Deutschland hat 28 afghanische Straftäter abgeschoben. Es war die erste Abschiebung nach Afghanistan, seit die Taliban dort im Sommer 2021 die Macht übernommen haben – und sie könnte zur Blaupause für weitere werden. Doch es gibt auch Kritik.

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Erstmals seit der Machtübernahme der Taliban vor drei Jahren hat Deutschland wieder Afghanen in ihr Herkunftsland abgeschoben. Nach Angaben von Innenministerin Nancy Faeser handelte es sich um 28 Straftäter. Alle Betroffenen sind Männer, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Unter den Abgeschobenen sind nach Angaben der beteiligten Länder Sexualstraftäter und gewaltbereite Kriminelle.

Das sächsische Innenministerium teilte mit, die Maschine sei am Freitagmorgen vom Flughafen Leipzig/Halle abgehoben. Zuvor hatte der "Spiegel" berichtet. Die Straftäter hätten mindestens zwei Drittel ihrer Strafe in Deutschland bereits abgesessen, berichteten mehrere Abgeordnete aus einer Sondersitzung des Bundestagsinnenausschusses, die den Anschlag in Solingen zum Thema hatte. Die Bundesregierung hatte in der Vergangenheit immer betont, Straftäter sollten nur abgeschoben werden, wenn sie einen beträchtlichen Teil ihrer in Deutschland verhängten Strafe abgesessen hätten.

Insgesamt waren im Flieger Abzuschiebende aus Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen und Hessen. Aus Sicht der Ampel-Koalition dürfte der Abschiebeflug genau zur rechten Zeit gekommen sein. Nach der tödlichen Messerattacke von Solingen waren die Rufe nach mehr Abschiebungen sehr laut geworden – und in Thüringen und Sachsen wird am Sonntag schließlich gewählt.

Debatte um 1.000 Euro "Handgeld" für Abgeschobene

Im Netz entzündete sich jedoch prompt eine Debatte darüber, dass den Abgeschobenen jeweils 1.000 Euro mitgegeben wurde. Eine Sprecherin des niedersächsischen Innenministeriums bestätigte, dass fünf Männer, die aus Niedersachsen abgeschoben wurden, jeweils 1.000 Euro bekamen. Ihren Informationen zufolge hatten sich alle beteiligten Bundesländer auf diesen Betrag geeinigt. Das Geld solle reichen, um sechs bis neun Monate den Lebensunterhalt in Afghanistan bestreiten zu können, erklärte sie.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verteidigte die Zahlung dieses sogenannten Handgelds. Es handele sich um ein übliches Verfahren, um nicht zu riskieren, dass Gerichte die Abschiebe-Entscheidung aufhöben, weil eine Verelendung der Abgeschobenen drohe, sagte Faeser am Freitagabend im "Heute Journal" des ZDF. "Das soll quasi die Sicherheit der Maßnahme absichern."

Fünf weitere Menschen hätten im Flieger sitzen sollen

Eigentlich hätten noch fünf weitere Menschen – also insgesamt 33 – am Freitag abgeschoben werden sollen, wie Abgeordnete berichteten. Zwei der zur Abschiebung Vorgesehenen seien am Morgen aber nicht angetroffen worden, sagte der FDP-Parlamentarier Manuel Höferlin. Drei weitere seien von den Landesjustizbehörden nicht für die Abschiebung freigegeben worden, weil sie aus Sicht der Staatsanwaltschaft noch keinen ausreichenden Teil ihrer Haft hierzulande verbüßt hätten.

Deutschland unterhält zu den Taliban-Machthabern in Kabul keine diplomatischen Beziehungen. Bei der Abschiebung setzte die Bundesregierung nun auf die Unterstützung des Emirats Katar. Zum Einsatz kam ein Charterjet von Qatar Airways, der auf dem Tracking-Portal Flightradar zu verfolgen war und demnach am Nachmittag (Ortszeit) in Kabul landete. Die Grünen-Abgeordnete Kaddor sagte, in der Sitzung des Innenausschusses sei berichtet worden, dass kein Bundespolizist wie auch generell keine Vertreter deutscher Behörden an Bord gewesen seien. Stattdessen hätten Angehörige katarischer Behörden den Flug organisiert und für dessen Sicherheit gesorgt.

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Abschiebeflug über Wochen vorbereitet

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Der Abschiebeflug startete zwar wenige Tage nach dem mutmaßlich islamistisch motivierten tödlichen Messerattentat von Solingen, hat aber einen deutlich längeren Vorlauf, wie es aus Behördenkreisen hieß. Der "Spiegel" schrieb von zwei Monaten.

Blaupause für künftige Abschiebungen?

Das Vorgehen könnte eine Blaupause für künftige Abschiebungen nach Afghanistan und möglicherweise auch Syrien sein. Die Bundesregierung prüft Möglichkeiten zur Abschiebung in diese Länder seit Monaten. Dabei sollen auch Nachbarstaaten wie Usbekistan eine Rolle spielen.

Insbesondere die Grünen und auch ihre Außenministerin Annalena Baerbock hatten sich bislang skeptisch gezeigt bei Abschiebungen nach Afghanistan und davor gewarnt, die islamistische Taliban-Regierung indirekt anzuerkennen.

Die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow, zeigte sich alarmiert: "Menschenrechte haben wir alle – und niemand darf in ein Land abgeschoben werden, wo Folter droht", teilte Duchrow mit.

Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig befürchtet, dass die Abschiebungen künftig auch auf Afghanen ausgeweitet werden könnten, die nicht zu schweren Straftätern und Gefährdern zählen. Unklar sei auch, wie die Taliban mit den Abgeschobenen verfahren und ob sie etwa in Haft kommen. (dpa/bearbeitet von mcf)

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