In diesem Alter kicken andere auf dem Fußballplatz, er hingegen wollte sich dem Islamischen Staat (IS) anschließen: Ein 13-Jähriger aus München ist das jüngste Beispiel dafür, wie die IS-Extremisten um minderjährige Anhänger buhlen. Im Internet werben die Islamisten gezielt um Jugendliche, um sie nach Syrien oder in den Irak zu locken.

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Nur noch ein paar Kilometer hätten gefehlt, dann wäre der Junge im Dschihad angekommen. Aus München sollte seine Reise mitten ins Herz des Islamischen Staats (IS) nach Syrien gehen – und das im Alter von gerade einmal 13 Jahren. Bis in die türkisch-syrische Grenzregion in Gaziantep war er schon gekommen, doch dann spürten ihn deutsche und türkische Behörden auf und nahmen ihn fest. Unterwegs war er mit einer weiblichen Verwandten gewesen, die in Syrien einen IS-Kämpfer heiraten wollte.

Dieser Fall von vergangener Woche offenbart auf besonders drastische Weise, wie weit die Arme des IS inzwischen reichen. Wie gezielt auch Minderjährige von den Extremisten umworben und manipuliert werden. Denn der 13-jährige Münchner ist kein Einzelfall, immer wieder schließen sich junge Mädchen und Jungen dem IS an – und das nicht nur in Deutschland, sondern in allen Teilen der Welt.

Mehr als 30 minderjährige Deutsche sind ausgereist

Tatsächlich ist das Phänomen jugendlicher Terror-Touristen nicht neu. Bereits im vergangenen Herbst zählte das Bundesamt für Verfassungsschutz 24 Minderjährige, die aus der Bundesrepublik nach Syrien oder Irak ausgereist waren – der jüngste von ihnen ebenfalls nur 13 Jahre alt. "Diese jungen Leute sind verblendet und wissen gar nicht, was auf sie zukommt", kommentierte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen damals die Zahlen. Schätzungen gehen inzwischen von 30 bis 35 Minderjährigen aus, insgesamt sollen sich bisher rund 720 Menschen aus Deutschland auf den Weg zum IS gemacht haben.

Zwar lässt sich nicht nachvollziehen, ob die Zahl minderjähriger IS-Anhänger zuletzt besonders angestiegen ist. Doch auch so wächst diese Zielgruppe beständig weiter. Bekannt wurde vor dem Jungen aus München zuletzt vor allem Elif Ö. Die 16-Jährige reiste im April nach Syrien und heiratete dort offenbar einen IS-Kämpfer. Inzwischen verbreitet sie auf ihrer Facebook-Seite extremistische Propaganda, als Beruf gibt sie an: "Ehefrau bei Islamischer Staat".

Wie Elif gehen immer wieder junge Menschen den IS-Ideologen in die Fänge. Vergangenes Jahr reisten die beiden Mädchen Samra (17) und Sabina (15) aus Österreich nach Syrien – und berichteten Monate später, dass sie wieder zurück möchten. Im Dezember stoppten US-Behörden drei junge Männer am Flughafen in Chicago, die über Istanbul nach Syrien gelangen wollten. Und das einst für seine beispiellose Integration gerühmte Großbritannien verlassen regelmäßig junge Menschen in Richtung Kalifat. Doch was treibt all diese Minderjährigen zum Islamischen Staat?

Jugendliche suchen eine Perspektive

Sucht man nach einem Muster, ist es am ehesten dieses: "In Deutschland sind es meist junge Männer, die versuchen, ihrem eigentlich gescheiterten Leben mit einer anderen Ideologie einen Sinn zu geben", erklärte Jochen Hippler, Politikwissenschaftler und Friedensforscher der Universität Duisburg-Essen, im Gespräch mit unserem Portal. Viele der betroffenen Jugendlichen fühlen sich von der Gesellschaft ausgegrenzt, sind in Schule oder Beruf schlecht eingebunden und sehen keine Perspektive.

Der IS hingegen verspricht ihnen all das, was ihnen im Westen vermeintlich verwehrt bleibt: Einfluss, Mitbestimmung – und vor allem ein gesteigertes Selbstwertgefühl. "Als IS-Anhänger ist man Teil einer Gruppe, die die ganze Welt aufmischt, man kriegt ein überbordendes Machtgefühl", sagte Andreas Zick im Interview mit der "Wirtschaftswoche". Zick leitet das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld und weiß: Der IS inszeniert eine heile Parallelwelt und will junge Menschen dazu bewegen, ihr bisheriges Leben dafür aufzugeben.

IS manipuliert Teenager für seine Zwecke

Es überrascht kaum, dass gerade Jugendliche für diese Art von Propaganda empfänglich sind. Für viele ist die Lebensphase als Teenager eine Zeit des Umbruchs. Sie sind auf der Suche nach ihrem Platz im Leben und beginnen, tiefergehende Fragen zu stellen. Genau das macht sie zu einem attraktiven Ziel für die Propaganda der Islamisten. "Sie gibt den Jugendlichen das Gefühl, nicht außen vor zu stehen", erklärte Zick. Die Ideologen des Islamischen Staats missbrauchen so die Suche nach Antworten und können sich ihren eigenen radikalen Nachwuchs formen.

Die Islamwissenschaftler Hazim Fouad und Behnam T. Said deuten den Islamismus in ihrem Buch "Salafismus" auch als eine Art neuer Punk. Denn an den alten Punk als Subkultur der vergangenen Jahrzehnte habe sich die Gesellschaft längst gewöhnt – damit lasse sich nicht mehr gegen die Generation der Eltern rebellieren. Anders der Islamismus, so die Autoren: "Mit dem offen und auch konfrontativ zur Schau gestellten muslimischen Glauben hingegen können die Jugendlichen diese Generation noch provozieren."

Propaganda und Anwerbung läuft vor allem über das Internet

Das wissen auch die Extremisten und haben ihre Propaganda-Kanäle auf die Jugend zugeschnitten. "Sie nutzen alle Möglichkeiten des Internets für Propaganda und Missionierungen, insbesondere gehen sie massiv in die sozialen Netzwerke", warnte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann erst am Montag, als er den aktuellen Verfassungsschutzbericht vorstellte. Besonders beliebt ist auch der Instant-Messenger WhatsApp. Anders als öffentliche Internetforen können Sicherheitsbehörden die Chats und Gruppen hier nur schwer überwachen – oder überhaupt finden.

Gerade Frauen sind zu einer eigenen Zielgruppe geworden. Die amerikanische SITE Intelligence Group beobachtet islamistische Websites und kommt zu dem Schluss, dass der IS "gezielt Inhalte für weibliche Dschihadismus-Anhänger veröffentlicht", um ihnen bei ihrer Reise ins Kalifat zu helfen. Einmal dort angekommen, versuchen sie oft wie die 16-jährigen Elif Ö. weitere Minderjährige aus dem Westen zu locken. Und dass diese Rufe des IS nicht ungehört bleiben, hat das Beispiel des 13-Jährigen aus München einmal mehr gezeigt.

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