- Die Präsidenten der Nachrichtendienste haben im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages über die Sicherheitslage berichtet.
- Thomas Haldenwang, Präsident des Verfassungsschutzes, bezeichnete den Rechtsextremismus als wichtigste Herausforderung: "Wir sehen tagtäglich rechtsextreme Gewalt in Deutschland."
- Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes zeigte sich selbstkritisch: Seine Behörde habe die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan zu spät kommen sehen.
Die Warnung ist für Thomas Haldenwang schon zum Mantra geworden: "Die größte Bedrohung für Sicherheit und Demokratie geht weiterhin vom Rechtsextremismus aus", sagt der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz am Mittwoch vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags. Rund 33.300 Personen in Deutschland rechnet seine Behörde derzeit dem Rechtsextremismus zu. Mehr als ein Drittel davon ist Haldenwang zufolge "gewaltorientiert".
Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages ist eigentlich ein ziemlich verschwiegenes Gremium. Seine neun Mitglieder schauen hinter verschlossenen Türen den Geheimdiensten des Bundes auf die Finger. Nur einmal im Jahr tagt das Gremium öffentlich: Wenn die Abgeordneten die Präsidenten der drei Behörden befragen – so wie an diesem Mittwoch.
Verfassungschutz: Neue Rechte als "Brandbeschleuniger"
Das Thema Rechtsextremismus ist dabei in den letzten Jahren immer mehr in den Vordergrund gerückt - nicht zuletzt durch die späte Aufdeckung der Terrorzelle NSU vor zehn Jahren und die zahlreichen rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten der vergangenen Jahre.
Der Verfassungsschutz sah sich unter seinem früheren Präsidenten
Der Verfassungsschutz hat unter anderem die sogenannte Neue Rechte verstärkt ins Visier genommen. Sie agiere als ideologische Grundlage und als "Brandbeschleuniger", so Haldenwang. Seine Behörde beobachtet unter anderem die Identitäre Bewegung und als Verdachtsfälle die Denkfabrik "Institut für Staatspolitik" sowie die Junge Alternative, die Jugendorganisation der AfD. Auch die rechte Zeitschrift "compact" gehört dazu.
Es existieren Netzwerke – aber keine "Spinne"
Die Lage ist komplex: Zur Szene gehören Kameradschaften, Bürgerwehren, aber auch sogenannte einsame Wölfe. Haldenwang kommt zudem auf Personen mit Verbindungen zur rechtsextremen Szene zu sprechen, die in den Sicherheitsbehörden arbeiten – und damit an besonders sensiblen Stellen des Staates.
Lange wurden solche Fälle als Einzelfälle bezeichnet. Auf Nachfrage des Grünen-Abgeordneten Konstantin von Notz rückt Haldenwang davon aber ein Stück weit ab: Es gebe durchaus Netzwerke von "Kenn- und Austauschverhältnissen", formuliert er vorsichtig. "Aber es gibt nicht die Spinne im Netz, die ein Netzwerk steuert."
MAD: "Gehen jedem Fall intensiv nach"
Neben Haldenwang sitzt bei der Anhörung Martina Rosenberg, Präsidentin des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Das Amt beobachtet Extremismus, verfassungsfeindliche Bestrebungen oder Spionageaktivitäten innerhalb der Bundeswehr. Rosenberg hat die Leitung erst vor rund einem Jahr übernommen, nachdem ihr Vorgänger Christof Gramm in den Ruhestand versetzt worden war. Unter seiner Führung hatte der MAD unter anderem wegen des Umgangs mit Rechtsextremisten im Kommando Spezialkräfte (KSK) in der Kritik gestanden.
Auch beim MAD spielt der Rechtsextremismus eine dominante Rolle. Von 1397 derzeit bekannten Extremismus-Verdachtsfällen beträfen rund 1200 den Rechtsextremismus, sagt Rosenberg. "Der MAD geht jedem Fall intensiv nach." Allerdings macht es die Rechtsprechung ihrer Behörde offenbar nicht immer leicht, konsequent durchzugreifen. Wenn ein Soldat den Hitlergruß zeige, könne man ihn deswegen im Dienstgrad herabstufen, sagt Rosenberg. Es sei aber nicht immer rechtlich möglich, ihn aus der Bundeswehr zu entfernen.
Verfassungsschutz registriert rund 9.600 gewaltbereite Linksextreme
Die Politik hat die Mittel und das Personal der drei Nachrichtendienste in den vergangenen Jahren deutlich aufgestockt. Insgesamt seien die Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden groß, sagt Haldenwang. Radikalisierungsprozesse sieht er auch beim Linksextremismus. Diesem Bereich ordnet er in Deutschland rund 34.300 Personen zu, rund 9.600 davon seien gewaltorientiert.
In diesem Zusammenhang nennt Haldenwang nicht nur die gewaltsamen Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg 2017 oder Hausbesetzungen in Berlin. Er führt auch Aktivistinnen und Aktivisten an, die im Protest gegen Abholzungen die Waldgebiete Hambacher Forst und Dannenröder Forst besetzt haben.
Gerade bei kleineren linksextremen Gruppen sieht Haldenwang zum Teil eine hohe Gewaltbereitschaft – auch gegen die Polizei oder politische Gegner. "Dass es hier noch nicht zu Todesfällen gekommen ist, ist ein glücklicher Zufall."
BND-Präsident: Mit schneller Machtübernahme der Taliban "nicht gerechnet"
Der dritte große Komplex ist der radikale Islamismus. Der Verfassungsschutz geht in diesem Bereich von mehr als 28.000 Personen in Deutschland aus. Eine Gefahr sieht Thomas Haldenwang zum Beispiel in inhaftierten Terroristen, die in den Haftanstalten Radikalisierungsprozesse verstärken könnten. Auch der Blick über die Grenze macht dem Verfassungsschutz Sorge – unter anderem nach Afghanistan.
Selbstkritisch zeigt sich bei diesem Thema der Dritte in der Runde: Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Der Westen war im August von der schnellen Machtübernahme der Taliban in Afghanistan kalt erwischt – um nicht zu sagen überrumpelt – worden. Da machte auch der BND keine Ausnahme. "Wir müssen eingestehen, nicht damit gerechnet zu haben, dass die Taliban ganz Afghanistan einschließlich Kabul so schnell unter ihre Kontrolle bringen", sagt Kahl.
Man wolle jetzt "Schwachstellen in der Prognose" ausmachen. Der BND soll leistungsfähiger und schneller werden, Kahl will dazu die Behörde auch strukturell umbauen. Zudem müsse der BND eigene Annahmen in Zukunft kritischer hinterfragen.
Der Handlungsbedarf ist offenbar groß. Wie Haldenwang betont auch Kahl die Folgen des Machtwechsels in Afghanistan. Er hält es für möglich, dass das Land künftig ein Ziel von "Dschihad-Freiwilligen" werde. Zudem sei die Terrororganisation Al-Kaida eng mit den Taliban verbunden. "Al-Kaida wird sich künftig freier in Afghanistan bewegen können."
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