Nach der Ausweisung der türkischen Familienministerin Kaya aus den Niederlanden hat Präsident Recep Tayyip Erdogan Konsequenzen angedroht. So bewertet die Presse das Auftreten der Niederlande und Erdogans Reaktion im Streit zwischen den Niederlanden und der Türkei.
Deutschland:
Spiegel Online: "Gelegenheit macht Krise"
"Aber sowohl den beiden Hauptdarstellern wie auch dem Extremisten mit der Mozart-Frisur kommt der Streit gelegen. Erdogan kann den starken Mann markieren, der bösgesinnten ausländischen Mächten mit aller Macht die Stirn bietet.Rutte kann den starken Mann markieren, der die Heimat beschützt und sich nicht erpressen lässt. Und Islamhasser Wilders? Der kann die Bilder eines wütenden fremdländischen Mobs auf den Straßen einer niederländischen Stadt für seine Zwecke ausschlachten und Hass schüren gegen Muslime. Darunter zu leiden haben Menschen, die nichts dafür können." (Zum Artikel)Zeit Online: "Alles Kalkül"
"Der Verdacht liegt nahe, dass die türkische Regierung die gegenwärtige Eskalation nicht nur in Kauf genommen, sondern sie ausdrücklich gesucht hat. Man kann der Regierung in Ankara manches unterstellen, aber nicht, dass sie naiv sei. Çavuşoğlu wusste, dass die Reaktion der niederländischen Regierung vor der Wahl härter ausfallen musste, als wenn er erst nach dem kommenden Mittwoch gekommen wäre.Aber je härter die Reaktion, desto größer die Aufmerksamkeit und umso größer die Chancen für die AKP, die eigenen Anhänger in den Niederlanden zu mobilisieren – das ist ganz offensichtlich das Kalkül." (Zum Artikel)Augsburger Allgemeine: "Die Reaktion der Niederlande war richtig"
"Die Bundesregierung sollte sich an der klaren Linie Den Haags endlich ein Beispiel nehmen. Doch statt Erdogan die Grenzen aufzuzeigen, operiert die Kanzlerin weiter mit Samthandschuhen. Berlin übt sich im Beschwichtigen eines Mannes, der Deutschland unablässig als neonazistisch und faschistisch beschimpft und seine Minister hetzerische Wahlkampfreden auf deutschem Boden halten lässt.Bei allem Respekt vor dem Versuch, eine weitere Eskalation des Streits zu verhindern: Merkels laxer Umgang mit Erdogan, der offenbar auch mit der Angst vor einer Aufkündigung des Flüchtlingsdeals zu tun hat, ist falsch und hat nichts, aber auch gar nichts mit der Achtung des Grundrechts auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu tun." (Zum Artikel)Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Die Türkei in die Schranken weisen"
"Die Regierung Erdogan hat keinen Anspruch darauf, in anderen Staaten Wahlkampf zu machen – noch dazu für ein autoritäres System und unter Inanspruchnahme fremder Staatsangehöriger. Die Hand sollte ausgestreckt bleiben. Doch je ausfallender Ankara wird, als desto richtiger erweist es sich, Erdogan klar in die Schranken zu weisen. Es sind die Schranken des Rechts." (Zum Artikel)
Österreich:
Der Standard: Den Haags Geschenk an Erdogan
"Maßlosigkeit in der Rhetorik und skrupelloses politisches Kalkül des türkischen Außenministers Mevlüt Çavusoglu konkurrieren mit dem Opportunismus des niederländischen Premiers Mark Rutte, der sich von den Rechtspopulisten treiben lässt. Gelassenheit gegenüber den Provokationen der Türkei und ihres Staatschefs ist im Moment das bessere Rezept. Wer so drastische, unter Nato-Verbündeten unerhörte Schritte wie das Einreiseverbot für den türkischen Außenminister oder die Zwangsausweisung der Familienministerin als Ausweis von Entschlusskraft feiert, der hat das Spiel von Tayyip Erdogan nicht begriffen. Die EU ist ihm egal, die mehrheitlichen Stimmen der Auslandstürken hat er auch ohne Auftritte seiner Minister. Was Erdogan für ein deutliches Ja zu seiner Verfassung beim Referendum braucht, ist eine Massenempörung, eine Opfer-Hysterie im eigenen Land. Beides hat ihm Mark Rutte geschenkt." (Zum Artikel)
Schweiz:
Tages-Anzeiger: "Eklat hilft Erdogan und wohl auch Rutte"
"Erdogan setzt darauf, dass der Eklat seine nationalistischen Anhänger vor dem Referendum vom 16. April über die Einführung eines Präsidialsystems mobilisiert. Gerade in der Diaspora leben viele Sympathisanten des autoritären Präsidenten. Allein in den Niederlanden sind es 400.000 Türken beziehungsweise Doppelbürger. Nach dem Auftrittsverbot kann sich Erdogan als Opfer inszenieren, als Einzelkämpfer, der es mit den Europäern aufnimmt. Doch auch dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte könnte die Kollision nutzen. Der Rechtsliberale hat gegenüber Erdogan klare Kanten gezeigt und dürfte damit bei den Parlamentswahlen nächsten Mittwoch punkten. (...) Der Regierungschef, der den Rechtsliberalen angehört, hatte drei Tage vor der Schicksalswahl für das Parlament in Den Haag die Konfrontation einfach annehmen müssen: Ein türkischer Auftritt in Rotterdam oder anderswo in den Niederlanden mit Tausenden von Sympathisanten Erdogans und der Gefahr von Ausschreitungen wäre Wasser auf die Mühlen von Geert Wilders und dessen (rechtspopulistischer) Freiheitspartei gewesen."
Dänemark:
Politiken: "Türkei leidet unter Verfolgungswahn"
"Die türkische Regierung mit Präsident Recep Tayyip Erdogan an der Spitze hat in den vergangenen Tagen das Klischee des türkischen Verfolgungswahns voll erfüllt. Leider ist das nicht zum Lachen. Im Gegenteil ist es zutiefst besorgniserregend, wenn die Türkei Diplomatie betreibt, indem sie ihre Partner Nazis nennt oder türkische Minister in bestimmte EU-Länder schmuggelt, nachdem sie ausdrücklich gebeten wurden, sich daraus fernzuhalten."
Großbritannien:
The Times: "Rutte könnte Wilders ungewollt geholfen haben"
"Dem konservativen Ministerpräsidenten der Niederlande Mark Rutte ging es wenige Tage vor entscheidenden Wahlen zweifellos darum, die Unterstützung für den rechtsextremen Politiker und Chef der Freiheitspartei Geert Wilders einzudämmen. Ihre Parteien liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Bedauerlicherweise könnte Rutte aber gerade dadurch, dass er hart gegen die Türken vorging, der Wahlkampagne von Wilders ungewollt Glaubwürdigkeit verliehen haben. Das wäre genau das, was die Niederlande und Europa absolut nicht brauchen. Wilders will Moscheen und Islamschulen schließen, den Koran verbieten, die Zahl der Asylbewerber reduzieren und die EU verlassen. Sympathie für solche Ziele, kombiniert mit Steuersenkungen sowie höheren Ausgaben für die Verteidigung und für die Betreuung von Alten, könnte Wilders' Gruppierung durchaus zur stärksten Partei der Niederlande machen. Seine Gegner beklagen derweil den Verlust dessen, was als die liberale Kultur der Niederlande angesehen wird. (...) Wilder muss ernst genommen werden. Allein schon, weil seine Forderungen auch in anderen Ländern Anklang finden, in denen demnächst Wahlen stattfinden, wie Frankreich, Deutschland, Tschechien und vielleicht auch Italien."
Niederlande:
de Volkskrant: "Weitere Eskalation sollte vermieden werden"
"Türkischer Wahlkampf in den Niederlanden war bereits vor diesem Wochenende schwierig. Geht es doch um ein türkisches Referendum, durch das Rechtsstaat und Demokratie noch mehr in Bedrängnis zu kommen drohen.(...) Besonders schlecht ist, dass (der türkische Außenminister) Cavusoglu von "meinen Staatsbürgern" spricht, derweil die Niederlande versuchen, Menschen mit türkischen Wurzeln in ihre Gesellschaft zu integrieren. Aus reinem Pragmatismus ist das Kommen von Cavusoglu nicht sofort verboten worden. Zurecht wurde befürchtet, dass dies den türkischen Nationalismus nur weiter schüren würde. Das dient nicht den Interessen der Niederlande. Doch genau dieser negative Effekt ist nun entstanden. Für die Zukunft ist es ratsam, eine weitere Eskalation zu vermeiden und sich mit den europäischen Bündnispartnern zusammenzuschließen. Deutschland und Frankreich kämpfen auch mit diesem Problem. Gemeinsam sind die EU-Länder stärker, erst recht wenn die Türkei das Gerede über Sanktionen ernst meinen sollte."
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