afghanistankriegs, des Irakkriegs oder des Kriegs in Libyen werden wiederholt. Hundertausende Menschen waren Opfer dieser Fehler.
Würden Sie rückblickend den Kosovo-Krieg genauso ablehnen, wie sie es 1999 getan haben?
Ströbele: Ja sicher.
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