Am vergangenen Sonntag wurde in der Türkei gewählt. Entgegen der Umfragen hat Präsident Recep Tayyip Erdogan die Wahl nicht verloren, am 28. Mai kommt es zur Stichwahl. Türkei-Experte Salim Cevik ist sich trotzdem sicher, dass der Amtsinhaber jetzt schon gewonnen hat.
Am Montagnachmittag stand das Ergebnis fest: Bei der Präsidentschaftswahl in der Türkei wird es zur Stichwahl kommen. Weder Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan noch Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu konnten die absolute Mehrheit der Stimmen gewinnen. Nach Auszählung der Stimmen liegt Amtsinhaber Erdogan bei 49,4 Prozent der Stimmen, Kilicdaroglu, gemeinsamer Kandidat eines Sechser-Bündnisses, demnach bei 45 Prozent. Am 28. Mai werden die beiden Kandidaten daher in einem zweiten Wahlgang gegeneinander antreten.
Unsere Redaktion hat mit Salim Cevik über das Ergebnis gesprochen. Er ist Mitarbeiter am Centrum für angewandte Türkeistudien der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und forscht unter anderem zu türkischer Innenpolitik.
Herr Cevik, die Wahl am Sonntag liefert kein eindeutiges Ergebnis: Recep Tayyip Erdogan liegt zwar bei den Stimmen vorne, aber konnte nicht die absolute Mehrheit gewinnen. Hat das Wahlergebnis Sie überrascht?
Salim Cevik: Ja, aber nicht nur mich: Jeder war überrascht. Die Umfragen sahen Erdogans Herausforderer, Kemal Kilicdaroglu vorne. Die meisten gingen sogar davon aus, dass er im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit holen würde.
Auch Medien in Deutschland gingen von einem starken Wechselwillen im Land aus. Inwiefern wurde hierzulande ein falsches Bild der Türkei gezeichnet?
Das war kein Fehler der deutschen Medien: Die Umfragen haben in den letzten Jahren in vielen Ländern bei zahlreichen Wahlen falsche Prognosen geliefert. Da wäre die Wahl von
Dabei gibt es genug Gründe den Präsidenten abzustrafen: Der Wirtschaft geht es schlecht, die Regierung hat bei der Reaktion auf das Erdbeben versagt, das zehntausende Menschenleben gekostet hat und die Rechte der Presse und von Minderheiten werden immer weiter eingeschränkt. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür, dass so viele Wähler und Wählerinnen für Erdogan gestimmt haben?
Es gibt einige Gründe dafür, dass er trotz all dieser negativen Umstände so viele Stimmen bekommen hat. Zum einen ist die Medienlandschaft in der Türkei nahezu vollständig gleichgeschaltet. Zum anderen ist es so, dass Erdogan seinen Wahlkampf mit viel Geld aus dem Staatshaushalt subventioniert hat. Er hat zahlreiche populäre Maßnahmen durchgebracht, um seine Kampagne zu unterstützen. Zum Beispiel hat er den Mindestlohn verdoppelt und Sozialbauprojekte kurz vor der Wahl beschlossen. Außerdem hat Erdogan es wieder einmal geschafft, die Opposition als Unterstützer des Terrorismus zu brandmarken und sie damit für viele unwählbar gemacht.
Wahlen unter widrigen Umständen
Die Opposition hatte zusätzlich das Problem, dass sie geschlossen einen Kandidaten unterstützen musste…
Zumindest haben sechs Parteien das getan. Das Problem ist, dass die Opposition aus sehr unterschiedlichen politischen Strömungen besteht. Das heißt konkret, dass sich dabei Ultranationalisten und Kurden auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen müssen und das ist quasi unmöglich. Deshalb gab es noch einen dritten Kandidaten, Sinan Ogan, der Kilicdaroglu wichtige Stimmen gekostet hat.
Erdogan hat in der Türkei ein recht autoritäres Regime erschaffen. Inwiefern würden Sie von freien Wahlen sprechen?
Das kommt darauf an, was Sie unter freien Wahlen verstehen. Es sind sicherlich keine gefälschten Wahlen gewesen. Aber: Die Medien sind auf der Seite von Erdogan und die Judikative ist auf der Seite des Präsidenten. Er hat das Verfassungsgericht in seinen Dienst gestellt. Das heißt: Erdogan kann seinen politischen Gegnern die Kandidatur verwehren, indem er sie unter Vorwänden aus der Politik verbannt. Oder schlimmer: Kurdische Politiker sind im Gefängnis – so gesehen sind das keine freien Wahlen.
Welchen Einfluss hat die Medienlandschaft in der Türkei auf die Wahlen gehabt?
Die überwiegende Zahl der Medien in der Türkei werden direkt oder indirekt von der Regierung kontrolliert oder von Geschäftsleuten, die der Regierung nahestehen. Reporter ohne Grenzen führt die Türkei in ihrer Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 165 von 180 Staaten. Die Medien sind nahezu vollständig gleichgeschaltet und betreiben letztlich Wahlkampf für Erdogan und berichten von seinen Wahlkampfkundgebungen – selbst der Staatssender TRT, der mit Steuergeldern betrieben wird.
Steht der Sieger der Stichwahlen bereits fest?
Auch die türkischen Staatsbürger in Deutschland haben sich mehrheitlich für Erdogan ausgesprochen. Wie können Sie sich das erklären?
Das ist typisch.
Weshalb?
Viele Türken in Deutschland stammen von Gastarbeitern ab, die aus Regionen kommen, in denen Erdogan traditionell stark ist, so wie Ostanatolien. Zum anderen ist sein Image als starker Anführer, der auf Augenhöhe mit europäischen Staats- und Regierungschefs agiert, sehr gern gesehen bei der türkischen Diaspora in Europa. Je größer die Probleme mit der Integration sind, desto attraktiver ist der Blick auf den starken Mann in der Türkei, der den Türken ein neues Selbstbewusstsein vermittelt. Je mehr sich Erdogan mit westlichen Politikern anlegt, desto höher ist sein Ansehen hier. Außerdem ist die AKP, die türkische Regierungspartei, in Deutschland deutlich besser organisiert als die Opposition. Sie wirkt hier unter anderem über die Moscheen-Dachorganisation DITIB auf die türkischstämmigen Gemeinden ein.
Am 28. Mai wird es eine Stichwahl zwischen Amtsinhaber Erdogan und Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu geben. Welches Ergebnis erwarten Sie?
Diese Wahl ist bereits entschieden. Erdogan wird gewinnen.
Wieso sind Sie sich da so sicher?
Davon geht momentan jeder in der Türkei aus. Die Anhänger des dritten Kandidaten, der nicht in die Stichwahl gekommen ist, Sinan Ogan, werden Erdogan ihre Stimme geben und damit ist die Wahl entschieden.
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