Verwundern dürfte die Erkenntnis, dass auch in Deutschland Dschihadisten leben, keinen mehr. Welche Gefahr von ihnen ausgeht, ist dagegen immer noch unklar. Gerade deshalb sind sämtliche Sicherheitsbehörden derzeit in höchster Alarmbereitschaft.
Spätestens seit dem missglückten Anschlag durch die Kofferbomber von Köln 2006 und dem Sprengsatzfund am Bonner Hauptbahnhof 2012, ist auch hierzulande das Terrorrisiko dramatisch gestiegen. Die Attentate in Paris haben diese Gefahr wieder einmal auf grausame Art vor Augen geführt. Wie aber ist die Situation in Deutschland tatsächlich einzuschätzen? Hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wie viele Syrien-Rückkehrer, "Gefährder" und mutmaßliche Terror-Unterstützer gibt es in Deutschland?
Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass rund 600 Personen in Richtung Syrien ausgereist sind, um sich dort am Kampf zu beteiligen oder Gruppen vor Ort zu unterstützen, heißt es aus dem Bundesministerium des Innern (BMI). Rund ein Drittel ist mittlerweile wieder zurückgekehrt. Etwa 35 von ihnen haben offenbar aktiv am bewaffneten Widerstand in Syrien teilgenommen. Der Journalist und ehemaliger BND-Mitarbeiter Wilhelm Dietl bezeichnet Deutschland deshalb mittlerweile als "willkommenen Rückzugsort" für Islamisten.
Wie viele sind das im europäischen Vergleich im Verhältnis zur Größe des Landes?
Gemessen an der Bevölkerungszahl von elf Millionen Bürgern gibt es vor allem in Belgien besonders viele Islamisten. Zumindest hat das in London sitzende "Internationale Zentrum zur Untersuchung von Radikalismus und politischer Gewalt" errechnet, dass inzwischen bis zu 400 belgische Muslime in Syrien gekämpft haben sollen. Auch auf deutscher Seite sollen 2011 rund 400 Salafisten nach Syrien gegangen sein – im Verhältnis also weniger als aus der "Terroristen-Hochburg" Belgien. Insgesamt gehen die Innenminister der EU davon aus, dass gegenwärtig rund 3.000 europäische Kämpfer den Terror nach Europa bringen könnten.
In welchen Städten und Gebieten sind Syrien-Rückkehrer? Warum dort?
Offenbar halten sich potentielle Islamisten eher in Ballungsgebieten wie in Nordrhein-Westfalen zwischen Düsseldorf und Dortmund auf oder sind in Berlin anzutreffen. Aber auch in Hessen tummelt sich eine stetig wachsende Szene radikaler Islamisten, sagen Experten. Wilhelm Dietl führt das auf einen hohen Ausländeranteil in den jeweiligen Bundesländern zurück. "Im bayrischen Wald werden Sie weniger Islamismus-Anhänger finden", glaubt er. "Auch weil da die Staatsmacht ganz genau hinschaut."
Werden alle persönlich überwacht? Gibt es dazu genug Personal?
Ob alle bewacht werden, lässt sich schwer sagen. Bei Rückkehrern können jedoch verschiedene Maßnahmen zur Anwendung kommen. Beispielsweise kann der Reisepass entzogen oder ein Reiseverbot sowie Meldeauflagen erteilt werden. In letzter Konsequenz wäre sogar eine Ausweisung möglich. Liegen konkrete Anschuldigungen gegen den Betroffenen vor, ist auch eine vorläufige Verhaftung denkbar. Aktiv werden die Behörden aber erst in besonderen Verdachtsmomenten, etwa wenn ein bekannter Islamist eine große Menge Chemikalien kauft. Dann informiert der Verfassungsschutz – als eine Art Vorwarnung – den Verdächtigen darüber, dass dieser beobachtet wird. Um einen solchen Warnschuss in jedem Fall rechtzeitig abzugeben, braucht es jedoch mehr Behördenmitarbeiter. In Bayern soll deshalb zusätzliches Personal eingestellt sowie geeignete Mitarbeiter umgeschult werden.
Wie groß ist die Gefahr, die von Syrien-Rückkehrern ausgeht?
Dass die deutschen Sicherheitsbehörden manchmal zu lange gewartet haben, bis sie eingeschritten sind, verdeutlichen die gescheiterten Anschläge in Köln beziehungsweise Koblenz und Bonn allzu gut. Dass in diesen Fällen nichts passiert ist, lag nicht an dem Eingriff der Polizei, sondern an der technischen Fehlkonstruktion der Sprengsätze. Aus dem BMI heißt es allerdings, alle zur Verfügung stehenden, rechtlichen Instrumente würden im Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt. Ob das kampferprobte Salafisten abschreckt, ist fragwürdig. Unter den Rückkehrern sind laut Terrorismusexperte Dietl allerdings auch solche, die erkennen, dass sie nicht für den "Heiligen Krieg" gemacht seien. Gefährlich nennt er dagegen diejenigen, die wirklich von der Sache überzeugt seien. "Momentan sehe ich aber für Deutschland keine wirkliche Gefahr, denn der Krieg in Syrien ist noch nicht zu Ende", sagt Dietl. "Die, die kämpfen wollen, haben dort noch eine Weile zu tun."
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