In der Türkei muss der frühere Vorsitzende der pro-kurdischen HDP-Partei, Selahattin Demirtas, für lange Zeit ins Gefängnis. Er galt als Hoffnungsträger der Opposition.
Der frühere Vorsitzende der pro-kurdischen HDP-Partei, Selahattin Demirtas, ist in der Türkei zu 42 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Das Gericht sprach den 51-Jährigen etwa wegen Terrorpropaganda und wegen Beihilfe zur Störung der Einheit und Integrität des Staates schuldig, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstag berichtete.
Dem bereits seit 2016 inhaftierten Demirtas wurde vorgeworfen, im Zusammenhang mit den gewaltsamen Protesten im Jahr 2014 gegen die Belagerung der nordsyrischen Stadt Kobane durch die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) unter anderem die Einheit des Staates verletzt zu haben. Anwälte aus Demirtas' Verteidigerteam erklärten, Berufung einlegen zu wollen.
Demirtas wegen 47 Straftatbeständen angeklagt
Zudem wurde die frühere Ko-Vorsitzende der HDP, Figen Yüksekdag, von dem Gericht in Sincan am Rande der Hauptstadt Ankara zu 30 Jahren und drei Monaten Haft verurteilt, wie der private Sender NTV und die Menschenrechtsgruppe MLSA berichteten.
Der 51-jährige Demirtas war wegen 47 Straftatbeständen angeklagt, darunter Verletzung der Einheit des Staates und der territorialen Integrität sowie Anstiftung zu einem Verbrechen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte das Verfahren in der Vergangenheit kritisiert und die Freilassung Demirtas' verlangt. Insgesamt waren in dem Prozess 108 Menschen angeklagt worden, von denen nur wenige freigesprochen wurden.
Die Proteste, in deren Verlauf Demirtas seine Taten begangen haben soll, flammten auf, als 2014 die größtenteils von Kurden bewohnte Stadt Kobane nahe der türkischen Grenze in Nordsyrien vom IS angegriffen wurde und die türkische Armee untätig blieb. Die Gefechte waren von der türkischen Seite der Grenze zu sehen. Viele Kurden in der Türkei gaben der Armee eine Mitschuld an der nachfolgenden humanitären Katastrophe.
Heftige Kritik an Demirtas-Urteil
Bei den Protesten starben 37 Menschen. Die Dschihadisten wurden später von syrisch-kurdischen Kämpfern, die von den USA unterstützt werden, aus Kobane verdrängt. Die Türkei sieht diese Kämpfer als Terroristen an.
Demirtas hatte das Verfahren gegen ihn in einer Aussage im vergangenen Jahr als "Rache-Prozess" bezeichnet. "Es gibt keinen einzigen Beweis gegen mich, wir wurden nicht rechtmäßig verhaftet, wir sind alle politische Geiseln", sagte er.
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigt die HDP, der politische Arm der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sein. Die HDP weist dies zurück. Gegen die HDP läuft ein Verbotsverfahren, HDP-Abgeordnete schlossen sich zu einer neuen Partei namens DEM zusammen.
Der Co-Vorsitzende der DEM, Tuncer Bakirhan, prangerte das Urteil als "schwarzen Fleck in der Geschichte der türkischen Justiz" an. "Wir alle waren heute Zeugen eines juristischen Massakers", gab Bakirhan an. "Es wurde versucht, Kurden und Revolutionäre von der politischen Bühne zu tilgen."
Demirtas trat zweimal gegen Erdogan bei Präsidentschaftswahlen an
DEM-Abgeordnete entrollten während einer Sitzung des Parlaments am Donnerstag Porträts von Demirtas und Yüksekdag, um gegen das Urteil zu protestieren. Unterdessen verhängte der Gouverneur von Diyarbakir ein viertägiges Demonstrationsverbot in der mehrheitlich von Kurden bewohnten Provinz im Südosten des Landes.
Der charismatische Demirtas war lange ein ernsthafter Rivale Erdogans, zweimal trat er gegen ihn bei den Präsidentschaftswahlen an. Dann wurde ihm von der Regierung in Ankara "Terrorismus" vorgeworfen, im November 2016 wurde er inhaftiert. Erdogan hatte nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten 2023 gesagt, Demirtas komme nicht aus dem Gefängnis frei, solange er an der Macht sei.
Der 51-Jährige sitzt in einem Gefängnis in der westtürkischen Stadt Edirne ein und muss sich in mehreren Verfahren verantworten, die von Regierungen westlicher Länder als Teil von Erdogans Vorgehen gegen politisch Andersdenkende eingestuft werden. (mt/dpa/afp)
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