Niedersachsen hat gewählt, und Deutschland reibt sich erstaunt die Augen. Über die schon totgesagte FDP, die es mal wieder allen gezeigt hat. Von wegen hochkant rausfliegen aus dem Landtag - mit fast zehn Prozent der Stimmen verzeichnen die Liberalen ihr bislang bestes Ergebnis in dem Land zwischen Nordsee und Elbe.
Wenn das Umfragetal am tiefsten, der Jammer am lautesten und das Mobbing der Parteifreunde gegen ihren Chef Philipp Rösler am fiesesten sind, ausgerechnet dann feiert die FDP ihre größten Erfolge.
Last minute zur FDP wechseln
Nun darf darüber spekuliert werden, welchen Anteil die FDP selbst und Rösler an dem Erfolg in dessen Heimatland haben. Laut Forschungsgruppe Wahlen profitierten die Liberalen vor allem von ihrer massiven Zweitstimmenkampagne zu Lasten der CDU. Jeder vierte FDP-Wähler wechselte demnach "last minute" aus dem CDU-Lager zu den Liberalen.
Auf fast schon tragikomische Weise ist die Partei offenbar dann am erfolgreichsten, wenn sie am wenigsten selbst dafür tut. Bei der Bundestagswahl im Herbst 2009, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, schwemmte die FDP mit 14,6 Prozent in den Berliner Reichstag, weil die Bürger in ihr das letzte Bollwerk der Marktwirtschaft im aus den Fugen geratenen Weltkapitalismus sahen. Damals konnte sie vor Kraft kaum laufen und versprach viel, setzte aber außer einem reduzierten Mehrwertsteuersatz für Hoteliers nicht viel durch.
Läuft ohne "Fremdblutzufuhr" nichts?
Die Anhänger der Partei scheinen eine besondere Wahlspezies zu sein: Großzügig verzeihen und vergessen sie den Freien Demokraten alles. Sie setzen ihr Kreuz offenbar vor allem nach funktionellen Überlegungen. Wird die FDP für einen Ministerpräsidenten David McAllister gebraucht? Für weitere vier Jahre Merkel im Bund? Oder, noch wichtiger, wogegen wird sie gebraucht: Mal soll die FDP Rot-Grün verhindern, mal den Atomausstieg, dann die Zulassung von Internetapotheken. Ohne Fremdblutzufuhr von anderen Parteien sei die FDP nicht mehr überlebensfähig, diagnostizierte SPD-Chef Sigmar Gabriel am Wahlabend bissig.
Philipp Rösler kann es erst mal egal sein, ob die FDP ihr Traumergebnis aus eigener oder fremder Kraft geschafft hat. Entscheidend ist, was hinten rauskommt, pflegte schon Altkanzler Helmut Kohl zu sagen. Der Überraschungssieger landet am Tag nach der Wahl den nächsten Coup und bietet seinen Rücktritt an - und setzt damit Fraktionschef Rainer Brüderle unter Druck. Diese vermeintliche Großzügigkeit und Gelassenheit im Umgang mit der Macht könnte ihm diese am Ende erst recht sichern. Nur auf eines scheint bei der FDP derzeit Verlass: Für Überraschungen ist sie immer gut.
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