Die Gewerkschaft Verdi und die Klimaschützer von Fridays for Future gehen am Freitag gemeinsam auf die Straße. Für die Kooperation gibt es Gründe. Doch passt der Streik in die aktuelle Zeit?
Es ist der Höhepunkt der bundesweiten Warnstreiks im Nahverkehr: An diesem Freitag (1. März) geht die Gewerkschaft Verdi für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße. Sie macht das nicht allein. Auch die Klimaschützer von Fridays for Future (FFF) schließen sich an.
"Unsere gemeinsamen Ziele machen uns stark. Wir treten an für attraktive Arbeitsbedingungen im öffentlichen Personennahverkehr. Ohne einen Ausbau des Nahverkehrs werden die Klimaziele im Verkehrsbereich nie erreicht", sagt Verdi-Chef Frank Werneke unserer Redaktion.
"Groteske Koalition" oder naheliegendes Bündnis?
Doch zunächst fahren in 14 Bundesländern viele Busse und Bahnen nicht. Es bleiben also ausgerechnet jene Verkehrsmittel stehen, die klimafreundlich sind. Wie passt das zusammen? Die CDU-Politikerin und Bundesvorsitzende der Mittelstandsunion, Gitta Connemann, nennt die Zusammenarbeit von Verdi und Fridays for Future jedenfalls eine "groteske Koalition". Wenn es FFF wirklich um das Klima gehe, müssten sie alles daran setzen, dass der ÖPNV läuft, sagte Connemann der "Rheinischen Post".
Die Beteiligten sehen das erwartungsgemäß anders: "Wir müssen den öffentlichen Nahverkehr ausbauen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Menschen, die Busse und Trams fahren, gut bezahlt werden", sagt
Die Gewerkschaft Verdi befindet sich mit Ausnahme von Bayern und dem Saarland mit allen Bundesländern in Tarifverhandlungen. Fakt ist: Der ÖPNV benötigt frisches Personal. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) schätzt, dass bis 2030 bis zu 110.000 zusätzliche Beschäftigte benötigt werden.
Gewerkschaften: Die Bereitschaft zum Streik ist da
Trotz aktuell schlechter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen hat sich die Verhandlungsposition für Arbeitnehmer verbessert. Und die Bereitschaft zum Streik ist da. Dies hat man bei der Lokführergewerkschaft GDL gesehen, genau wie bei den gescheiterten Tarifgesprächen der Flugbegleiter. Und jetzt Verdi.
Dass die Gewerkschaft mit den Klimaschützern um Luisa Neubauer auf die Straße geht, ist nicht neu. Seit 2019 gibt es eine Kooperation. Auf den ersten Blick: ungleiche Partner. Andererseits: Gewerkschaften wirken noch immer etwas behäbig. Anders als die jugendlichen Demonstranten von Fridays for Future. Den Klimaschützern wiederum hängt der Ruf nach, für die soziale Frage – trotz anderslautender Bekundungen – blind zu sein. Auch dagegen wollen sie vorgehen.
"Wir stehen für sozial gerechten Klimaschutz auf der Straße. Wenn Leute das Gefühl haben, jede Klimaschutzmaßnahme raubt ihnen ein bisschen von ihrer Existenzsicherung, dann läuft da politisch etwas falsch", sagt Neubauer.
SPD-Generalsekretär Kühnert lobt Kooperation
Dass Verdi das Gefühl für die eigene Klientel durch die Zusammenarbeit verliert, glaubt Chefgewerkschafter Werneke nicht. "Verdi ist eine Organisation mit 1,9 Millionen Mitgliedern. Da gibt es natürlich ganz unterschiedliche Meinungen und auch immer Kritik an dem, was wir machen", sagt er. Aber: Es gebe eine rege Zusammenarbeit mit Fridays for Future. "Ich nehme das als Bereicherung wahr – sowohl für die Bewegung Fridays for Future als auch für uns als Gewerkschaft", so Werneke.
Und auch in der Politik blickt man – je nach Standpunkt – mit Wohlwollen auf das gemeinsame Agieren von Klimaschützern und Arbeitnehmervertretern. "Dass Verdi und Co. für ihre Arbeit Verbündete suchen, ist strategisch klug. Es zeigt, dass die Gewerkschaften auch den Zusammenhalt der Gesellschaft insgesamt im Blick haben. Gleichzeitig für gute Arbeit, gutes Klima und beste Mobilität einzutreten, das ist ein Beispiel für eine Win-Win-Win-Situation. Ich wüsste nicht, wer irgendwas dagegen haben könnte", sagt SPD-Generalsekretär
Ähnlich klingt es bei Linken-Chefin
Verdi-Chef: "Wir streiken, wenn es notwendig ist"
Doch eine Frage bleibt: Kann Streik auch zu viel sein? Die deutsche Volkswirtschaft schlittert an der Grenze zur Rezession, nahezu alle Wirtschaftsforscher haben ihre Konjunkturprognosen abgesenkt, bislang ist nicht erkennbar, wie die Ampel-Koalition die wirtschaftspolitische Trendwende hinbekommen will. Und wahr ist auch: Jeder Streiktag kostet Geld.
Eine Argumentation, die Verdi-Chef Werneke nicht gelten lässt. "Wir streiken, wenn es notwendig ist. Im Nahverkehr verhandeln wir mit den Bundesländern seit einigen Wochen, da kommt leider nichts voran." Ein finanziell und personell gut ausgestatteter Nahverkehr sei auch im Interesse der Gesellschaft. Der Personalmangel werde sich verschärfen. "Die Attraktivität der Arbeitsbedingungen ist der Schlüssel für die Zukunft des Nahverkehrs", sagt Werneke.
Unterstützung kommt von Linken-Politikerin Wissler. "Der Streik passt in diese Zeit, weil er die grundsätzliche Frage nach Verteilungsgerechtigkeit stellt", sagt sie. Das Recht auf Streik sei "ein Grundrecht und darf nicht infrage gestellt werden".
Verwendete Quellen
- Gespräche mit Luisa Neubauer und Frank Werneke
- Stellungnahmen von Janine Wissler und Kevin Kühnert
- rp-online.de: "Ein zweitägiger Warnstreik ist klar überzogen"
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