Bundesweit steht die AfD stabil bei 20 Prozent und mehr, in den ostdeutschen Bundesländern kommt sie teilweise auf deutlich über 30 Prozent. Beim Umgang mit den Rechtspopulisten haben die Parteien unterschiedliche Rezepte – sie reichen von einem Zugehen auf die AfD bis hin zu einem kompletten Verbot. Historiker Dominik Rigoll erklärt, was in der Vergangenheit funktioniert hat – und was nicht.
In manchen neuen Bundesländern ist an ihr kein Vorbeikommen mehr: Ohne die AfD lässt sich laut aktuellen Umfragewerten in beispielsweise Sachsen und Thüringen keine Mehrheitsregierung mehr bilden – sofern die CDU bei ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linkspartei bleibt. Hier landet die AfD bei Umfragewerten von deutlich über 30 Prozent und liegt damit vor der CDU.
Bundesweit kommt die AfD derzeit laut den Instituten "Forsa" und "Emnid" auf Werte zwischen 20 und 22 Prozent. Einen kleinen Dämpfer haben den Umfragewerten die bundesweiten Proteste in den letzten Tagen und Wochen verpasst. Millionen von Bürgerinnen und Bürgern gingen auf die Straße, um gegen das Erstarken der in manchen Bundesländern erwiesenermaßen rechtsextremen Partei zu demonstrieren.
Wahljahr 2024
Auslöser war vor allem ein Geheimtreffen in Potsdam, welches zu Beginn des Jahres öffentlich geworden war. Darauf hatten hochrangige AfD-Vertreter mit Neonazis und finanzstarken Unternehmern Pläne für eine „Remigration“ geschmiedet – also der Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland.
Deutschland steht in diesem Jahr vor einer Reihe von Wahlen. Neben der bundesweiten Europawahl (9. Juni), wird in Thüringen, Sachsen und Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Berlin geht am 11. Februar in die Teilwiederholung der Bundestagswahl. Aber auch Kreistage, Stadt- und Gemeinderäte werden in zahlreichen Ländern neu gewählt. Im kommenden Jahr steht dann die Bundestagswahl an.
Rezepte gegen die AfD
Schon jetzt macht sich die Sorge breit, die AfD könnte bei allen Wahlen abräumen und ein Regieren ohne sie immer weiter erschweren. Die Rezepte, die die anderen Parteien im Bundestag anzubieten haben, um das zu verhindern, sehen unterschiedlich aus: Während beispielsweise SPD und Grüne erwägen, der AfD die Staatsfinanzierung zu streichen, will die Union vor allem AfD-Wähler für sich zurückgewinnen.
Zu den weiteren Vorschlägen auf dem Tisch zählen ein AfD-Verbot oder ein "Entzaubern der AfD in der Regierungsarbeit". Was davon hat mit Blick auf die Geschichte funktioniert? Historiker Dominik Rigoll forscht zur Rechtsparteien in Deutschland in den Jahren nach 1945.
Er sagt: "Es war nicht eine einzelne Maßnahme, die dazu geführt hat, dass sich in der alten Bundesrepublik keine starke rechte Partei entwickelt hat – sondern mehrere zusammen." Der Experte fasst beides mit den Begriffen "Umarmung" und "Abgrenzung" zusammen und erklärt:
"In der alten Bundesrepublik und in den 1990er Jahren gab es mehrere Parteiverbote von ziemlich offensichtlich nazistischen Parteien. Das waren Parteien, die eindeutig in der Tradition der NSDAP standen."
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Waren Parteiverbote erfolgreich?
Dazu gehöre beispielsweise die SRP, die Sozialistische Reichspartei, die in den 1950er-Jahren aufkam. "In den 1970er-, 1980er- und den 1990er-Jahren gab es ebenfalls immer wieder neonazistische Kleinparteien, die offen gesagt haben, dass sie den Nationalsozialismus wiederbeleben wollen", so Rigoll. Diese Parteien zu verbieten, sei relativ einfach gewesen, da die Linie zum NS extrem deutlich war und ungeniert vorgetragen wurde.
"Als die Parteien verboten wurden, waren sie außerdem alle noch relativ klein und es gab großes internationales Interesse an einem Verbot. Besonders auf westalliierter Seite, aber natürlich auch in Osteuropa, das bis 1990 noch kommunistisch dominiert war", sagt Rigoll.
Diese Bedingungen würden heute nicht mehr gelten, sodass die Verbote nazistischer Parteien in der Vergangenheit heute kaum als Vorbild dienen könnten. Hinzukomme, dass die AfD zwar Neonazis in ihrem Umfeld habe, aber keine pure NS-Adaption sei.
Heute hat die AfD Verbündete
"Sie besteht auch aus Nationalkonservativen, Nationalliberalen und rechten Christen. Die wollen nicht alle unbedingt ganze Bevölkerungsgruppen deportieren, vielleicht wollen einige nur zurück in die Kohl-Ära. Das ist komplizierter", gibt Rigoll zu Bedenken. Erschweren würde ein Verbot aus seiner Sicht auch die Größe der Partei. "Die AfD ist so groß wie keine der Rechtsparteien in der Bundesrepublik bisher", erinnert der Historiker.
Zu Zeiten der anderen Parteiverbote habe die ganze Welt auf die Bundesrepublik geschaut und die Hände über den Köpfen zusammengeschlagen, wenn es eine Neonazi-Partei gab. "Heute ist es eher so – Stichwort
Beteiligt an der Regierung
Lohnenswert sei aber auch ein Blick auf die Parteien in der alten Bundesrepublik, die der AfD ähnlicher waren. Eine davon: Die Deutsche Partei (DP), die bis Anfang der 1960er Jahre existierte. "Sie war eine Mischpartei, eine Sammlungspartei wie die AfD", erklärt Rigoll.
In ihr habe es Rechtsextreme gegeben, sie sei aber von Nationalkonservativen und Nationalliberalen dominiert gewesen. "Die DP war dann tatsächlich in den 1950er Jahren Regierungspartei im Bund – als Juniorpartner von Kanzler Adenauer. In Niedersachsen hat sie sogar ein paar Jahre lang den Ministerpräsidenten gestellt", sagt der Experte.
Durch die Beteiligung an der Regierungsarbeit sei es der CDU damals gelungen, die DP zur Seite zu drücken beziehungsweise "aufzusaugen". Funktionäre wechselten die Partei, auch Wähler machten ihr Kreuz nicht mehr bei der DP, sondern bei der CDU.
Wähler wollen das Original
"Die DP wurde tatsächlich in der Regierungsarbeit entzaubert", meint Rigoll. Bevor die DP in der Regierung gewesen sei, habe sie verbal eine stark-oppositionelle Propaganda gefahren. "Als sie dann bei Adenauer in der Regierung war, und zwar jahrelang, hat sie das weiter versucht, war aber unglaubwürdig – sie konnte nicht mehr rechte Opposition spielen", erklärt Rigoll. Die Wähler, die das wollten, seien dann eher zum Original gegangen – also zu noch rechteren Parteien wie der SRP. Die wurde 1952 vom Bundesverfassungsgericht verboten.
"Die DP-Wähler, die eine eher kompromissbereite Politik wollten, sind dann zu Adenauer übergewechselt", sagt Rigoll. Momentan scheine eine solche Strategie aber schwer denkbar: "Dafür ist die Merz-CDU zu schwach und die AfD viel zu sehr im Aufwind", meint Rigoll.
Kurs AfD 2.0 ?
Er beobachtet noch einen anderen Versuch, die AfD kleinzuhalten. "Die Parteien versuchen teilweise den Rechtsparteien das Wasser abzugraben, indem sie deren Talking Points übernehmen und beispielsweise eine harte Migrationspolitik verfolgen", so Rigoll. So forderte beispielsweise Kanzler Olaf Scholz (SPD) ein härteres Durchgreifen bei Abschiebungen, die FDP setzt sich für Kürzungen der Sozialleistungen für Asylbewerber ein.
"Das scheint jedoch ganz offensichtlich überhaupt nicht zu verfangen. Die Leute wählen lieber das Original, wenn es um die Kernkompetenzen von Ausländerfeindlichkeit geht", beobachtet Rigoll.
Keine rechten Flügel mehr
Ein weiterer Unterschied zu damals sei, dass Parteien wie die CDU/CSU, FDP und sogar die SPD früher alle einen rechten Flügel gehabt hätten. "Diese waren vor allem in der Ausländer- und Innenpolitik aktiv, haben zum Teil Innenminister gestellt und waren mit hart rechten, nationalistischen Positionen für rechte Wähler glaubwürdig", sagt Rigoll.
Diese rechten Flügel hätten in den 1950er-Jahren dann speziell bei der CDU/CSU dafür gesorgt, dass sie die rechtsextremen Stimmen in den folgenden Jahrzehnten aufsaugen konnten. In den 1970er Jahren habe man so insgesamt eine Wahlbeteiligung von über 90 Prozent erreicht – wobei fast alle eine der beiden „Volksparteien“ oder die FDP wählten.
"Diese Integration funktioniert heute nicht mehr. CDU, CSU und auch SPD versuchen zwar der AfD in der Migrationspolitik hinterher zu laufen, aber in ihren eigenen Reihen gibt es keinen Rechtsaußenflügel mehr", so Rigoll. Vertreter dieser Flügel wie Thilo Sarrazin und Martin Hohmann seien rausgeschmissen worden. Hohmann wechselte dann zur AfD.
Ungehobenes Potenzial
"Die demokratischen Parteien versuchen zwar die AfD nachzumachen, aber sie haben keine Leute mehr in ihren Reihen, die so eine Politik glaubwürdig nach rechts hin vertreten können", analysiert Rigoll. Es sei deshalb nicht zielführend, wenn die CDU, CSU und SPD heute versuchen, auf Teufel komm raus, die rechten Wähler wieder zurückzubekommen, indem sie eine rechte Migrationspolitik fahren.
"Die Parteien sollten sich um ein anderes Potenzial kümmern, das seit Jahren ebenfalls wächst: die Nichtwähler. Alle gucken immer auf das rechte Wählerpotenzial, aber nur ein Teil davon wird wieder zu gewinnen sein", gibt Rigoll zu Bedenken.
Neue Utopien nötig
Mit Blick auf die Geschichte ist er sich sicher: "Es braucht neue Utopien, neue Ziele, auf die gemeinsam hingearbeitet werden kann. CDU, CSU und SPD konnten damals das rechte Feld nur absorbieren, weil es ein Versprechen gab: es wird allen besser gehen, wir werden den Wohlstand halten und vermehren können, wir werden keinen Krieg haben."
Diese Großerzählungen hätten damals verfangen. "Das fehlt heute – sowohl bei der CDU als auch bei der SPD. Außer „Gerechtigkeit“ oder „gemeinsam schaffen wir es“ haben sie nicht so viel zu bieten", meint der Experte. Die Rechten hätten da ganz andere große, nationalistische Ziele – die Vertreibung unerwünschter Menschen und die Abschottung Europas. "Das sind konkrete Utopien, die leider gar nicht so unrealistisch sind und auf die man hinarbeiten kann. Bei den ehemaligen Volkparteien fehlt das große Ziel", sagt Rigoll.
Umarmung und Abgrenzung
Sein Fazit: Ein demokratisches Gemeinwesen braucht unterschiedliche Maßnahmen, um eine starke Rechte zu verhindern. "Es hätte damals nicht funktioniert, rechte Wähler wieder zu integrieren, wenn es nicht gleichzeitig immer wieder Parteiverbote gegeben hätte und viele andere Formen der Repression, etwa ein politisches Justizvorgehen gegen Holocaustleugnung", macht er klar.
Rigoll fasst zusammen: "Das antinationalistische Spektrum läuft derzeit von einem rechten CSUler bis zu einem linken Linksparteiler – da ist klar, dass es unterschiedliche Herangehensweisen gibt, aber alle haben ihre Existenzberechtigung. Platt gesagt: Der Verfassungsschutz ist genauso wichtig wie Menschenrechtsgruppen oder die Antifa."
Über den Gesprächspartner
- Dominik Rigoll ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die deutsche und französische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie innere Sicherheit, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Nationalismus und Antinationalismus.
Verwendete Quellen
- dawum.de: Umfragewerte AfD
- wahlrecht.de: Sonntagsfrage Bundestagswahl
- wahlrecht.de: Wahltermine
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