Die Medien kommentieren die Fehleinschätzung im Fall Al-Bakr eindeutig: Sachsen hat ein Problem – und die zuständige Politik redet sich heraus. Mal wieder.
Trotz massiver Kritik an Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow denkt dieser nicht an einen Rücktritt. Der aktuell gefährlichste Terrorverdächtige Deutschlands, Dschaber al-Bakr, hatte sich in seiner Zelle in der JVA Leipzig das Leben genommen – nach katastrophaler Fehleinschätzung zuständiger Experten.
Um Ausreden sind die Verantwortlichen während der Aufarbeitung des Falls jedoch nicht verlegen.
Man habe "alles getan, um das zu vermeiden", beteuerte Gemkow. Die Selbsttötung hätte nicht passieren dürfen, "es ist aber leider geschehen".
Schlechte Erklärungen klingen nach Ausreden
Dabei gab es Hinweise für eine akute Suizidgefahr bei Al-Bakr, beispielsweise die am Dienstag entdeckte abgerissene Deckenlampe.
Der Leiter der Leipziger Justizvollzugsanstalt, Rolf Jacob, erklärte, man hatte dies als "Vandalismus" eingestuft. Die Psychologin habe keine akute Selbstmordgefahr festgestellt. Sie habe keine Erfahrung mit Terroristen gehabt. Man habe sich jedoch in der Summe "an alle Vorschriften gehalten".
Gemkow erklärte, die Experten in der JVA hätten zudem "nicht so wirklich gewusst", wen sie vor sich hatten. "Im Nachhinein wissen wir natürlich mehr."
"Keine Erfahrung gehabt", "an Vorschriften gehalten", "nicht wirklich gewusst": Dabei handelt es sich um leere Phrasen von Politikern, um Ausreden. Es ist nicht das Eingeständnis der Schuld und was viel schlimmer ist: Die Politik sieht keine Anhaltspunkte dafür, personelle Konsequenzen zu ziehen. Es scheint in Sachsen dabei gehäuft so, als würde keine Verantwortung für Versäumnisse oder Fehler übernommen werden. Der Eindruck von einem funktionierenden Rechtsstaat schwindet damit zudem - und die Verantwortlichen reden sich weiter heraus.
Dazu kommt: Sachsens offensichtliches Problem mit dem Rechtsextremismus
Bautzen, Clausnitz, Dresden. Ganze Städte werden zum Synonym für fremdenfeindliche Übergriffe und Pegida.
Im Dezember 2015 greift ein Mob einen Bus mit Flüchtlingen an, manche Täter werfen sogar Steine und Flaschen. Die betroffene Gemeinde distanzierte sich anschließend von den Ausschreitungen und geht davon aus, dass die "Krawallmacher" von außerhalb kamen. Es ist nur ein Beispiel von vielen.
"In Sachsen passieren fünfmal so viele rechtsextrem motivierte Taten wie im Rest der Republik", sagt Kriminologe Christian Pfeiffer der Deutschen Presseagentur (dpa).
"Immer wieder Sachsen" oder "Sachsen hat ein Problem" kommentieren die Medien diesen Freitag die Geschehnisse.
Auf ein Eingeständnis, dass Sachsen ein Problem mit Rechtsextremismus hat, wartet man bereits seit Monaten vergeblich. Dabei sprechen die Zahlen für sich: Nirgendwo in Deutschland findet Pegida so viel Anklang wie auf den Straßen von Dresden. Und auch der sächsischen Polizei wurde in der Vergangenheit vorgeworfen, dass Beamte unter ihnen über rechtsradikales Gedankengut verfügen.
Auch jetzt nach der katastrophalen Fehleinschätzung der Lage bei Al-Bakr scheint die Politik keine Konsequenzen zu ziehen.
"Spiegel Online" schrieb treffend in einem Kommentar auf das Fehlverhalten der Justiz im Fall Al-Bakr: "So ist das in der Sachsen-CDU: Unangenehmes wird schöngeredet, unter den Teppich gekehrt - oder sogar bestritten."
Tillich räumt Fehler im Umgang mit Al-Bakr ein
Erst jetzt räumte Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) Fehler im Umgang mit Al-Bakr ein: "Der Umgang mit dem des Terrorismus bezichtigten Häftlings ist nicht in dem Maße erfolgt, wie es notwendig gewesen ist." Der Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission stehe er offen gegenüber.
Trotzdem wolle er nicht von "Staatsversagen" sprechen, wie es vorab die Linke tat.
Er schließt wieder mit einem Satz, der verdächtig nach einer faulen Ausrede klingt: "Natürlich kann man immer noch dieses und anderes besser machen, Fehler ausmerzen und aus den Fehlern lernen." Ob das reicht?
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