Türkische Kampfflugzeuge haben erstmals Angriffe auf den Islamischen Staat (IS) geflogen. Das ist eine Kehrtwende in der bisherigen Syrien-Politik. Woher kommt das Umdenken, was bedeutet das für den Kampf gegen den IS und wie gefährlich ist die Terrormiliz für die Türkei? Die wichtigsten Antworten im Überblick.
Wechselt die türkische Regierung nun ihre Strategie im Kampf gegen den IS?
Die Türkei hat im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) lange die Füße still gehalten. Kritiker warfen ihr immer wieder vor, zu wenig gegen die Terrormiliz zu tun und sie indirekt zu unterstützen. So führten lasche Grenzkontrollen dazu, dass der IS mehr oder weniger ungehindert Menschen und Waren über die Türkei nach Syrien transportieren konnte.
Das scheint sich nun zu ändern. Laut Medienberichten plant die Türkei einen Teil der etwa 900 Kilometer langen Grenze nach Syrien mit Mauern zu sichern sowie Grenzanlagen zu verstärken. Türkische Kampfflugzeuge haben IS-Stellungen in Syrien angegriffen. Außerdem dürfen die USA nun einen Luftwaffenstützpunkt im Süden der Türkei für ihre Kampfflugzeuge nutzen.
"Es sieht so aus, als ob die Türkei ihre De-Facto-Teilnahme an der Anti-IS-Allianz nun in eine echte Zusammenarbeit umwandelt", sagt der Türkei-Experte Ekrem Eddy Güzeldere. So habe die Regierung in den vergangenen Tagen zum ersten Mal IS-Unterstützer in verschiedenen türkischen Städten verhaften lassen. Von einem "Strategiewechsel" spricht auch Burak Çopur, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen.
Handelt sich bei den türkischen Angriffen um einen Vergeltungsschlag für den Terroranschlag von Suruç?
Der Anschlag, bei dem 32 Menschen starben, ist nicht der alleinige Auslöser. Aber er hat wohl zu einem Umdenken beigetragen. Laut der türkischen Tageszeitung "Hürriyet" waren die Luftangriffe eine Reaktion auf den Tod eines türkischen Soldaten, der bei einem Schusswechsel mit dem IS an der Grenze zu Syrien getötet worden war. Die Militäroperation soll zum Gedenken seinen Namen getragen haben. "Der Anschlag von Suruç und die Scharmützel an der Grenze haben sicher die Entscheidung begünstigt, so schnell mit Luftanschlägen zu antworten", sagt Güzeldere.
Was sind die Gründe für den Strategiewechsel?
Die türkische Regierung ist lange nicht aktiv gegen den IS vorgegangen, weil beide ähnliche Ziele verfolgen: Einen Sturz des syrischen Machthabers Assad und die Verhinderung von kurdischen Autonomiegebieten. Ein riskantes Spiel. Mit dem Ziel, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, sei die türkische Regierung kläglich gescheitert, sagt der Türkei-Experte Burak Çopur. "Sie steht vor den Trümmern ihrer Syrien-Politik."
Zudem ist der Druck aus dem In- und Ausland gewachsen, etwas zu unternehmen. "Den USA und den Europäern war die löchrige Grenze schon lange ein Dorn im Auge", sagt Ekrem Eddy Güzeldere. "Es gab aber auch massive Kritik innerhalb der Türkei, vor allem von kurdischer Seite und den Oppositionsparteien."
Was bedeutet das türkische Umdenken für den Kampf gegen den IS?
Vor allem der Fakt, dass die USA nun den türkischen Stützpunkt nutzen dürfen, erhöhe die Schlagkraft und vereinfache den Kampf gegen den IS, sagt Güzeldere. Es sei auch denkbar, dass türkische Truppen demnächst in den Grenzstädten gegen den IS vorgehen.
Aber: "Egal wie stark der IS in Syrien zurückgedrängt wird, das verringert nicht die Terrorgefahr innerhalb der Türkei. Dort sind Hunderte, wenn nicht Tausende IS-Sympathisanten, Zellen und Rekrutierungsbüros aktiv. Wenn sich der IS aus syrischen Städten zurückziehen muss, erhöht das eher noch das Risiko von Vergeltungsschlägen in der Türkei."
Diese Gefahr sieht auch sein Kollege Burak Çopur. "Der Strategiewechsel im Umgang mit Islamisten kommt viel zu spät. Die Geister, die man rief, wird man nicht so schnell wieder loswerden. Diese Barbaren sind jetzt auch unter den Türken angekommen. Das Land könnte sich damit in ein Pulverfass verwandeln."
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