Moskau/Kiew - Russlands Angriffskrieg ist mit einem neuen Raketenschlag gegen die Ukraine und Drohungen von Präsident Wladimir Putin gegen Kiews westliche Unterstützer weiter eskaliert. Der Kremlchef bestätigte, dass eine neu entwickelte russische Mittelstreckenrakete am Donnerstagmorgen die ukrainische Großstadt Dnipro getroffen habe.

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In einer Videoansprache nannte er das neue System Oreschnik. Es arbeite mit Hyperschallgeschwindigkeit und könne nicht abgefangen werden, sagte er. Das ließ sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. In Dnipro schlugen sechs einzelne Sprengköpfe ein. Sie seien nicht nuklearer Art gewesen, sagte Putin.

Er sprach von einer Reaktion darauf, dass die USA und andere Länder der Ukraine den Einsatz weitreichender Waffen gegen russisches Territorium erlaubt hätten. "Wir haben mehrfach unterstrichen, dass der vom Westen provozierte Regionalkonflikt in der Ukraine Elemente globalen Charakters angenommen hat", sagte Putin. Zugleich nannte er das neue System die Moskauer Antwort darauf, dass die USA Mittelstreckenraketen in Europa und im Pazifik stationieren wollten.

Am 1002. Kriegstag drohte er deshalb nicht nur der Ukraine, sondern auch ihren Unterstützern mit möglichen Raketenangriffen. "Wir sehen uns im Recht, unsere Waffen gegen militärische Objekte der Länder einzusetzen, die es zulassen, dass ihre Waffen gegen Objekte bei uns eingesetzt werden", sagte er. "Im Fall einer Eskalation aggressiver Handlungen werden wir entschieden spiegelbildlich handeln."

Die Ukraine hat in den vergangenen Tagen dem Vernehmen nach ATACMS-Raketen aus US-Produktion und britische Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow auf Militärziele in Russland abgefeuert.

Putin spricht von Test unter Gefechtsbedingungen

Ein Vertreter der US-Regierung erklärte, Russland besitze vermutlich nur eine Handvoll dieser experimentellen Raketen. Die Ukraine habe schon Angriffe von Raketen mit viel größeren Sprengladungen überstanden. Die Moskauer Attacke solle vor allem die Ukraine und ihre Unterstützer einschüchtern und öffentliche Aufmerksamkeit erregen, sagte der Beamte. Die USA hätten Kiew und die Verbündeten jüngst über einen möglichen Einsatz der neuen Rakete informiert.

Ukraine-Krieg - Marschflugkörper Storm Shadow
Ein Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow beziehungsweise Scalp. © dpa / Lewis Joly/AP

Nach dem Angriff auf Dnipro gab es zunächst Spekulationen, ob es sich um eine Interkontinentalrakete gehandelt haben könnte. Abgefeuert wurde die prinzipiell auch mit Atomsprengköpfen bestückbare Oreschnik vermutlich aus dem russischen Gebiet Astrachan am Kaspischen Meer - etwa 800 Kilometer vom Einschlagsort Dnipro entfernt. Einige Militärbeobachter nannten dies einen Warnschuss, aber auch eine mögliche Generalprobe für einen echten Atomschlag.

Putin sprach von einem Test der Rakete unter Gefechtsbedingungen. Bei weiteren Tests der Oreschnik werde Russland die Zivilbevölkerung warnen, damit sie die Gefahrenzone verlassen könne, kündigte er an. Er sprach dabei nicht von einem Nuklearangriff. Allerdings werten Experten gerade den Einsatz von mehreren Sprengköpfen in Dnipro als Hinweis, dass die Rakete technisch gesehen auch nuklear bestückt werden kann. Daten zu der neuen Rakete gibt es bislang nicht, auch die Typenbezeichnung ist nicht aufgetaucht.

USA wurden von Moskau vorab informiert

Das Pentagon geht davon aus, dass die ballistische Mittelstreckenrakete auf dem Modell der russischen Interkontinentalrakete RS-26 basiert. Die US-Regierung wurde demnach von Russland kurz vor dem Einsatz informiert. Dazu seien die zwischen Washington und Moskau vorhandenen "Kanäle zur Verringerung nuklearer Risiken" genutzt worden, sagte die Vize-Sprecherin des US-Verteidigungsministeriums, Sabrina Singh.

Nicht authentifizierte, in sozialen Netzwerken kursierende Videos zeigten über einer nächtlichen Stadt herabfallende helle Teile ohne Folgeexplosionen. Vermutet wurde, dass dies die sechs leeren Sprengköpfe zu einer eingesetzten Interkontinentalrakete gehören könnten.

Selenskyj: Putin nutzt Ukraine als Waffentestgelände

"Alle Charaktereigenschaften - Geschwindigkeit, Höhe - sind die einer Interkontinentalrakete", sagte der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj. "Offensichtlich ist, dass Putin die Ukraine als Versuchsgelände nutzt." Auffällig war, dass es von der Nato keine Reaktion gab. Der Start einer Interkontinentalrakete hätte überall roten Alarm auslösen müssen, meinte der unabhängige Militäranalyst Jan Matwejew.

Russischer Präsident Wladimir Putin
Kremlchef droht der Ukraine und ihren Unterstützern mit weiteren Raketenschlägen. © dpa / Vyacheslav Prokofyev/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Die Vereinten Nationen sprachen von einer "besorgniserregenden Entwicklung". "All das geht in die falsche Richtung. Was wir sehen wollen, ist, dass alle Parteien dringend Schritte unternehmen, um die Situation zu deeskalieren", sagte UN-Sprecher Stéphane Dujarric in New York.

Großbritannien spricht von Eskalation und ballistischer Rakete

Großbritanniens Verteidigungsminister John Healey äußerte sich zwar nicht zum genauen Typ der Rakete, übte aber trotzdem scharfe Kritik an Putin, dem er Eskalation vorwarf. Er habe die Angriffe aus der Luft auf die Ukraine in den vergangenen Wochen massiv verschärft und tausende nordkoreanische Soldaten an die Front geschickt. "Und es gibt heute unbestätigte Medienberichte, dass Russland eine neue ballistische Rakete auf die Ukraine gefeuert hat, was sie unseres Wissens nach seit Monaten vorbereitet haben", sagte Healey im Verteidigungsausschuss.

Moskau will britische Storm Shadow abgeschossen haben

Kremlsprecher Dmitri Peskow warf dem Westen seinerseits Eskalation vor. Die scheidende US-Administration unter Präsident Joe Biden sei verantwortungslos und tue alles, um Öl ins Feuer zu gießen und den Konflikt weiter anzuheizen, sagte er. Das Verteidigungsministerium in Moskau hatte zuvor mitgeteilt, zwei von der Ukraine abgefeuerte Storm Shadow abgefangen zu haben. Es wäre das erste Mal seit Kriegsbeginn, dass die weitreichenden Marschflugkörper gegen Ziele in Russland eingesetzt wurden.

"Von der Flugabwehr wurden 2 Marschflugkörper Storm Shadow aus britischer Produktion, 6 reaktive Geschosse des Typs Himars aus US-Produktion und 67 Drohnen abgeschossen", heißt es in der Mitteilung des russischen Militärs. Zu Einschlägen und Schäden machte das Verteidigungsministerium keine Angaben.

Angriff mit Storm Shadow angeblich auf einen Kommandopunkt

Britische Medien hatten bereits am Vortag unter Berufung auf nicht genannte Insider-Quellen über den Angriff berichtet. Demnach sind Trümmerteile der Marschflugkörper in dem Ort Marjino im russischen Gebiet Kursk, knapp 45 Kilometer entfernt von der Grenze gefunden worden. Parallel dazu schrieb der Kursker Gouverneur Alexej Smirnow auf Telegram, dass zwei Raketen abgeschossen worden seien - er machte aber keine Angaben zu deren Typ.

Das in Washington ansässige Institut für Kriegsstudien (ISW) berichtete, dass ein gemeinsamer russisch-nordkoreanischer Kommandopunkt angegriffen und zerstört worden sei. Der ukrainische Generalstab hat diese Angaben allerdings nicht bestätigt. Aus Moskau ist das Eingeständnis eines kritischen Treffers ohnehin nicht zu erwarten.

Bereits Anfang der Woche sollen erstmals ATACMS-Raketen aus US-Produktion gegen ein Munitionslager in der westrussischen Region Brjansk eingesetzt worden sein. Dem Vernehmen nach hat Biden dem Einsatz weitreichender Waffen gegen Russland zugestimmt, um ein Zeichen an Nordkorea zu senden, das an der Seite Russlands mutmaßlich Soldaten in den Konflikt entsendet hat.

Russische Gazprombank wird sanktioniert

Wegen des Ukraine-Kriegs schränken die USA Russlands Möglichkeiten auf den internationalen Finanzmärkten wegen des Ukraine-Kriegs weiter ein. Die Biden-Regierung verhängte Strafmaßnahmen gegen die Gazprombank, die größte bislang von den USA noch nicht sanktionierte Bank Russlands. Sie wird damit im Grundsatz aus dem US-Bankensystem ausgeschlossen, ihr Handel mit Amerikanern unterbunden und ihr Vermögen in den USA eingefroren. Über die Gazprombank kaufe Russland militärisches Material für den Krieg gegen die Ukraine, erklärte das US-Finanzministerium.  © Deutsche Presse-Agentur

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