Ziehen sich die USA als Nato-Führungsmacht und Weltpolizei zurück? Die außenpolitischen Ideen des baldigen US-Präsidenten Donald Trump sorgen zumindest für Unsicherheit in Europa. US-Experten sind dabei uneins, inwiefern die Befürchtungen berechtigt sind.
Viele Außenpolitiker rund um den Globus wirkten nach der Wahl
Einerseits sprach Trump davon, den Nato-Verbündeten mehr Leistungen abverlangen zu wollen. Andererseits erklärte der republikanische Kandidat, die Bemühungen der USA zur Vernichtung der Terrororganisation "Islamischer Staat" deutlich zu verstärken.
Einerseits sprach Trump von seinem Wunsch, das Verhältnis zu Russland zu entspannen. Andererseits könnte er Personen wie Newt Gingrich oder Rudy Giuliani in sein Kabinett berufen, die sich vor dem Wahlkampf gerne mal als Russland-Fresser positionierten.
Ja - was denn nun? Was für eine Außenpolitik dürfen wir von Trump erwarten? Ist die Angst Europas vor dem Rückzug der USA aus der Nato berechtigt? Steht die alte Weltordnung tatsächlich vor dem Ende?
"Niemand weiß, was uns erwartet"
Seit den 1950er Jahren waren für alle US-Regierungen - ob republikanisch oder demokratisch - die Grundprinzipien offener Märkte und kollektiver Verteidigung unumstößlich. Nun zieht bald ein Mann ins Weiße Haus, der die Grundpfeiler der von Amerika geführten Ordnung infrage stellt.
"Trump hat ja betont, Amerika wieder groß zu machen", erklärt Boris Vormann vom John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin im Gespräch mit unserer Redaktion. "Deswegen erwarte ich, dass er sich auf die innenpolitischen Probleme konzentriert und keine sehr aktive Außenpolitik betreiben wird."
Die Unsicherheit, die in Europa nach der US-Wahl eingezogen ist, kann der Politologe jedoch nachvollziehen. "Die Sorgen sind durchaus berechtigt, denn niemand weiß so richtig, was für eine Außenpolitik uns jetzt erwartet", sagt Vormann.
Trump habe weder Erfahrung auf dem Gebiet, noch "ideologisch gefestigte Positionen". "In der Tat gibt es Grund zur Sorge", meint auch US-Experte James Davis von der Universität St. Gallen in der "Süddeutschen Zeitung". In Panik zu verfallen sei aber verkehrt.
Politische Identität Europas festigen
Es gibt aber auch eine zuversichtlichere Deutung der Ereignisse. Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger sagte dem "rbb-Inforadio", wenn Trump mit seiner Politik mehr auf Amerika ziele, sei dies an sich nichts Schlechtes. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass Europa sicherheitspolitisch endlich erwachsen wird", sagte Ischinger. Man habe sich über ein halbes Jahrhundert darauf verlassen können, dass die USA die Westeuropäer im Ernstfall immer schützten.
Auch US-Kenner Vormann sieht eine "Chance für Europa, eine aktivere Außenpolitik zu betreiben und vielleicht darüber die arg in Mitleidenschaft gezogene politische Identität Europas zu festigen". Aktuell gibt es schon mehr als 30 europäische Missionen auf drei Kontinenten, etwa die EU-Trainings und Ausbildungsmission im westafrikanischen Mali. Gedankenspiele zu einer gemeinsamen europäischen Armee stoßen indes noch auf großen Widerstand.
US-Präsident ist "kein Alleinherrscher"
Noch ist ja gar nicht klar, wie sich die Vereinigten Staaten künftig positionieren. Sollte Trump an seinen Plänen zum Rückzug der USA aus der großen Weltpolitik tatsächlich festhalten, wäre noch nicht ausgemacht, ob seine Parteifreunde überhaupt mitziehen würden. "Obwohl die Verfassung dem Präsidenten eine herausragende Stellung in der Außenpolitik einräumt", analysiert James Davis, "ist das Staatsoberhaupt auch auf diesem Gebiet kein Alleinherrscher."
Es gebe Parteifreunde, die "an ihrer Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive festhalten und eigenmächtige Schritte des Präsidenten mit Argwohn beobachten werden", meint der Politologe.
Zudem bestünden internationale Verpflichtungen der USA, die Trump nicht im Alleingang kündigen könne. Mögliche Versuche, aus der Nato, der Welthandelsorganisation WTO oder sogar der nordamerikanischen Freihandelszone Nafta auszutreten, wären "sofort einer Opposition über Parteigrenzen hinweg ausgesetzt", behauptet Davis.
Boris Vormann ist in diesem Punkt weniger zuversichtlich. "Ich denke, am Ende wird sich der Opportunismus unter den Republikanern durchsetzen. Die meisten werden Trumps Politik folgen." Einige sehen das als Bedrohung für Europa, andere als Chance.
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