Der US-Präsident hat seine Vize-Präsidentin als Kandidatin der Demokratischen Partei empfohlen – eine naheliegende Entscheidung. Könnte sie die erste US-Präsidentin der Geschichte werden?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Nach wochenlanger Hängepartie war es am Sonntag so weit: US-Präsident Joe Biden erklärte via X, dass er nicht mehr als US-Präsident kandidieren werde.

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Der Entscheidung folgte Erleichterung in der Demokratischen Partei. Viele hatten nach dem verpatzten Auftritt im ersten TV-Duell mit Donald Trump befürchtet, der 81-Jährige würde an seiner Kandidatur bis zum Schluss festhalten – und damit die eigene Niederlage in Kauf nehmen.

Nun soll eine andere Kandidatin in den Ring steigen gegen Herausforderer Donald Trump. Die ehemalige Staatsanwältin Kamala Harris stellt sich dem verurteilten Straftäter Trump. Was klingt wie ein Western, in dem der Sheriff gegen den Outlaw kämpft, ist Realität in der US-amerikanischen Politik.

Harris' Wahlkampfteam nutzte die Gelegenheit der Verkündung, um einen Wahlwerbespot zu veröffentlichen, in dem Harris als langer Arm des Gesetzes dargestellt wird – und Donald Trump als Sexualstraftäter. Aber geht diese Rechnung auf? Wie groß sind Harris Chancen auf das Präsidentenamt?

Kamala Harris ist Bidens wahrscheinlichste Nachfolgerin

Bevor die Vize-Präsidentin gegen den Ex-Präsidenten antritt, muss sie erst einmal beim Parteitag der Demokraten nominiert werden. Dieser findet vom 19. bis 22. August in Chicago statt. US-Experte Julian Müller-Kaler von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik zeigt sich daher erst einmal abwartend, wenn auch optimistisch: "Es ist interessant, dass sich Ex-Präsident Barack Obama noch nicht direkt für sie ausgesprochen hat."

Laut Informationen der "New York Times" will Ex-Präsident Obama Harris nicht öffentlich unterstützen, weil er sich nicht in den demokratischen Prozess des Parteitags einmischen will. Einen anderen Kandidaten habe aber auch er nicht im Sinn. Müller-Kaler ist daher optimistisch, was Harris' Chancen anbelangt: "Wer die Identität der aktuellen Demokratischen Partei kennt, der muss davon ausgehen, dass sie dem Wunsch von Joe Biden nachkommt und sich schließlich für Harris entscheidet."

Seit der Bekanntgabe ihrer Kandidatur haben sich neben der ehemaligen Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, auch Ex-Präsident Bill Clinton und seine Frau Hillary für Harris ausgesprochen. Laut Informationen der "New York Times" hat Harris genug Unterstützung durch die Delegierten, um die Kandidatur zu gewinnen. Montagabend wurde außerdem bekannt, dass Harris' Kampagne eine Rekordsumme von 81 Millionen US-Dollar an Spendengeldern innerhalb der ersten 24 Stunden sammeln konnte. Die Zeichen stehen also geht für eine Kandidatur der Vize-Präsidentin.

Welchen Vorteil hat Harris' Kandidatur für die Demokraten?

Ein klarer Unterschied zwischen der 59-jährigen Vize-Präsidentin und ihrem 81-jährigen Chef liegt auf der Hand: das Alter. Konnte Trump bisher Wahlkampf mit dem Verweis auf den offensichtlich schwierigen gesundheitlichen Zustand des Amtsinhabers machen, wird ihm das bei Harris nicht gelingen – im Gegenteil.

Die vitale US-Politikerin kann nun ihren Kontrahenten mit den eigenen Waffen schlagen und das hohe Alter des 78-Jährigen zum Gegenstand der Debatte machen.

Darüber hinaus ist aber auch ihre Herkunft von Bedeutung, erklärt US-Experte Müller-Kaler. Als erste schwarze Vize-Präsidentin ist sie in die Geschichte eingegangen und wäre damit die logische Wahl für die schwarze Community der Vereinigten Staaten. Und die ist wirkmächtig. "Ein demokratischer Präsidentschaftskandidat muss Minderheiten, das heißt schwarze Wähler und Hispanics, in großem Maße für sich gewinnen, um eine Chance im November zu haben."

Joe Biden hatte es zuletzt verpasst, dieses klassische Wählerklientel der Demokraten zu überzeugen. Daher habe Kamala Harris insgesamt bessere Chancen als Joe Biden, weshalb er ihr wohl den Vorzug gegeben habe.

Zusätzlich wird Harris glaubwürdig das Thema Abtreibungen und Reproduktionsrecht auf die Agenda nehmen können, ein laut Müller-Kaler gutes Thema für die Demokraten, bei dem sie viele Wählerstimmen gewinnen können. Harris hatte gegen den Widerstand von US-Präsident Biden die Finanzierung von Abtreibungen durch das soziale Gesundheitsprogramm Medicaid befürwortet.

Bereits bei ihrem ersten offiziellen Auftritt am Montag in Wilmington, Delaware, erklärte sie laut "spiegel.de": "Wir werden für die reproduktive Freiheit kämpfen, wissend, dass Trump, wenn er die Chance bekommt, ein Abtreibungsverbot unterzeichnen wird, um Abtreibungen in jedem einzelnen Bundesstaat zu verbieten."

Was könnte für Harris zum Problem werden?

Trotzdem ist die Wahl damit noch lange nicht entschieden. Es sei nach wie vor ein weiter Weg für Harris bis ins Präsidentenamt, sagt US-Experte Müller-Kaler: "Der Rückenwind, den sie jetzt hat, kann sich abschwächen, wenn sie Fehler macht." 2020 hatte Harris ihren eigenen Vorwahlkampf phänomenal in den Sand gesetzt und auch in ihrer Zeit als Vize-Präsidentin hat sie enttäuscht.

Man dürfe daher nicht den Fehler von 2016 wiederholen und Donald Trump unterschätzen: "Die Republikaner sind unter ihm zu einer Arbeiterpartei geworden und haben Wähler gewinnen können, zu denen die Demokraten den Zugang verloren haben." Während Bidens Präsidentschaft hat sich das Leben in den USA stark verteuert, der Unmut darüber ist gewachsen.

"So etwas ist in einer Gesellschaft, in der sich viele von Gehaltscheck zu Gehaltscheck hangeln, nicht hinnehmbar", sagt der Experte. Gerade die vom wirtschaftlichen Niedergang betroffene weiße Arbeiterschaft wird daher sehr wahrscheinlich die Republikaner unterstützen. Darauf weisen auch die aktuellen Umfragen hin.

Sind die USA bereit für eine schwarze Präsidentin?

Auch ihr Geschlecht könnte Harris zum Verhängnis werden, denn das ist bei den US-amerikanischen Wählerinnen kein Grund, für die demokratische Kandidatin zu stimmen. Als 2016 die Demokratin Hillary Clinton antrat, entschied sich die Mehrheit der weißen Frauen nicht etwa dafür, im Sinne der Solidarität unter Frauen die erste US-Präsidentin der Geschichte mit ihrer Stimme ins Amt zu befördern. Sie gaben mehrheitlich dem machohaften Donald Trump ihre Stimme, der öffentlich damit angab, übergriffig gegenüber Frauen zu sein.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Andersherum wählen US-Amerikaner lieber ihre Geschlechtsgenossen. Die Erfahrung bei bisherigen Wahlen zeigt: Donald Trump hat als Mann bei männlichen Wählern nach wie vor bessere Chancen als eine Frau – noch dazu eine, die einer ethnischen Minderheit angehört. "Es zeigt sich nun einmal mehr, wie progressiv Amerika ist und ob die Bevölkerung bereit für eine schwarze Frau im Präsidentenamt ist", sagt Müller-Kaler.

Harris ist nicht beliebt in ihrer Partei

Außerdem könnte ihre eigene Partei Harris noch Steine in den Weg legen. Denn dort gehört sie nicht gerade zu den beliebtesten Politikerinnen. "Sie hatte auch während ihrer Vize-Präsidentschaft eine hohe Fluktuation bei den Mitarbeitern zu verzeichnen. Das zehrt an den Strukturen innerhalb einer Partei", erklärt Müller-Kaler.

Helfen könnte ihr hierbei ein geeigneter Kandidat für das Vize-Präsidentenamt, der sogenannte Running Mate. Müller-Kaler hält hier einen Mann für wahrscheinlich. Eine komplett weibliche Besetzung sei der US-amerikanischen Gesellschaft schwer zumutbar. "Ich räume dem Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro, gute Chancen ein."

Der Einfluss des Rostgürtels

Die Wahl von Shapiro als Running Mate hätte den Vorteil, dass dieser aus dem sogenannten "Rust Belt" (zu Deutsch Rostgürtel) kommt und dessen Unterstützung gewinnen könnte. Der Rostgürtel ist eine Region im Nordosten der USA, die vormals von der dort ansässigen Industrie gelebt hat und nun unter dem strukturellen Wandel der Wirtschaft leidet – vergleichbar mit den stillgelegten Zechen des Ruhrgebiets hierzulande.

Trotz der schwindenden wirtschaftlichen Kraft ist die Region nach wie vor politisch einflussreich. Der Wahlerfolg Donald Trumps 2016 war maßgeblich darauf zurückzuführen, dass er die Wähler in Pennsylvania, Michigan und Wisconsin von sich überzeugen konnte.

Die Staaten innerhalb des Rostgürtels könnten auch bei der kommenden Präsidentschaftswahl das Zünglein an der Waage sein und daher über den kommenden US-Präsidenten entscheiden. Trump hatte sich auch deshalb für J. D. Vance als seinen Running Mate entschieden. Vance vertritt als Senator Ohio, einen Staat im Rostgürtel. Pennsylvanias Gouverneur Josh Shapiro könnte Kamala Harris' Antwort auf Vance sein – sollte sie tatsächlich für die Demokraten ins Rennen gehen.

Über den Gesprächspartner

  • Julian Müller-Kaler ist Research Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Seine Schwerpunkte sind unter anderem amerikanische Innenpolitik und der Aufstieg des Populismus in westlichen Demokratien.

Verwendete Quellen

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