- Ein S-Bahn-Bauprojekt sorgt aktuell bundesweit für Aufsehen: die sogenannte zweite Stammstrecke in München.
- Sie wird voraussichtlich deutlich teurer und später fertig als ursprünglich geplant.
- Münchens Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) spricht von einem "Desaster" und macht der CSU-Landesregierung Vorwürfe.
Ein Bauprojekt der S-Bahn in München sorgt aktuell bundesweit für Aufsehen. Die sogenannte zweite Stammstrecke wird teurer und später fertig als geplant. Ursprünglich waren 500 Millionen Euro Kosten und ein Start im Jahr 2010 angedacht. Nach aktuellen Schätzungen werden 2037 und ein Preis von rund 7,2 Milliarden Euro anvisiert.
Frau Habenschaden, Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hat sinngemäß gesagt, die zweite Stammstrecke dürfe kein neuer BER werden. Ist sie das nicht schon?
Es ist auf alle Fälle ein Desaster für München und die Pendlerinnen und Pendler, die die Zeche zahlen müssen für das, was in den vergangenen Jahren auf Landes- und Bundesebene vergeigt wurde. Jetzt müssen dringend belastbare Zahlen auf den Tisch. Wir haben bei der Bahn angefragt, aber noch nichts vorliegen. München wächst, deshalb brauchen wir eine massive Verbesserung des ÖPNV. Die zweite Stammstrecke wurde von der CSU-Staatsregierung, aber genauso auch vom damaligen CSU-Bundesverkehrsminister
Die Planung wird auf Kante genäht, dann tauchen angeblich vorher unbekannte Probleme auf und dann wird alles teurer und dauert länger: Ist es bei solchen Projekten nicht gefühlt immer das Gleiche?
Absolut. Wir wissen schon lange, dass die Kosten viel zu gering angegeben wurden, um das Projekt als öffentlich förderfähig darstellen zu können. Dieses Problem erleben wir immer wieder bei Infrastrukturprojekten. Das ist bei der Stammstrecke ja auch nicht das erste Mal, dass es eine Steigerung bei Bauzeit und Preis gibt. Schon in der letzten Amtsperiode hatten wir in regelmäßigen Abständen die Verantwortlichen von der Bahn bei uns in der Vollversammlung des Stadtrates, um uns die Gründe erläutern zu lassen. Aber auch die CSU-Staatsregierung und der frühere Verkehrsminister Scheuer müssen sich die Frage gefallen lassen, was sie wann wussten: Eine Verdoppelung der Kosten und eine Verzögerung um ein Jahrzehnt werden ja nicht plötzlich letzte Woche aufgefallen sein.
Bis zum Herbst soll der Kosten-Nutzen-Faktor des Projekts neu untersucht werden. Landesverkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) und Bahn-Bayern-Chef Klaus-Dieter Josel schließen einen Abbruch und Rückbau aus. Sie auch?
Ich habe noch nicht die Daten und Fakten, die ich bräuchte, um so eine wichtige Frage zu beantworten. Fest steht: Es sind bereits hohe Summen im wahrsten Sinne des Wortes versenkt und verbuddelt worden. Ich weiß bisher nicht, was von dem bereits Gebauten bei einem Baustopp anderweitig nutzbar wäre und was nicht. Und wie würde es dann mit der Bundes- und Landesförderung von ÖPNV-Verkehrsprojekten in München weitergehen? Es ist ja nicht so, dass bei einem Baustopp die Gelder dann direkt für unsere anderen Projekte zur Verfügung stünden. Diese ganzen möglichen Auswirkungen können wir vonseiten der Landeshauptstadt noch überhaupt nicht beurteilen. Von daher finde ich eine Forderung nach einem Baustopp vorschnell.
Zu vielen Bereichen, die die Kommunalpolitik betreffen, gibt es Vorgaben aus Brüssel oder Berlin. Wie eingeschränkt fühlen Sie sich da als Bürgermeisterin?
Schon stark. Wir sind anders als Berlin oder Hamburg kein Stadtstaat. Die Kollegen und Kolleginnen haben ganz andere Möglichkeiten, politisch zu gestalten, da sie größere Handlungsspielräume haben, die sich aus der Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer ergeben. Stichwort Verkehrswende: Wir werden als Stadt sehr viel Geld investieren, um unsere ÖPNV-Projekte voranzutreiben. Aber wir werden es nicht ohne Bundes- und Landesförderung schaffen. Da sind wir abhängig. Übrigens auch bei der Höhe der Parkgebühren oder verkehrslenkenden Konzepten wie der Citymaut. Ohne Zustimmung des Freistaats geht nichts.
Ein mögliches Projekt wäre ein 365-Euro-Ticket für alle, wie es Wien schon hat und München bisher nur für Schülerinnen, Schüler und Auszubildende.
Auch Wien ist gleichzeitig eben ein Bundesland und kann sich dadurch entsprechende Voraussetzungen für so etwas schaffen. Wir haben eine Ausweitung des Tickets im Koalitionsvertrag stehen, sind aber auf Unterstützung des Freistaats angewiesen. Ein 365-Euro-Ticket in bayerischen Ballungsräumen war im letzten Landtagswahlkampf ein Versprechen von
Es gibt viel Kritik an Ihrer Partei dafür, das Bundesverkehrsministerium der FDP überlassen zu haben. Wie bewerten Sie die bisherige Bilanz von
Auch ich hätte es mir lieber bei einem anderen Ampel-Partner und natürlich gerne in grüner Besetzung gewünscht. Gerade weil ein Fokus auf den ÖPNV nach einem jahrzehntelangen Fokus auf den Straßenausbau besonders für uns in den Städten und Ballungsräumen so wichtig gewesen wäre. Einen solchen Fokus habe ich bei Volker Wissing bisher noch nicht entdeckt.
Hat die Stadt für all die geplanten Projekte wie den Ausbau von Radwegen genug Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Ein „Superblock“ als verkehrsberuhigtes Viertel nach dem Vorbild von Barcelona wurde wegen Personalmangels im Mobilitätsreferat nicht umgesetzt.
Die Superblocks stehen nach wie vor auf der To-do-Liste. Aufgrund der Personalengpässe geht leider nicht alles gleichzeitig. Die städtischen Referate mussten in den vergangenen zweieinhalb Jahren immer wieder eine hohe Zahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abstellen – erst für die Bewältigung der Pandemie und dann zur Aufnahme der geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer. Im Moment sieht es so aus – auch wenn niemand weiß, was der Herbst bringt –, dass wir bezüglich der Personalsituation jetzt erstmalig eine leichte Entspannung erleben. Deshalb können wir bei vielen Themen neu durchstarten. Die Superblocks sind für mich ein wichtiges Thema, weil ich mir von diesem Quartiersansatz ein schnelleres Vorankommen bei Verkehrswende und Klimaschutz erhoffe.
Projekte zu umstrittenen Themen wie "weniger Autos" sorgen in der Öffentlichkeit und bei manchen Medien oft für einen Aufschrei. Wie erleben Sie das?
Dadurch, dass es immer dieselben Medien mit immer derselben Vorgehensweise sind, bin ich da mittlerweile ganz entspannt. Ich bin dafür, bei solchen umgestaltenden Maßnahmen die Pläne vor Ort gut zu erklären. Es gibt bei so etwas einfach Beharrungstendenzen beziehungsweise den Gedanken, dass doch eigentlich alles okay sei – so, wie es ist. Da hat man ein bestimmtes Bild im Kopf und ich glaube, es ist wichtig, andere und neue Bilder zu zeichnen. Wenn man sich zum Beispiel den Entwurf anschaut von der geplanten Umgestaltung des Tals...
...einer Straße in der Innenstadt, die weitgehend autofrei werden soll...
...dann bekomme ich da positive Rückmeldungen auch aus Richtungen, wo vorher Skepsis herrschte. Zu dem Bild sagen die Leute dann: 'Jetzt verstehe ich, dass der Bus und Fahrräder ja doch weiter durchfahren können und ich mit dem Taxi noch zum Hotel komme.' Ich glaube, das ist die Hauptaufgabe von Kommunalpolitik: einen guten Weg zu finden, das, was man vorhat, zu erklären und die Vorteile herauszustellen.
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