Die Außenpolitik in Bezug auf Iran und Israel zeigt einmal mehr: Die USA sind unter Donald Trump kein verlässlicher Partner mehr. Trumps Unberechenbarkeit sei mit Blick auf sein Weltbild aber schon wieder berechenbar, meint US-Experte Dr. Josef Braml. Er mahnt, Europa dürfe nicht den alten Zeiten hinterherjammern. Denn nichts wird wieder werden, wie es vermeintlich einmal war.
Politikwissenschaftler Dr. Braml, USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sagt: "Trumps Weltbild hat mit einer liberalen Weltordnung nichts mehr zu tun. Ihn selbst könnte das aber sogar seiner Wiederwahl näherbringen."
Sind die USA aktuell der unberechenbarste Akteur der Welt?
Braml: Nein. Es wird immer deutlicher, dass die Außen- und Sicherheitspolitik der Regierung Trump vom Weltbild des Realismus geleitet wird, das sich von unseren Vorstellungen einer liberalen, regelbasierten Weltordnung fundamental unterscheidet – und vielleicht auch deswegen von vielen hierzulande nicht verstanden wird.
Was ist das "Weltbild des Realismus"?
In der Denkrichtung des Realismus bietet Militärmacht den kompetitiven Wettbewerbsvorteil schlechthin. Nach Trump haben Staaten damit keine Freunde, sondern nur nationale Interessen, und sie trachten danach, diese rücksichtslos durchzusetzen. Verfolgt man dieses Nullsummendenken konsequent weiter, ist militärische Macht kein Mittel für internationale Stabilität, geschweige denn Frieden.
Sondern wofür?
Sie dient vielmehr dazu, um im härter werdenden internationalen Wettbewerb zu gewinnen – mit dem Recht des Stärkeren und zwangsläufig auf Kosten aller anderen Nationen. Das auch in der aktuellen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA als 'realistisch' bezeichnete Politikverständnis von US-Präsident Trump und seiner Sicherheitsberater widerspricht der in Deutschland bevorzugten liberal-internationalistischen Vorstellung einer regelbasierten Weltordnung, in der internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen und die Welthandelsorganisation (WTO) eine zentrale Rolle spielen.
In der Weltsicht von US-Präsident Trump sind multilaterale Organisationen ein Hindernis: Sie sind schließlich darauf ausgerichtet, internationalem Recht zur Stärke zu helfen, auszugleichen, den Stimmen auch der – nach Trumps Meinung – 'Schwächeren' im Konzert der Nationen zur Geltung zu verhelfen. Dementsprechend abschätzig betrachtet Trump auch das multilaterale Welthandelssystem, das er immer wieder als 'schlechten Deal' für Amerika darstellt.
Mit dem Ausstieg aus dem Iran-Deal hat Trump einen historischen Vertrag aufgekündigt. Lautet das Signal nun im Nordkorea-Kontext "Verträge mit den USA bieten keine berechenbare Sicherheit, Atomwaffen schon"?
Diesen Schluss kann man ziehen – übrigens auch in Teheran. Aber die USA werden nach der Aufkündigung des Nuklear-Deals mit dem Iran weitere Konsequenzen folgen lassen. Politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger in Europa sollten sich darauf einstellen, dass die USA und vielleicht auch Israel Präventivschläge gegen den Iran durchführen werden.
Auch mit der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem hat Trump den Konsens der westlichen Staatengemeinschaft aufgekündigt und zukünftige Friedensgespräche konterkariert. Welche Konsequenzen könnte dies haben?
Dass Trump wiedergewählt werden könnte. Wir sollten uns vergegenwärtigen, dass die Kernwählerschaft Trumps Israel sehr nahesteht. Viele evangelikale Christen sehen in der Staatengründung Israels ein Zeichen für die Erfüllung ihrer Heilserwartung. Nach ihrer Eschatologie [Frei: Verständnis vom Jüngsten Gericht, Anm. d. Red.] wird Jesus Christus erst dann wiederkommen, wenn Israel in seinen alttestamentarischen Grenzen wiedererrichtet ist – dann werden in einer Entscheidungsschlacht die Heerscharen des Guten endgültig über das Böse siegen.
Ob Trump selbst an dieses Armageddon glaubt, sei dahingestellt. Aber er weiß um die politische Macht dieser Wählergruppe. Trumps Entscheidung, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, war vorhersehbar, wenn man diese Hintergründe kennt.
Wie verändert es die internationale Gemeinschaft, wenn die USA kein verlässlicher Partner mehr sind?
Trumps sogenannter Realismus verkennt, dass Sicherheit nicht gegeneinander, sondern nur miteinander erreicht werden kann. Wenn regelbasierte Zusammenarbeit fehlt, entsteht ein Sicherheitsdilemma – kein Staat vertraut mehr dem anderen und Staaten werden wieder ihre Bemühungen verstärken, gegeneinander aufzurüsten.
Das ist eine gefährliche Lage, die zu größeren Konflikten führen kann, aber ein enormes Geschäftspotenzial, insbesondere für die amerikanische Militärindustrie bietet, die nicht nur sehr gut vom Rüstungsetat der USA, sondern auch von Rüstungsexporten lebt.
Bereits im vergangenen Jahr hat der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, gesagt, Trump habe die Rolle der USA als internationaler Vermittler extrem beschädigt. Als wie gefährlich erachten Sie diese Entwicklung?
Wer Trumps knallharte Machtpolitik aufmerksam beobachtet hat, muss heute noch skeptischer sein. Für Trump und seine Sicherheitsberater ist Diplomatie ohnehin nur Zeitverschwendung. Nach ihrer Weltsicht hat derjenige mit dem größten Militärhammer das Sagen.
Da werden wir uns künftig schwertun als Handelsmacht, die sich kein eigenes Militär leistet und deshalb mittlerweile sogar von der ehemaligen Schutzmacht USA erpresst wird. Man denke nur an die Strafzölle, mit denen Trump seine Nato-Verbündeten nötigt, mehr für amerikanische Rüstungsgüter auszugeben.
Die Rolle der USA als internationaler Vermittler ist über Jahrzehnte gewachsen. Wie nachhaltig wird der Schaden sein? Wird der Nachfolger Trumps vor einem Scherbenhaufen stehen?
Die USA waren in den Jahrzehnten nach den beiden Weltkriegen sehr gut beraten, eine regelbasierte Weltordnung aufzubauen und sie als liberaler Hegemon aufrechtzuerhalten. Sie haben ihren Alliierten sozusagen öffentliche Güter wie Sicherheit, Freihandel und eine stabile Leitwährung zur Verfügung gestellt. Sie haben damit auch erreicht, dass andere ihrer Führung folgen und keine Gegenmacht bilden.
Doch bereits unter Obamas Amtszeit wurde deutlich, dass die USA aus inneren, sozialen, wirtschaftlichen und innenpolitischen Gründen nicht mehr fähig waren, diese Ordnungsleistungen zu erbringen. Bereits unter Obama haben die USA ihre Interessen enger gefasst und Lasten, die sie selber nicht mehr tragen konnten, auf andere - Rivalen wie China und Verbündete in Europa und Asien - abzuwälzen versucht.
Ein Nachfolger wird also nicht versuchen, das Rad zurückzudrehen?
Nein. Dieses Wunschdenken ist gefährlich, weil es uns daran hindert - oder sogar eine Ausrede darstellt - selbständiger zu denken und zu handeln. Wir müssen als Europäer aber souveräner denken und handeln lernen, wenn wir in diesem härter werdenden internationalen Wettbewerb bestehen wollen.
Im Wahlkampf vor zwei Jahren hatte Trump die fehlende Einheit in der Außenpolitik bemängelt und gesagt, Amerika bräuchte eine "coherent foreign policy" - Eine zusammenhängende Außenpolitik. Leistet er das?
Auch seine Vorgänger haben keine kohärente Außenpolitik verfolgt. Das ist wohl nur eine Wunschvorstellung von realitätsfernen Akademikern, die hin und wieder wohlklingende Wahlkampfreden für Präsidentschaftskandidaten schreiben und versuchen, ihre Theorien in der Praxis bestätigt zu sehen.
Erkennen Sie einen Plan hinter der Zerstörung der Weltordnung anstelle konstruktiver Gestaltungsprozesse?
Trump und seine Wirtschafts- und Sicherheitsberater sind der Ansicht, dass die regelbasierte Weltordnung Amerikas Rivalen China und Europa hilft. Wenn diese Ordnung von der amtierenden US-Regierung zerstört wird, dann gilt das Recht des militärisch Stärkeren. Dann haben die USA das Sagen. Militärmacht ist zentral in diesem Denken. Und die Militärmacht der USA sucht ihresgleichen. Die unsichtbare Hand des Marktes funktioniert offensichtlich besser mit der leicht sichtbaren Faust in der Tasche.
Richard Nixon wandte einst die "Madman-Methode" an: Er wollte im Vietnamkrieg während des Kalten Krieges wie ein Wahnsinniger wirken. Die Gegenspieler sollten nicht einschätzen können, ob er wirklich eine Atombombe auf Hanoi oder Moskau werfen würde. Folglich behandelten sie Nixon mit Vorsicht und lenkten ein. Tut Trump es ihm nach?
Trump hatte im Wahlkampf schon damit gedroht, dass Unberechenbarkeit seine größte Stärke sei.
Ist Nixon sein Vorbild?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein narzisstischer Egomane wie Trump Vorbilder hat – wohl nur dann, wenn er in den Spiegel schaut. Aber Trumps Wahnsinn hat Methode: In seinem Weltbild kämpft Unternehmen gegen Unternehmen und Staat gegen Staat. Dabei gibt es nur Gewinner und Verlierer. Kooperation ist diesem Denken fremd.
Trump hatte auch mehrfach kritisiert, die Gegner der USA hätten keinen Respekt mehr und nähmen das Land nicht mehr ernst.
Als Führer der größten Militärmacht will Trump Alliierten wie Rivalen Respekt abnötigen. Nach dem Motto 'America First!' übernimmt Trump nur Verantwortung für sein Land. In seinem Nullsummendenken will Trump gewinnen – natürlich auf Kosten aller anderen.
Sehen Sie etwas, das Trump von diesem Weg abbringen könnte?
Ja: eine Amtsenthebung durch die beiden Kammern des Kongresses, das wahrscheinlicher würde, sollten die Republikaner bei den Kongresswahlen am 6. November verlieren. Aber: Im Fall eines Krieges könnte Trump mit dem 'rally 'round the flag'-Effekt rechnen – also damit, dass sich seine Landsleute im Krisenfall auch bei Wahlen patriotisch hinter ihren Präsidenten und Oberbefehlshaber stellen.
Politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger in Europa sollten sich darauf einstellen, dass die USA auch aus diesem innenpolitisch motivierten Grund Präventivschläge gegen den Iran durchführen werden.
Trump hatte im Wahlkampf 2016 versprochen, die USA würden wieder ein verlässlicher Verbündeter sein. Er sagte "To our friends and allies, I say America is going to be reliable again." Das wird auf der anderen Seite nicht so wahrgenommen: Angela Merkel hat bereits mehrfach betont, dass Amerika nicht mehr der verlässliche Partner ist, der es einmal war. Wie sollten Amerikas Verbündete auf den Vertrauensverlust reagieren?
Wir sollten diese Krise als Chance begreifen, indem wir damit anfangen, mehr Verantwortung für unsere eigene Sicherheit zu übernehmen und mithelfen, die liberale Restordnung aufrechtzuerhalten, weil wir als Handelsmacht fundamental davon abhängen.
Welchen Fehler müssen wir dabei vermeiden?
Das Wunschdenken, dass in den USA alles wieder so gut wird, wie es auch in der Vergangenheit nicht war.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.