Er ist der neue Scharfmacher des rechtskonservativen US-Senders "Fox News": Jesse Watters. Der Mann, der (fast) alles sagen kann und kaum Konsequenzen fürchten muss.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Tim Frische sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Nach dem Rauswurf von Tucker Carlson im vergangenen Jahr wurde Jesse Watters das neue Aushängeschild bei "Fox News". Millionen Zuschauer verfolgen seine Shows, in denen er gekonnt die Interessen seines Publikums bedient. Der 46-Jährige provoziert gezielt – und vergreift sich dabei nicht selten im Ton. Nach seiner jüngsten Verbalattacke gegen Kamala Harris hagelte es Kritik in den sozialen Medien, doch Konsequenzen muss Watters nicht fürchten.

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Ein Mann, der eine Frau wählt, wird selbst zu einer Frau. Taylor Swift könnte eine Agentin des Pentagon sein. Es sind bizarre Theorien wie diese, die Moderator Jesse Watters ungefiltert vor einem Millionenpublikum verbreitet.

Vor mehr als 20 Jahren gab der 1978 in Philadelphia geborene Watters sein Kamera-Debüt beim US-amerikanischen Nachrichtensender "Fox News". 2017 erhielt er mit "Watters‘ World" seine eigene Show in der Samstagabend-Primetime. Zum Aushängeschild des rechtskonservativen Networks avancierte Watters sechs Jahre später, als er die Nachfolge des umstrittenen und letztlich geschassten Tucker Carlson übernahm.

Watters moderiert seit Juli 2023 werktags "Jesse Watters Primetime" – und das zur besten Sendezeit um 20 Uhr, wie es der Titel der Show schon sagt. In den 60-minütigen Sendungen bedient Watters die Themen und Erwartungen des konservativen "Fox News"-Publikums: Er warnt vor den Gefahren von Cancel Culture und Wokeness, prangert illegale Migration an und kritisiert die vermeintlich schädliche Politik der Demokraten.

"Es ist hinlänglich bekannt, dass 'Fox News' zielgruppenorientiert mit den Sorgen und Nöten der Zuschauer spielt."

Dr. Stephan Weichert, Medienwissenschaftler
Dr. Stephan Weichert
Dr. Stephan Weichert ist Medienwissenschaftler und leitet das VOCER Institut für Digitale Resilienz. © Martin Kunze

Die Themen sind vielfältig, das Credo bleibt konstant: Ängste schüren und Feindbilder schaffen. "Es ist hinlänglich bekannt, dass 'Fox News' zielgruppenorientiert mit den Sorgen und Nöten der Zuschauer spielt und dies perfektioniert hat", erklärt Medienwissenschaftler Stephan Weichert im Gespräch mit unserer Redaktion.

Eines der Erfolgsrezepte sei Simplifizierung. "Komplexität überfordert viele oder macht ihnen Angst. Je provokanter, sarkastischer und zugespitzter die Formate sind, desto stärker fühlen sich die Zuschauer in ihren Ansichten bestätigt", führt Weichert aus.

Verschwörungstheorien und falsche Behauptungen

"Provokant", "sarkastisch" und "zugespitzt" trifft auch auf die Moderationsweise von Jesse Watters zu. Im Dezember 2021 äußerte er sich bei einem Bühnenauftritt auf einer Konferenz zum Virologen Anthony Fauci, der die US-Regierung während der Corona-Pandemie beriet, mit den Worten: "Und dann setzt man den Todesschuss. Den Todesschuss. Aus dem Hinterhalt. Tödlich. Weil er es nicht kommen sieht." "Fox News" spielte diese Aussage später als Metapher herunter, sie habe sich auf mögliche harte Interviewfragen bezogen.

Im Januar dieses Jahres griff Watters eine im Internet kursierende Verschwörungstheorie auf, wonach US-Popstar Taylor Swift als "Psyop-Agentin" für das US-Verteidigungsministerium tätig sei. "Psyop" steht für "psychological operations": Sie versuche, mit psychologischen Techniken Wählerinnen und Wähler zugunsten der Demokraten zu beeinflussen.

Während der Olympischen Spiele nutzte der "Fox News"-Moderator die Geschlechterdebatte um die algerische Boxerin Imane Khelif für die Quotenjagd. Er bezeichnete sie als "genetischen Mann" und benutzte für Khelif wiederholt männliche Pronomen.

Im Juli vertrat Watters unter vager Berufung auf nicht näher genannte Wissenschaftler die Ansicht, dass ein Mann, der eine Frau wähle, selbst zu einer Frau werde.

Heftige Kritik nach Spruch über Kamala Harris

Für einen weiteren Aufreger sorgte Watters kürzlich in der von ihm mitmoderierten Talkshow "The Five", als er über Kamala Harris sagte, sie würde als Präsidentin "im Situation Room gelähmt dastehen, während die Generäle mit ihr machen, was sie wollen" (im Original: "She's going to get paralyzed in The Situation Room while the generals have their way with her").

Die englische Phrase "have their way with her" hat eine starke sexuelle Konnotation. Selbst Co-Moderatorin Jeanine Pirro forderte Watters auf, diese Aussage zurückzunehmen.

Trotz heftiger Kritik in den sozialen Medien entschuldigte sich Watters nicht, sondern erklärte einen Tag später in "The Five", seine Worte seien falsch interpretiert worden. "Ich habe nichts Sexuelles angedeutet. Ich habe meine Meinung geäußert, dass der derzeitige Führungsstil von Vizepräsidentin Harris ein Problem sein könnte, wenn sie gewählt wird", sagte er.

Provozieren und dann zurückrudern – eine bekannte und effektive Methode. "Medienwissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Ist ein Thema erst einmal gesetzt, lässt es sich nur schwer wieder aus der öffentlichen Diskussion entfernen. Die erste Provokation hat meist – und leider – eine größere Wirkung als alles, was danach folgt", betont Weichert.

Quotengarant und politischer Influencer

Repressalien seines Arbeitgebers muss Watters ohnehin nicht fürchten, denn mit seinen Sendungen ist er in der wirtschaftlich schwächelnden US-Medienlandschaft ein Quotengarant. "The Five" erreicht durchschnittlich 3,3 Millionen Zuschauer, "Jesse Watters Primetime" rund drei Millionen. Damit stellt "Fox News" die beiden erfolgreichsten Sendungen im US-Kabelfernsehen.

"Medienfiguren wie Jesse Watters sind heute weniger Journalisten als Influencer im wahrsten Sinne des Wortes."

Dr. Stephan Weichert, Medienwissenschaftler

Watters, der sich gelegentlich auch von seiner sanfteren Seite zeigt, indem er etwa Textnachrichten seiner demokratisch gesinnten Mutter vorliest, ist das wichtigste Gesicht des Nachrichtensenders – und das weit über das Kabelfernsehen hinaus. "Medienfiguren wie Jesse Watters sind heute weniger Journalisten als Influencer im wahrsten Sinne des Wortes", erklärt Weichert.

"Sie nutzen ihre mediale Präsenz, um aktiv Einfluss zu nehmen, und sind mit ihrem Profil in den sozialen Medien allgegenwärtig." Dem Medienwissenschaftler zufolge wird politischen Influencern wie Watters eine entscheidende Rolle im US-Wahlkampf zukommen, da die TV-Sender erneut einen sehr hohen Einfluss auf den Wahlausgang haben werden. "Die Macht von 'Fox News' darf man nicht unterschätzen", sagt Weichert. "Im Hintergrund agiert mit Rupert Murdoch ein skrupelloser Medienmogul, der diese Art der ungeschützten Berichterstattung fördert."

Über den Gesprächspartner

  • Dr. Stephan Weichert ist Medienwissenschaftler und leitet das VOCER Institut für Digitale Resilienz.

Verwendete Quellen

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