Immer mehr minderjährige Flüchtlinge kommen ohne Begleitung nach Deutschland. Wer die Flucht übersteht, hat klare Ziele: Deutsch lernen, ein neues Leben beginnen - und das Schreckliche hinter sich lassen.
Das ist nicht nur für die Jugendlichen eine Herausforderung, sondern auch für die Helfer. Die Arbeit mit ihnen erschüttert oft, zeigt aber auch, dass es funktionieren kann.
Sie alle haben große Träume für die Zukunft: Ein Junge erklärt im Gespräch, dass er Ingenieur werden will. Ein anderer träumt davon, Pilot zu sein. Zwei weitere möchten Filme machen, und dafür zurück nach Syrien gehen, um den Menschen hier zu zeigen, wie es wirklich in den vom "Islamischen Staat" besetzten Gebieten aussieht.
60.000 "UMF" in Deutschland
"Bei uns sind vor allem Jugendliche aus Afghanistan, Pakistan und Syrien - wenige auch aus Somalia und dem Senegal", sagt Juliane Wulf*.
Sie arbeitet bei einem katholischen Sozialverband und bringt rund 30 Jugendlichen montags bis freitags Deutsch bei. "Ihre Jungs" gehören zu den 60.000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UMF) in Deutschland.
Sie hatten Glück - sind in Deutschland angekommen und wurden auch nicht zurückgeschickt, weil sie beispielsweise nicht als minderjährig anerkannt wurden.
Der Jüngste in der Gruppe ist 14 Jahre alt. Es sind nur Jungen. "Ich glaube, es gibt fast keine unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die Mädchen sind. Die Flucht als Frau ist schon schwer, aber fast unmöglich als unbegleitetes Mädchen", sagt Juliane Wulf.
Manche erzählen der Studentin von ihrer Flucht. Den meisten fällt es jedoch schwer: "Für viele ist es schmerzhaft, darüber zu reden."
Ein Afghane entschied sich beispielsweise für die Flucht, weil seine Familie von den Taliban getötet wurde, als er acht Jahre alt war. Danach musste er in Pakistan Teppiche knüpfen. Als er 14 war, entschied er sich zur Flucht. Er hatte nichts, was ihn dort gehalten hätte.
"I just want to cry"
Die Jugendlichen seien laut Wulf in sehr unterschiedlicher psychischer Verfassung. Ein Junge aus Afghanistan habe eine sehr schlechte Impulskontrolle.
Harte Fassade, meint Wulf, "aber wir haben schon oft erlebt, wie er geweint hat." Man merke, dass es ihm nicht gut geht, er wolle jedoch nicht erzählen, was ihm passiert ist. "Das ist kein Einzelfall", weiß die Helferin.
Letztens habe sie einem Syrer aus ihrer Gruppe eine Kurznachricht geschrieben, weil er einen schlechten Eindruck im Unterricht gemacht hatte und gefragt, was ihn bedrücken würde.
"Er hat geantwortet: 'I just want to cry. I always want to cry'", erzählt Wulf.
Es gebe nicht genügend Ansprechpartner für die oft traumatisierten Jugendlichen, die in einer Unterkunft speziell für minderjährige Flüchtlinge ohne Familie leben.
Außerdem hätten die Bewohner den Eindruck, dass Syrer von den Betreuern bevorzugt würden: "Viele Pakistani fühlen sich benachteiligt. Manche gehen einfach unter", sagt Wulf.
Das sind keine unverschämten Teenager
Wer von den Betreuern nicht gemocht wird, läuft Gefahr, aus der Unterkunft gedrängt zu werden.
"Manche Betreuer verstehen nicht, dass das keine unverschämten Teenager sind. Diese Jungs haben Traumatisches erlebt, und das kann teilweise schwieriges Verhalten auslösen."
Allerdings sei niemand da, dem sich die Jugendlichen anvertrauen könnten. Keine erwachsene Bezugsperson, kein Familienersatz - der rechtliche Vormund besteht meistens aus Anwälten, die gleichzeitig die rechtlichen Angelegenheiten von zehn oder mehr minderjährigen Migranten gleichzeitig regeln müssen.
Bürokratische Hürden
Wenn sie 18 werden oder ihr Deutsch gut genug ist, müssen die jungen Erwachsenen aus der Unterkunft für UMF in die normale Gemeinschaftsunterkunft wechseln. Ein tiefer Einschnitt.
Die Gemeinschaftsunterkunft ist in der Regel sicher, aber viele der Jüngeren fühlen sich dort nicht wohl.
"Zwei Syrer mussten gerade umziehen und sind jetzt todunglücklich. Sie teilen sich ein Zimmer mit zwei älteren Flüchtlingen, die ständig Party machen", sagt Wulf.
Die beiden würden deswegen nachts lange draußen umherlaufen, um nicht in ihr Zimmer zurück zu müssen.
Behörden sind überfordert
Abhilfe schaffen konnte früher ein Antrag auf Verlängerung der Jugendhilfe, doch die Behörden sind überfordert: Anträge bleiben schon seit Monaten liegen - es sind einfach zu viele.
Die meisten Flüchtlinge wollen hier studieren, meint Wulf. Für viele Jugendliche ist das allerdings unmöglich: "Wer über 16 ist, darf nicht mehr auf das Gymnasium. Ein total unnötiges, zusätzliches Hindernis."
Besonders unfair sei, dass die Zukunft der Flüchtlinge an solchen Regelungen scheitert. "Sie sind klug, sie könnten Abitur machen. Viele unserer Jungs müssen aber altersbedingt auf die Berufsschule und haben damit nicht die Möglichkeit, nach ihrem Abschluss zu studieren." Das müsse sich wirklich ändern, so Wulf.
Es kann funktionieren
Zumindest sei die Stimmung in den Unterkünften positiv. "Die Menschen hier wissen, dass sie den schlimmsten Teil hinter sich haben, und die Zukunft nur besser werden kann", meint die Studentin.
Als Frau müsse sie sich nie Gedanken machen, wenn sie "ihre Jungs" noch abends alleine besucht: "Ich habe einfach nur gute Erfahrungen gemacht. Alle sind immer freundlich und höflich, vor allem wenn man von Außen kommt."
Anzügliche Kommentare oder Ähnliches habe sie noch nie gehört. "Von wegen Angst vor Vergewaltigung, das ist gar kein Thema."
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