- Mehrere Tage hat sich ein mutmaßlicher Spionageballon aus China im US-amerikanischen Luftraum befunden.
- Auf Befehl von US-Präsident Joe Biden wurde der Ballon, der die Größe von drei Bussen haben soll, abgeschossen.
- Auch Kolumbien entdeckte am 4. Februar ein unbekanntes Flugobjekt, das "ähnliche Eigenschaften wie ein Ballon" aufgewiesen habe.
- Warum schicken die Chinesen gerade jetzt solche Ballons los? Wie glaubwürdig ist die Erklärung, es handele sich nur um Wetterballons? Experte Gerhard Conrad gibt Antworten.
Herr Conrad, ein mutmaßlicher Spionageballon hat für Spannungen zwischen China und den USA gesorgt. US-Außenminister Blinken verschob seine China-Reise, China drohte mit "notwendigen Reaktionen" nach dem Abschuss des Ballons. Warum sind die Ballons über Nord- und Südamerika überhaupt so ein großes Thema?
Gerhard Conrad: Es handelt sich hier nicht um Einzelfälle, sondern um Teil eines größeren chinesischen Programms zur Entwicklung und Nutzung von Stratosphärenballons zur Aufklärung anderer Staaten. Dabei muss beachtet werden, dass der Luftraum über einem Territorium zum Hoheitsgebiet des entsprechenden Staates gehört. Im Völkerrecht ist bislang nicht bestimmt, wie weit der Luftraum reicht, der zum Hoheitsgebiet zu zählen ist. Nach der am meisten vertretenen Auffassung reicht der Luftraum eines Staates in eine Höhe von bis zu 100 Kilometer.
Der Ballon, der in Kolumbien vom nationalen Luftverteidigungssystem entdeckt wurde, flog in einer Höhe von rund 17.000 Metern ...
Ein Flugverkehr über den 100 Kilometern – etwa alle Satelliten in geostationären Erdumlaufbahnen – verletzt kein staatliches Hoheitsrecht, wohl aber der Einsatz von Ballons in der Stratosphäre, die wiederum eine Ausdehnung zwischen 15 und 50 Kilometer hat. Der chinesische Ballon ist somit über Tage ohne Ankündigung, geschweige denn Genehmigung im amerikanischen Hoheitsgebiet geflogen und hat allein schon damit in ostentativer Weise Souveränitätsrechte missachtet. Dass er dann auch noch über den Silos für Atomraketen in Montana Station machte, verschärft diese Provokation noch einmal ganz beträchtlich, völlig ungeachtet der möglicherweise geringen konkreten Aufklärungsleistung über dem Ziel.
Beginn der Untersuchungen: Welchen Zweck haben die Ballons?
Mit einer Reaktion der USA war also zu rechnen?
Die Symbolik allein ist ein zusätzlicher gravierender unfreundlicher Akt. Das bleibt allein schon unter dem Aspekt der staatlichen Selbstbehauptung, gerade noch einer Supermacht, in der Regel nicht ohne diplomatische Konsequenzen. Hinzu kommt, dass es nach dem etablierten Urteil der Fachwelt bei den Ballon-Einsätzen eben nicht oder allenfalls am Rande um meteorologische Datenerfassung geht. Bereits bei früher in anderen Weltgegenden beobachteten chinesischen Ballons konnte unschwer erkannt werden, dass ihre Nutzlast aus Messgeräten für die zivile Datensammlung, aber auch die militärische Aufklärung und Überwachung sowie die Sammlung atmosphärischer Daten zur Verbesserung globaler Steuerung von Interkontinentalraketen besteht.
Wie geht es nun weiter?
Eine "forensische" Analyse der Geräte wird nunmehr erstmals von der Bergung und Auswertung der Trümmer des abgeschossenen Ballons zu erwarten sein. Diese wird genaueren Aufschluss über fortgeschrittene technische Leistungsparameter und Verfahren geben, die von chinesischer Seite mit hoher Wahrscheinlichkeit geheim gehalten werden sollten. Je nach Art und Umfang der Feststellungen lassen sich hieraus militärisch relevante Aufklärungs- und operative Absichten ableiten. Für die chinesische Führung ist dies diplomatisch wie außenpolitisch blamabel, demonstriert es doch vor den Augen der Weltöffentlichkeit die Missachtung elementarer völkerrechtlicher Prinzipien.
Warum schicken die Chinesen gerade jetzt solche Ballons los?
Die Frage stellt sich erst einmal, ob eine außenpolitisch kalkulierte schwere Provokation beabsichtigt war, oder es sich um einen Fall unabgestimmten militärischen Handelns handelt. In Betracht kommen könnten hier für einen Transit von China zum amerikanischen Kontinent förderliche meteorologische Rahmenbedingungen in der Stratosphäre, die es aus Sicht der chinesischen Volksbefreiungsarmee zu nutzen galt, ohne einen weiteren außenpolitischen Kontext zu beachten.
Wie lässt sich das aufklären?
Eventuell verschaffen hier weitere Untersuchungen Klarheit über derartige Umstände, eventuell auch darüber, ob der konkrete Kurs des Ballons komplett unter Kontrolle gestanden hatte, oder von den Strömungen in der Stratosphäre in maßgeblichem Umfang mit beeinflusst war, sodass die offenbar festgestellten Steuerungsaggregate den Überflug als solchen gar nicht mehr hätten verhindern können. Grundsätzlich ist jedoch festzuhalten, dass bisher China, womöglich in seinem gewachsenen Selbstverständnis als "Reich der Mitte", eine Praxis unilateraler Aufklärungsmissionen mit Stratosphärenballons entwickelt hat, die nur sehr wenig Rücksicht auf Souveränitätsansprüche anderer Staaten nimmt. Dem könnte nunmehr – auch durch internationale Kooperation der betroffenen Staaten – durchaus ein Ende gesetzt werden.
Spionage oder Forschung: Was ist dran am chinesischen Narrativ?
Wie plausibel ist die chinesische Erklärung, dass es sich dabei nur um vom Kurs abgekommene Wetterballons handelt?
Das chinesische LTA (Lighter Than Air)-Programm wird seit spätestens 2015 kontinuierlich beobachtet. Überflüge soll es nach amerikanischen, aber auch taiwanesischen Angaben in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben haben, so etwa 2020 über der japanischen Stadt Sendai, im September 2021 über Nord-Taiwan, im Januar 2022 über Indien. Im Februar 2022 überflog erneut eine ganze Gruppe von Ballons, die den Raketentruppen der chinesischen Volksarmee zugeordnet werden konnten, den militärisch relevanten nördlichen Teil Taiwans. Ebenfalls im Februar 2022 mussten Alarmrotten (Eine Alarmrotte ist eine Rotte von zwei oder drei Jagdflugzeugen oder Abfangjägern, Anm. d. Red.) in Kauai auf Hawaii starten, um chinesische Stratosphären-Ballons abzufangen.
Und worum ging es damals dabei?
In all diesen Fällen konnte offenbar bereits beobachtet und analysiert werden, dass hier die Aufklärung militärischer Fragestellungen im Vordergrund stand. Besonders augenfällig war dies 2018, als chinesischen Medienberichten zufolge ein militärischer Stratosphärenballon auch im Zusammenhang mit der Erprobung von Hyperschall-Waffensystemen eingesetzt wurde. Sollten die anstehenden Untersuchungen diesen Befund bestätigen, wären die chinesischen Angaben eindeutig als Zwecklüge überführt.
Gab es in der Vergangenheit ähnliche Vorfälle wie jetzt in den USA?
Offenbar haben bereits in der Amtszeit von
Wachsende Spannungen: Was kommt da auf uns zu?
Was bedeutet der Vorfall für das Verhältnis zwischen Peking und Washington beziehungsweise zwischen China und den anderen betroffenen Ländern? Wird dadurch eine Krise ausgelöst?
Jedenfalls eine diplomatische Krise, das ist offensichtlich. Sollten die forensischen Ergebnisse den Spionageverdacht erhärten, würde es zu einer weiteren Vertrauenskrise nicht nur zwischen den USA und China kommen, sondern auch zwischen China und allen bisher von Ballon-Überflügen betroffenen Staaten. Daran werden auch heftigste chinesische Dementis nichts ändern, die naheliegenderweise die amerikanischen Ergebnisse allein schon dem Grunde nach als politisch motivierte Unterstellungen im machtpolitischen Konflikt nicht akzeptieren werden.
Wie also wirkt sich die Ballon-Affäre konkret aus?
Die ohnehin wachsenden Vorbehalte gegenüber China und seinen langfristigen militärstrategischen globalen Interessen würden sich allseits weiter vertiefen. Das chinesische LTA-Programm dürfte zunehmend auf aktive Abwehr stoßen und damit in seiner Zweckbestimmung zumindest eingeschränkt werden. Exportbeschränkungen in technisch sensitiven Bereichen würden eine erneute Verschärfung erfahren, so insbesondere in den USA, doch liegt auch eine Ausweitung der Maßnahmen durch Verbündete nahe.
Muss man auch mit einer militärischen Eskalation der Lage rechnen?
Eine militärische Eskalation der Lage ist unter den bisher bekannten Rahmenbedingungen eher nicht zu erwarten. Sollten allerdings die USA bemannte oder unbemannte Aufklärungseinsätze nahe dem chinesischen Luftraum fliegen, dürfte dies absehbar mit besonderen operativen und politischen Risiken verbunden sein.
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