- Mehr als ein Fünftel der Bevölkerung gibt in einer repräsentativen Befragung an, bereits von Rassismus betroffen gewesen zu sein.
- Die Ergebnisse sind Teil eines sogenannten Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors, der in den kommenden Jahren fortgeführt werden soll.
- Fast die Hälfte aller Befragten stimmte tendenziell der Aussage zu, dass "Rassismusvorwürfe und politische Korrektheit" die Meinungsfreiheit einschränken würden.
Rund 45 Prozent der Bevölkerung haben laut einer repräsentativen Umfrage schon einmal persönlich rassistische Vorfälle beobachtet. Mehr als ein Fünftel der Bevölkerung (etwa 22 Prozent) gibt darin zudem an, bereits selbst von Rassismus betroffen gewesen zu sein.
Das geht aus der Auftaktstudie zu einem neuen Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim) hervor. Unabhängig vom eigenen Erleben stimmen darüber hinaus 90 Prozent der Befragten hierzulande der Aussage "Es gibt Rassismus in Deutschland" zu.
Junge berichten häufiger von Rassismus-Erfahrungen
Die Studie zeigt, dass junge Menschen häufiger von direkten Rassismus-Erfahrungen als Ältere berichten. Die Forscher hatten neben der repräsentativen Befragung der Bevölkerung im Alter ab 14 Jahren auch gezielt Angehörige von sechs Minderheiten in den Blick genommen: Schwarze Menschen, Muslime, Asiaten, Sinti und Roma, Juden und osteuropäische Menschen.
Die Befragten konnten sich dabei sowohl selbst einer dieser Gruppen zuordnen als auch angeben, ob sie von Außenstehenden einer dieser Gruppen zugeordnet werden. In Bezug auf die einzelnen Gruppen ist die Studie allerdings nicht repräsentativ. Die Antworten von Befragten mit höherer Bildung würden dennoch zeigen, dass das Ausmaß von Erfahrungen mit Rassismus nichts mit "gelungener Integration" zu tun hat, so Dezim-Direktorin Naika Foroutan.
Von den Angehörigen der sechs Minderheiten gaben insgesamt 58 Prozent an, schon einmal selbst Rassismus ausgesetzt gewesen zu sein. In der Altersgruppe zwischen 14 und 24 Jahren waren es mit rund 73 Prozent deutlich mehr als bei den über 65-Jährigen mit 24,2 Prozent. "Jahrzehntelang wurde Rassismus in Deutschland verschwiegen oder gar bestritten, das wirkt bis heute nach", sagt die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus, Reem Alabali-Radovan in Reaktion auf die Ergebnisse. Mit Blick auf die Ziele der Bundesregierung teilte sie mit: "Wir packen Strukturen an, die im Alltag rassistisch diskriminieren - in den Behörden, bei der Polizei, am Arbeits- oder Wohnungsmarkt."
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Forscher: Rassismuskritik wird oft durch Überempfindlichkeitsvorwürfe abgewehrt
"Rassismus" wird in der Studie definiert als eine Ideologie sowie als eine diskursive und soziale Praxis, in der Menschen aufgrund von äußerlichen Merkmalen in verschiedene Gruppen eingeteilt werden, denen per "Abstammung" verallgemeinerte, unveränderliche
Eigenschaften zugeschrieben werden. Dass bestimmte ethnische Gruppen, beziehungsweise Völker intelligenter als andere sind, glauben dem Monitor zufolge neun Prozent der Bevölkerung. Der Aussage, dass gewisse ethnische Gruppen oder Völker "von Natur aus fleißiger sind als andere", stimmte wiederum rund ein Drittel der Befragten zu.
Die Forscher kommen zu dem Schluss, Rassismuskritik werde oft dadurch abgewehrt, dass Betroffenen eine Hypersensitivität unterstellt wird. Den Angaben zufolge ist ein Drittel der Bevölkerung tendenziell der Auffassung, dass Menschen, die sich über Rassismus beschweren, "häufig zu empfindlich" seien. 11,6 Prozent der Befragten stimmten dieser Aussage voll und ganz zu, 21,5 Prozent stimmten ihr eher zu.
Um dieses Phänomen genauer zu beleuchten, stellten die Wissenschaftler konkrete Situationen zur Beurteilung vor. Dabei zeigte sich, dass es beispielsweise knapp zwei Drittel der Bevölkerung voll und ganz (rund 35 Prozent) oder eher (gut 30 Prozent) rassistisch finden, wenn als Angehörige einer bestimmten Minderheit wahrgenommene Menschen bei der Einreise nach Deutschland wesentlich häufiger kontrolliert werden. Dass auch nett gemeinte Komplimente wie "Sie sprechen aber sehr gut Deutsch" als Rassismus empfunden werden können, ist etwa jedem vierten Menschen in Deutschland den Ergebnissen nach "voll und ganz" bewusst.
"Rassismusvorwürfe und politische Korrektheit" als Einschränkung der Meinungsfreiheit?
Insgesamt mehr als die Hälfte der Befragten bewertete es darüber hinaus als rassistisch, wenn ein Comedian klischeehafte Witze über eine bestimmte ethnische oder religiöse Gruppe macht. Allerdings gehen im Alltag die Meinungen darüber auseinander, was ein "klischeehafter Witz" ist. Jeder Zweite (47 Prozent) der Befragten gibt an, in den vergangenen fünf Jahren schon einmal einer rassistischen Aussage im Alltag widersprochen zu haben. Fast die Hälfte aller Befragen (44,8 Prozent) stimmte außerdem tendenziell der Aussage zu, dass "Rassismusvorwürfe und politische Korrektheit" die Meinungsfreiheit einschränken würden.
Es sei wichtig, dass mit dem Rassismusmonitor endlich verlässliche Daten zum Umfang des Problems vorlägen, sagte der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Gökay Sofuoglu. Er mahnte des Weiteren ausreichend Mittel für Antirassismus-Projekte an: "Wenn der Haushalt 2022 so bleibt, lässt die Bundesregierung die Opfer von Rassismus de facto für dessen Bekämpfung zahlen." Bei Verhandlungen mit staatlichen Stellen habe er zuletzt wiederholt erlebt, dass dieses Thema unter Verweis auf die Kosten der Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine immer wieder "nach hinten geschoben" wird. (dpa/okb)
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