Seit dem Blutbad in der Redaktion des französischen Satiremagazins "Charlie Hebdo" am Mittwoch haben sich die Ereignisse überschlagen. Erst am Freitag, nach rund 50 Stunden Angst und Schrecken, endet der Terror, der Frankreich tagelang in Atem hält: Fragen und Antworten zu dem Attentat und dem aktuellen Geschehen.
+++ Bei Sturm des Terroristen-Verstecks in Dammartin wurden beide Täter getötet +++
+++ Die Geiselnahme im Osten von Paris wurde ebenfalls blutig beendet +++
+++ Dabei starben auch mehrere Geiseln +++
Wie liefen die vergangenen Tage ab?
Mittwoch, 7. Januar
Zwei maskierte und schwer bewaffnete Männer erschießen am Vormittag in den Redaktionsräumen der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" acht Redaktionsmitglieder sowie drei weitere Personen, darunter den Personenschutz des Redaktionsleiters. Auf der Flucht töten sie einen Polizisten und entkommen. Gegen Mittag verliert sich ihre Spur. Für den Großraum Paris wird die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen.
Am Abend kommen in ganz Frankreich Hunderttausende zusammen, um unter dem Motto "Je suis Charlie" ("Ich bin Charlie") ihre Anteilnahme auszudrücken. Auch international solidarisieren sich Menschen vor allem über soziale Netzwerke mit den Opfern.
Donnerstag, 8. Januar
Der mutmaßliche 18-jährige Helfer der Attentäter stellt sich der Polizei, bestreitet aber, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. An einer Tankstelle im Department Aisne in Nordfrankreich will ein Zeuge die Gesuchten erkannt haben. Die Polizei nimmt mehrere Verdächtige fest.
In der Gemeinde Montrouge kommt es zu einer Schießerei, bei der eine Polizistin von einem Unbekannten mit einem Maschinengewehr tödlich verletzt wird. Es wird spekuliert, ob eine Verbindung zwischen dem Täter und den Attentätern vom Vortag besteht. Gesicherte Informationen gibt es jedoch nicht. Nach den beiden Tätern vom Mittwoch wird mit rund 80.000 Sicherheitskräften gefahndet.
Freitag, 9. Januar
Die mutmaßlichen Attentäter können aufgespürt werden. Nordöstlich von Paris liefern sie sich am Morgen eine Verfolgungsjagd mit der Polizei. Wenig später verschanzen sie sich in einer Druckerei im Industriegebiet in der Gemeinde Dammartin-en-Goële.
Am frühen Nachmittag schießt im Osten von Paris ein bewaffneter Mann in einem jüdischen Lebensmittelladen um sich und nimmt mehrere Personen als Geiseln. Der Täter ist der Mann, der am Donnerstag südlich von Paris eine Polizistin erschossen hatte. Am Abend stürmt die Polizei sowohl die Druckerei in Dammartin als auch den Lebensmittelladen im Osten von Paris. Alle drei Terroristen sterben. Eine Helferin bei der Geiselnahme in Paris könnte entkommen sein.
Welche offenen Fragen gibt es noch?
Es gibt keine Hinweise darauf, woher die beiden Informationen über den Redaktionsablauf von "Charlie Hebdo" hatten. Laut der französischen Tageszeitung "Le Monde" ist das Satiremagazin erst im Juli 2014 in seine Redaktionsräume in der Rue Nicolas Appert 10 gezogen. An der Etagentür hat es offenbar kein Namensschild gegeben. Auch sollen Hausnachbarn gebeten worden sein, die Adresse von "Charlie Hebdo" nicht zu verbreiten.
Waren die Täter aus einer Terror-Zelle?
Verschiedenen Medien zufolge soll der Schütze von Montrouge, Amedy Coulibaly, mit den mutmaßlichen Attentätern bekannt gewesen sein. So soll auch er derselben Dschihadisten-Gruppe angehören.
Zuvor war die Tat nicht in Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" gebracht worden. Ein französischer Polizeisprecher sprach heute gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP jedoch von einer "Verbindung".
Was ist über die Täter bekannt?
Bisherigen Ermittlungen zufolge handelt es sich bei den mutmaßlichen Tätern aller Wahrscheinlichkeit nach um Brüder, die von den Ermittlern als Chérif und Saïd Kouachi identifiziert wurden. Zumindest weisen der Fund des Personalausweises von Saïd Kouachi in einem der Fluchtwagen und mehrere Personenbeschreibungen von Zeugen darauf hin.
Geboren wurden die Kouachi-Brüder in Paris, nachdem ihre Eltern aus Algerien nach Frankreich eingewandert waren. Aufgewachsen sind die beiden nach dem frühen Tod der Eltern nach Angaben der französischen Zeitung "Libération" in einem Heim in Rennes. Die Regionalzeitung "Ouest-France" berichtet, dass Chérif Profifußballer werden wollte, aber nicht gut genug war. Nach einem Umzug nach Paris gerieten er und sein älterer Bruder offenbar in den Bann des Islamisten Farid Benyettou. Allerdings wurde Chérif laut "Libération" 2005 auf dem Weg nach Syrien verhaftet und zu drei Jahren Haft, davon eineinhalb auf Bewährung, verurteilt.
Weitere Recherchen über die beiden 32- und 34-jährigen Hauptverdächtigen ergaben, dass beide laut mehrerer US-Medien – unter Berufung auf einen US-Regierungsvertreter – 2011 zu einer Kampfausbildung in den Jemen gereist seien. Dort sei Saïd Kouachi von einer Al- Kaida-Einheit mehrere Monate im Umgang mit Waffen trainiert worden. Deshalb hätten die Brüder bereits auf einer Flugverbots-Liste amerikanischer Behörden gestanden.
Es hat sich noch keine Terrororganisation zu der Tat bekannt. "Le Monde" schreibt jedoch, die Brüder hätten dem Besitzer des zweiten Fluchtautos aufgetragen, er soll den Medien sagen, Al Kaida aus dem Jemen sei dafür verantwortlich.
Welche Folgen hat der Terror?
Vielen Franzosen gleicht der Mord an den Satirikern von "Charlie Hebdo" und das Drama um die anhaltenden Geiselnahmen einem neuen, eigenen "11. September". Auch Präsident François Hollande sagte am Freitagvormittag auf einer Pressekonferenz, Frankreich stehe unter Schock. Die deutsche Schriftstellerin Gila Lustiger erklärte im "Deutschlandfunk", die rechtsradikale französische Partei "Front National" (FN) habe allein durch das Attentat erheblich an Wählerstimmen gewonnen.
Hierzulande hat das Attentat die Debatte über die Sicherheitslage in Deutschland neu entfacht. Gemäß einem Bericht des Magazins "Focus", das sich auf ein vertrauliches Papier des Bundeskriminalamts (BKA) bezieht, schließe die Behörde Angriffe auf deutsche Medien nicht aus. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte dagegen, es gebe keinen konkreten Hinweis auf terroristisch motivierte Anschläge. Die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Christine Lambrecht, forderte jedoch eine Bundestagsdebatte über die Folgen des Anschlags für Deutschland.
Über Maßnahmen gegen den Terrorismus in allen europäischen Ländern wollen auch die Staats- und Regierungschefs bei einem EU-Gipfeltreffen Mitte Februar in Riga beraten. Zu dem Treffen soll laut de Maizière auch US-Justizminister Eric Holder kommen. Aus Washington ist derzeit nur zu hören, dass es keine Hinweise auf konkrete Terrordrohungen in den USA gebe.
Welche weiteren Konsequenzen der Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" nach sich ziehen wird, lässt sich jetzt noch nicht beantworten. Außer Frage steht aber, dass sich die Sicherheitslage in Europa in den letzten 72 Stunden dramatisch verändert hat.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.