Mindestens vier Todesopfer, 22 Verletzte und eine Stadt im Ausnahmezustand - der Terroranschlag von Montagabend in Wien, zu dem sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannt hat, hat viele Fragen aufgeworfen. Was wir bislang über die Tat wissen - und was nicht.
Nach dem Terroranschlag in Wien am Montagabend ist noch nicht klar, ob der Täter alleine gehandelt hat oder ob er Komplizen hatte. Sicher ist: mindestens vier Passanten sind bei der Bluttat ums Leben gekommen, auch ein Täter wurde erschossen.
Terroranschlag in Wien: Was wir wissen
Die Opfer:
Es seien ein älterer Mann, eine ältere Frau, ein junger Passant und eine Kellnerin ums Leben gekommen, sagte Österreichs Kanzler
Innenminister
Unter den Verletzten befindet sich auch ein Polizist. Der 28-Jährige habe sich dem Täter entgegengestellt, sei niedergeschossen und verletzt worden, sagte Kurz. Nach Angaben der Kliniksprecherin befindet er sich "kritisch-stabilem" Zustand.
Die Tat:
Der Terrorangriff ereignete sich wenige Stunden vor Beginn des teilweisen Corona-Lockdowns in Österreich. Die ersten Schüsse fielen am Montagabend gegen 20:00 Uhr nahe der Hauptsynagoge in einem Wiener Ausgehviertel.
Bewaffnet mit einem Sturmgewehr, einer Pistole, einer Machete sowie einer Sprengstoffgürtel-Attrappe feuerte ein Mann in die Menge und wahllos in die Lokale.
Insgesamt wurden vier Passanten getötet, außerdem wurde der Täter von der Polizei erschossen. Nach Angaben von Innenminister Karl Nehammer dauerte es neun Minuten, bis die Polizei den Täter ausschalten konnte. Der Attentäter habe zu diesem Zeitpunkt noch viel Munition bei sich getragen.
Der Tatort:
Nach Angaben der Polizei gab es sechs verschiedene Tatorte, darunter die Seitenstettengasse, den Morzinplatz, den Fleischmarkt und den Bauernmarkt. Einer der Orte liegt in der Nähe der Synagoge.
Nach der Tat war die Wiener Innenstadt zeitweise mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr erreichbar. Weder Busse noch Bahnen steuerten Ziele im historischen Kern an.
Der Täter und die Hintergründe:
Am Dienstagabend reklamierte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Tat für sich. Ein "Soldat des Kalifats" habe die Attacke mit Schusswaffen und einem Messer verübt und in der österreichischen Hauptstadt rund 30 Menschen getötet oder verletzt, darunter auch Polizisten, teilte der IS auf seiner Plattform Naschir News mit.
Der Attentäter war 20 Jahre alt. Polizisten erschossen ihn in der Nähe der Ruprechtskirche in der Wiener Innenstadt. Namen und Herkunft nach gehörte er der albanischen Minderheit in Nordmazedonien an. Der Mann war einschlägig wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorbestraft, sagte Österreichs Innenminister Nehammer der Nachrichtenagentur APA am Dienstag.
Nach Informationen der Wiener Stadtzeitung "Falter" wurde der Attentäter in Wien geboren und wuchs dort auf. Er besaß nach Angaben von Nehammer neben der österreichischen auch die nordmazedonische Staatsbürgerschaft.
Der ehemalige Anwalt des jungen Mannes Nikolaus Rast sagte am Dienstag, der junge Mann stamme aus einer völlig normalen Familie. "Für mich war das ein Jugendlicher, der das Pech gehabt hat, an die falschen Freunde zu geraten", so der Strafverteidiger der APA. Nach Medienberichten hatte sich seine eigene Mutter in der Vergangenheit an die Behörden gewandt.
Der Attentäter sei Nehammer zufolge ein Sympathisant der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gewesen. Der Mann wurde am 25. April 2019 zu 22 Monaten Haft verurteilt, weil er versucht hatte, nach Syrien auszureisen, um sich dort dem IS anzuschließen.
Am 5. Dezember wurde er vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Es sei ihm gelungen, die Behörden über seine Entradikalisierung zu täuschen. Demnach galt er als junger Erwachsener und fiel damit unter die Privilegien des Jugendgerichtsgesetzes.
Nehammer bestätigte der APA, dass der 20-Jährige vor dem Anschlag auf seinem Instagram-Account ein Foto gepostet hatte, das ihn mit zwei Waffen zeigte, die er später bei dem Anschlag verwendet haben dürfte.
Die Ermittlungen:
Laut Nehammer hätten bereits umfangreiche Großrazzien im Umfeld des Täters stattgefunden. Konkret durchsuche die Polizei insgesamt 18 Wohnungen und nahm 14 Personen in Wien, St. Pölten und Linz fest. Die österreichische Tageszeitung "Kurier" berichtete, es handele sich um Kontaktadressen des mutmaßlichen Attentäters. Widerstand geleistet habe niemand.
Die Wohnung des Täters wurde aufgesprengt. 1.000 Beamte sind nach Angaben des Innenministeriums in Wien im Einsatz, wobei Beamte aus Niederösterreich und dem Burgenland beigezogen wurden. Auch die steirische Polizei schickte Einheiten zur Verstärkung nach Wien.
Die städtische Infrastruktur und öffentliche Räume wurden gesichert, zum Objektschutz stellte das Bundesheer 75 Soldaten ab.
Was wir nicht wissen
Die möglichen Hintermänner:
Polizei und Innenministerium gehen von einem politischen Hintergrund der Tat aus. Zunächst hatte die Polizei nicht ausgeschlossen, dass an dem Schusswechsel weitere Täter beteiligt gewesen sein könnten. Die Innenstadt blieb nachts weitgehend abgeriegelt.
Am Dienstagnachmittag erklärte Nehammer, es gebe keinen Hinweis auf einen zweiten Täter. Das gehe aus den bisherigen Ermittlungen und den Auswertungen von vielen der rund 20.000 Videos hervor, die die Bürger der Polizei zur Verfügung gestellt hätten.
Österreichs Kanzler Kurz gab jedoch noch keine Entwarnung. "Die Lage ist nach wie vor angespannt", sagte er am Dienstagnachmittag bei "Bild live". Es gebe die Angst vor Nachahmungstätern. Zudem wollte der ÖVP-Chef nicht endgültig ausschließen, dass es nicht doch noch einen zweiten flüchtigen Täter geben könnte. "Wir gehen mittlerweile davon aus, dass es nur einen Täter gegeben hat, der sich sehr schnell bewegt hat und an sechs Orten in der Wiener Innenstadt um sich geschossen hat und eben zahlreiche Menschen hier kaltblütig ermordet hat. Aber wir haben noch keine hundertprozentige Gewissheit", betonte Kurz.
Unklar ist auch noch, ob der getötete Schütze Unterstützer im Hintergrund hatte, und wie er sich die Waffen besorgen konnte.
Das Motiv:
Trotz der Verbindung zur Terrormiliz IS ist das konkrete Motiv für die Tat bislang nicht bekannt. Wollte der Schütze Panik im gut besuchten Ausgehviertel verbreiten oder hatte er sich die Synagoge als Ziel ausgesucht?
Nach Angaben des Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, waren allerdings sowohl die Synagoge als auch das Bürogebäude an derselben Adresse zum Zeitpunkt der ersten Schüsse nicht mehr in Betrieb und geschlossen.
Die Polizei stellte bei der Durchsuchung der Wohnung des Attentäters Munitionsteile sicher. Zusätzlich wurde umfangreiches weiteres Beweismaterial beschlagnahmt, das erst ausgewertet werden muss. Es gebe laut Nehammer jedoch ein "klares Indiz" für eine Nähe zur Terrormiliz Islamischen Staat.
Die Überwachung:
Der Täter war einschlägig vorbestraft. Ob und wie die Sicherheitsbehörden ihn auch nach seiner vorzeitigen Haftentlassung auf dem Schirm hatten, blieb zunächst offen. Er habe sich in seiner Bewährungszeit frei bewegen können, sagte Innenminister Nehammer.
Der ÖVP-Politiker kritisierte die Justiz. Der 20-Jährige war bereits einschlägig aufgefallen und den Behörden länger bekannt. Aber er habe es geschafft, "das Deradikalisierungsprogramm der Justiz zu täuschen", sagte der Innenminister. Es bedürfe daher einer "Evaluierung und Optimierung des Systems". (hub/mf/ank/dpa/apa)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.