Einmal lebenslänglich, dreimal 30 Jahre: Am Montag wurden ehemalige US-Söldner in einem spektakulären Prozess wegen Kriegsverbrechen in Irak zu langen Haftstrafen verurteilt. Gräueltaten waren während des Irak-Kriegs und in der Besatzungszeit danach alltäglich. Doch noch immer kommen viele amerikanische Täter davon. Die Dunkelziffer soll riesig sein.
Nicholas Slatten: des Mordes für schuldig befunden. Paul Slough, Evan Liberty und Dustin Heard: wegen Totschlags verurteilt. Sie waren Söldner in Irak. Für die amerikanische Sicherheitsfirma Blackwater, die in Bagdad Diplomaten und Geschäftsleute beschützen sollte. Sie kehrten aber nicht als Helden in die USA heim. Sondern als Kriegsverbrecher. Der US-Bundesgerichtshof in Washington sprach nun sein Urteil: Slatten muss lebenslang ins Gefängnis. Seine drei ehemaligen Kollegen für 30 Jahre.
Die Blackwater-Söldner hatten am 16. September 2007 auf dem belebten Nisur-Platz in Bagdad mit Sturmgewehren, Maschinengewehren und Granatwerfern willkürlich in eine Menschenmenge gefeuert. Binnen einer knappen Viertelstunde sollen Ermittlungen zufolge 14 Zivilisten getötet worden sein. Frauen, Kinder und Alte.
Die Vertuschung reicht bis heute
Es ist kein Einzelfall. Experten sind sich sicher: Kriegsverbrechen während des Irak-Krieges und der amerikanischen Besatzung waren an der Tagesordnung. Was anschließend geschah, als die Truppen wieder abgezogen wurden, schockiert nicht minder: Einzeltäter wurden medial vorgeführt, Hintermänner blieben verschont. Morde wurden nicht aufgeklärt. Die Vertuschung reicht bis heute. Denn die amerikanische Gesellschaft schließt mit dem "schlechten" Krieg ab. Das sagt Politikwissenschaftler Dr. Jochen Hippler von der Universität Duisburg-Essen im Gespräch mit unserem Portal. "Es herrscht ein Überdruss. Viele Leute haben verstanden, dass das ein unsinniger Krieg war", sagt der Hochschuldozent. "Deswegen wird verdrängt und verleugnet."
Hipplers Einschätzung nach gebe es eine riesige Dunkelziffer an nicht nachweisbaren Kriegsverbrechen. "Von Korruption bis hin zu Vergewaltigungen, Morden und Massenmorden", sagt Hippler. Warum nichts davon bekannt wird? "Viele Opfer waren eingeschüchtert oder haben einfach nicht überlebt", sagt er. Das Verleugnen habe System gehabt. "Kleine Fische", längst nicht alle, seien verurteilt worden, "in der Regel zu relativ mäßigen Strafen". Dr. Martin Thunert vom Heidelberg Center of American Studies sagt im Gespräch mit unserem Portal jedoch: "Es wurde noch nie jemand belangt, der in der Befehlskette ganz oben war. Niemand aus der Generalität oder aus der britischen Führung", so Thunert.
"Toleriert, verdeckt und verheimlicht"
Eine "prominente" Täterin ist die frühere US-Soldatin Lynndie England. Bilder aus dem berüchtigten Militärgefängnis Abu Ghraib zeigten sie mit einem nackten Mann, den sie wie einen Hund an der Leine hielt. England wurde unehrenhaft aus der US-Armee entlassen. Ein Militärgericht verurteilte sie 2005 zu drei Jahren Haft, von denen sie eineinhalb Jahre verbüßte. Ihre Taten bleiben. Gefangene wurden nachweislich mit brühend heißem Wasser überschüttet, sie mussten stundenlang in schmerzhaften Positionen ausharren oder durften nicht schlafen.
Misshandlungen waren nicht nur in den Gefängnissen an der Tagesordnung. Hippler führt dies auf eine "schlampige Führung" zurück. Folter sei von höchsten Ebenen innerhalb der US-Armee "toleriert, verdeckt und verheimlicht" worden. Mehr noch: "Selbst aus dem Weißen Haus und dem Justizministerium gab es Argumente, die eine solche Folter nahegelegt haben", sagt der Wissenschaftler.
"Herr Cheney (Dick Cheney, ehemaliger US-Vize-Präsident, Anmerk. d. Red.) und Herr Bush (George W. Bush, ehemaliger US-Präsident, Anmerk. d. Red.) haben in Washington die Richtung gewiesen." Statt öffentlich auf Tätersuche zu gehen, habe man sich in den USA vielmehr den sogenannten "Whistleblowern" gewidmet. Bradley Manning, Edward Snowden und Wikileaks wurden zu Feindbildern national-konservativer Politiker, die öffentlich sogar die Todesstrafe wegen angeblichen Hochverrats verlangten. Manning hatte Wikileaks ein Video zugespielt, das den offensichtlichen Mord an wehrlosen Zivilisten im Juli 2007 zeigte. Darunter waren auch zwei Reporter der Nachrichtenagentur "Reuters". Piloten eines US-Kampfhubschraubers feierten sich in dem Video dafür, die mutmaßlichen Aufständischen am Boden "niedergemäht" zu haben. Waffen wurden bei den Toten aber nicht gefunden. An den Pranger gestellt wurde jedoch Manning.
"Amerikaner haben mit Irak abgeschlossen"
"Das ist eine besorgniserregende Tendenz. Denken Sie nur an den Vietnamkrieg zurück, an Daniel Ellsberg", nennt Hippler ein Beispiel. "Der hat die geheimen Studien aus dem Pentagon zur Kriegsursache an die 'New York Times' weitergegeben. Er wurde deshalb zu einem amerikanischen Held, der für Meinungsfreiheit stand." Heute würden Informanten dagegen nicht nur von der rechten Tea-Party verurteilt, "sondern auch aus dem Weißen Haus durch Präsident Barack Obama verfolgt". Mutmaßliche Mörder sprachen Gerichte dagegen frei. Zum Beispiel die US-Marines, die beim sogenannten Massaker von Haditha 24 Zivilisten töteten, darunter einen beinamputierten Mann. Obwohl die Ermittlungen ihre Schuld nachwiesen.
Der Heidelberger Wissenschaftler Thunert führt dies auf eine mangelnde Bereitschaft zur Aufklärung zurück. Zu viele schlechte Erinnerungen rufe der Irak-Krieg hervor. "Die Amerikaner haben mit dem, was in Irak geschah, weitgehend abgeschlossen. Der Fokus liegt im Moment auf der Bekämpfung von ISIS", sagt er. "Ich habe noch keinen Politiker gesehen, dem es geschadet hätte, Skandale aus dem Irak-Krieg zu verschweigen. Eher umgekehrt."
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