Das Vertrauen in die Politik und in Parteien schwindet, das belegen Zahlen einer neuen Studie. Experten sind alarmiert: Wird nicht entsprechend gegengesteuert, könnte das ernsthafte Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt haben.
In den vergangenen Jahren haben die großen Volksparteien in der Wählergunst verloren. Die daraus resultierenden Stimmenverluste bei der Bundestagswahl und bei verschiedenen Landtagswahlen waren für die SPD und die Union dramatisch. Einen Grund dafür sehen Experten im schwindenden Vertrauen in die Politik und Parteien.
Eine Studie der Bertelsmann Stiftung* bestätigt diesen Trend. Konkret kamen die Experten zu folgenden Ergebnissen:
- Die meisten Deutschen (69 Prozent) stehen zur Demokratie, allerdings ist die Tendenz rückläufig. So nahm die Zustimmung zur Demokratie als beste Staatsform im Vergleich zu 2017 um sieben Prozent ab.
- Die Mehrheit der Deutschen (52 Prozent) ist zwar zufrieden mit der Demokratie hierzulande, allerdings stieg der Anteil der Unzufriedenen um fünf Prozentpunkte auf 19 Prozent.
- Die Zahl der zufriedenen Demokraten – also Menschen, die sowohl der Demokratie als Prinzip als auch ihrer gelebten Praxis zustimmen –, sinkt. Ihr Anteil ging zugunsten einer wachsenden Gruppe von ambivalent eingestellten Personen von 53 auf 46 Prozent zurück. Der Anteil der unzufriedenen Demokratieskeptiker ist mit drei Prozent relativ gering.
- Regulative rechtsstaatliche Institutionen genießen deutlich mehr Vertrauen als die repräsentativen Institutionen. So vertrauen mehr als zwei Drittel der Deutschen der Polizei und knapp die Hälfte den Gerichten. Nur etwa ein Drittel hat Vertrauen in die Landesregierung, mehr als ein Viertel in den Landtag. Gleiches gilt für Bundestag und Bundesregierung.
- Das Vertrauen in die Bundesregierung ist merklich gesunken - von 30 Prozent im Jahr 2017 auf 24 Prozent im Jahr 2018.
- In den östlichen Bundesländern ist die Demokratie-Akzeptanz geringer. Am niedrigsten ist die Zustimmung mit einem Wert von 61 Prozent in Brandenburg, am höchsten in Niedersachsen mit 84 Prozent. Die Unterstützung für die Demokratie als beste Staatsform ist allerdings insgesamt stark ausgeprägt.
- Die Zufriedenheit mit der gelebten Demokratie unterscheidet sich regional. In den westlichen Bundesländern war 2017 mehr als die Hälfte der Befragten mit der Demokratiepraxis in Deutschland zufrieden. Im Osten Deutschlands war nur in Mecklenburg-Vorpommern mehr als die Hälfte zufrieden. In Sachsen und Brandenburg waren es weniger als 40 Prozent.
- Das Vertrauen in politische Parteien ist insgesamt gering. 2017 hatten neun Prozent der Befragten Vertrauen, 2018 zehn Prozent. Zudem zeigte sich: Ostdeutsche misstrauen Parteien häufiger als Westdeutsche.
- Je höher das Einkommen, desto mehr Vertrauen haben die Bürger in Parteien. Vor allem Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status vertrauen Parteien weniger. Mehr als 40 Prozent der Befragten mit einem Nettoeinkommen von unter 3.000 Euro haben kein Vertrauen.
- Vor allem das Thema der sozialen Gerechtigkeit spiegelt sich im Vertrauen und Misstrauen gegenüber Parteien. 60 Prozent der Befragten, die die Gesellschaft als sehr ungerecht empfinden, haben kein Vertrauen. Bei den stark Verunsicherten liegt der Anteil bei 56 Prozent. Anders ist es bei denjenigen, welche die Gesellschaft als eher gerecht empfinden und nicht verunsichert sind. Hier liegt der Anteil bei 12 beziehungsweise 27 Prozent.
- Wer einer bestimmten Partei verbunden ist, hat in der Regel ein größeres Vertrauen in Parteien im Allgemeinen – außer AfD-Anhänger. Hier empfinden 66 Prozent der AfD-Anhänger eher Misstrauen gegenüber Parteien.
Warnsignal für den gesellschaftlichen Zusammenhalt
Die Autoren der Studie begreifen das politische Vertrauen als einen "Baustein" des gesellschaftlichen Zusammenhalts**. Wenngleich das momentane Ausmaß von Misstrauen (noch) zu keiner Erosion führe, werten sie die Ergebnisse dennoch als Warnsignal für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie selbst. Denn Demokratien lebten von Vertrauen und Unterstützung.
Die Wissenschaftler sprechen von einem "politischen Riss", der durch die Gesellschaft geht. Diese wirke sich zweifelsohne auf den Zusammenhalt aus.
Vor allem der Umstand, dass sich das Misstrauen in benachteiligten Bevölkerungskreisen konzentriere, sollte aufhorchen, warnen die Experten. Der Vertrauensverlust sei insbesondere Ausdruck der Unzufriedenheit der Leistungen der Demokratie. Er bedeute aber nicht, dass die Demokratie grundsätzlich abgelehnt würde.
"Das Misstrauen resultiert aus negativen Erfahrungen mit der politischen Arbeit von Parteien, aus unerfüllten Erwartungen und Enttäuschungen. Das Vertrauen leidet, wenn Bürger das Gefühl haben, dass gesellschaftliche Verhältnisse nicht gerecht sind oder sie gesellschaftlichen Zusammenhalt vermissen. Bürger, die das Gefühl haben, die Politik kümmere sich nicht um ihre Probleme, verlieren das Vertrauen."
Armut und Ungleichheit schwächen Zusammenhalt
Wie sehr politische und gesellschaftliche Entwicklungen die Stimmung drücken, zeigt auch eine Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach unter dem 30- bis 59-Jährigen. Im Jahr 2018 gaben zwei Drittel der Befragten an, sie hätten den Eindruck, der Zusammenhalt würde schwächer. Zwei Jahre zuvor waren es 56 Prozent. Diesen Eindruck bestätigen auch die Zahlen der Bertelsmann Stiftung.
"Dort wo Armut und Ungleichheit größer und die Teilhabechancen geringer sind, fällt der gesellschaftliche Zusammenhalt schwächer aus. Ebenso zeigte sich, dass insbesondere das Gerechtigkeitsempfinden in weiten Teilen der Bevölkerung sehr gering ausgeprägt ist. Eine große Mehrheit empfindet die gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen als ungerecht."
Besonders auffällig sei die schwächere Unterstützung der Demokratie in Ostdeutschland. Zu diesem Ergebnis kam auch eine aktuelle Studie des Institutes für Demoskopie Allensbach im Auftrag der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Die Zahlen fallen allerdings deutlich negativer aus, als die der Bertelsmann Studie.
Demnach sehen die Studienteilnehmer in Ostdeutschland die Staatsform deutlich skeptischer als die im Westen. So meinten 42 Prozent im Osten, dass die Demokratie in Deutschland die beste Staatsform ist. Im Westen waren es dagegen 77 Prozent.
Die möglichen Folgen
"Die Demokratie droht Schaden zu nehmen, nicht einfach weil das Misstrauen ausgeprägt ist. Es kommt auch darauf an, wer Parteien nicht (mehr) vertraut." Sinkendes Vertrauen könne einerseits zu Politikverdrossenheit führen und andererseits rechtspopulistischen Parteien Vorschub leisten. "Populistische Parteien nutzen Misstrauen und fehlendes Vertrauen gezielt für ihre politische Agenda aus. Sie forcieren bewusst die Spaltung: 'Wir hier unten', das Volk, gegen 'die da oben', die politischen Eliten."
Anlass zur Sorge sei vor allem auch unter wirtschaftlichen Aspekten gegeben. "Wenn bereits in heutigen Zeiten wirtschaftlicher Prosperität das Vertrauen auf einem derart niedrigen Niveau ist, muss die Frage gestellt werden, wie sich das Vertrauen in einer möglichen wirtschaftlichen Rezession entwickelt."
Politik soll sich mit Sachthemen beschäftigen
Um Vertrauen zurückzugewinnen, plädieren die Autoren in ihrer Studie für eine verantwortungsvolle Politik, die sich mit Sachfragen beschäftigt, die die Bürger tatsächlich umtreibt: "Dazu gehört eine Sozialpolitik, der daran gelegen ist, Armut und Ungleichheit nachhaltig zu verringern. Dazu gehört aber auch die Bereitschaft, Politik in Zeiten wachsender Unübersichtlichkeit zu erklären, ihre Verfahren verständlich zu machen und ihre Wertgrundlagen darzulegen." Andernfalls drohten "aus den feinen Haarrissen in der Gesellschaft tiefe Klüfte zu werden".
Der Historiker Thomas Schlemmer sieht das ähnlich. Ein Grund, weshalb Parteien wie die Grünen derzeit in der Wählergunst punkten, sei die Auseinandersetzung mit Sachthemen, bei denen sie "zeitgemäßere Antworten finden" als Parteien wie die SPD.
Themen, die den Experten der Bertelsmann Stiftung zufolge bei den Wählern hohe Mobilisierungschancen böten, wären neben sozialpolitischen Themen auch proeuropäische Positionen und höhere Investitionen in den sozialen Wohnungsbau. Die Experten beziehen sich dabei auf die Ergebnisse des Populismusbarometers der Bertelsmann Stiftung.
Direkte Demokratie wagen
Dabei sei wichtig, nicht den Populisten nachzueifern, sondern durch die Arbeit an Lösungen populär zu werden. Diese müssten alle Menschen angehen, Brücken schlagen und Konfliktlinien überwinden. Diese Politik "wird sich dabei auch den Themen zuwenden müssen, die gegenwärtig in besonderem Maße die Gesellschaft spalten: Fragen der Migration, der Integration und dem damit verbundenen Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt."
Politiker sollten darüber hinaus stärker erklären, was sie antreibt und welche Werte sie vertreten. "Streit auf offener Bühne bleibt dabei nicht aus. Er ist sogar notwendig und darf viel mehr als bislang programmatischen Charakter haben, um herauszuarbeiten, wie sich Deutschland künftig in dieser globalisierten Welt verstehen will."
Um das demokratische System zu stärken, empfehlen die Experten auch über Formen der direkten Demokratie wie Bürgerbeteiligung nachzudenken. "Auf anderen politischen Ebenen – bis hin zur europäischen – sind solche praktischen Ansätze zwar nicht ganz so einfach umzusetzen, aber auch nicht unmöglich, vor allem aber nötig, um Demokratieverdruss etwas entgegenzusetzen."
Die Idee der direkten Demokratie wird seit geraumer Zeit als ein möglicher Lösungsansatz diskutiert. So plädierten CSU, Linke und Grüne zur letzten Bundestagswahl in ihren Wahlprogrammen für bundesweite Volksabstimmungen.
Dem Politikwissenschaftler Claude Longchamp zufolge könnte die Politik davon profitieren. "Weltweit ist eine Zunahme einer Partizipationskultur zu beobachten", so Longchamp. "Die Menschen sind nicht mehr einfach nur zufrieden, wenn die wirtschaftliche Leistung des Systems stimmt (…), sondern sie wollen sich einbringen", sagte er auf einer Expertentagung in München. Das könne demokratischen Erosionsprozessen entgegenwirken.
Verwendete Quellen
- Studie "Schwindendes Vertrauen in Politik und Parteien", Bertelsmann Stiftung
- Studie "Generation Mitte"
- dpa
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