- Tatsächlicher Skandal im Landtag oder interne Schmutzkampagne? Noch ist unklar, was sich hinter den Vorwürfen eines AfD-Lokalpolitikers gegen den Fraktionschef seiner Partei im mecklenburg-vorpommerschen Parlament verbirgt.
- Die Rede ist von Sex im Plenarsaal und Saufgelagen im Landtag.
- Beweise dafür gibt es bisher nicht, die Landtagsverwaltung untersucht aber, ob möglicherweise ein Fehlverhalten des Wachdienstes vorliegt.
Es sind ungewöhnliche und zugleich pikante Vorwürfe, die das AfD-Mitglied Thomas Kerl vorgebracht hat. Gegen seine eigene Partei, genauer gesagt gegen einen Abgeordneten im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Unklar ist, ob sich hinter den Gerüchten mehr verbirgt als eine interne Schmutzkampagne.
In zwei Videos, veröffentlicht am 12. Oktober und 14. Oktober auf seiner Facebook-Seite, spricht Kerl von "wildesten Partys im Plenarsaal", von "Saufgelagen" mit "leicht bekleideten Mädchen" und von "Sexpartys im Schloss in Schwerin", die nach 22 Uhr "mit Genehmigung eines Wachmanns" gefeiert worden sein sollen, angeblich zuletzt im September. Mit dem Schloss ist der Landtag Mecklenburg-Vorpommerns gemeint, der im Schweriner Schloss seit 1990 seinen Sitz hat.
Kerl, gegen den Medienberichten zufolge ein Parteiausschlussverfahren läuft und der bereits seit Längerem die Führung der AfD in Mecklenburg-Vorpommern heftig kritisiert, nennt den Namen des Abgeordneten nicht, macht aber in seinen Videos und Beiträgen auf Facebook immer wieder Andeutungen.
Dazu kommt ein anonymer Brief aus dem der "Nordkurier" zitiert sowie ein Profil in einem Sex-Forum. All das weist auf AfD-Fraktionschef Nikolaus Kramer. Die mutmaßliche Verbindung zwischen dem Online-Profil und Kramer war Recherchen zufolge mindestens seit Anfang Oktober ein offenes Geheimnis in AfD-Kreisen.
Landtag untersucht mögliches Fehlverhalten – bisher aber keine Beweise
Fakt ist: Die Landtagsverwaltung prüft derzeit, ob ein Fehlverhalten des Haussicherheitsdienstes vorliegt. "Konkret geht es darum, dass sich Personen unrechtmäßig im Haus aufgehalten haben sollen. Auch der Plenarsaal soll unrechtmäßig betreten worden sein. Dem gehen wir nach", erklärte ein Sprecher des Landtages auf Anfrage unserer Redaktion. "Wir können nicht dulden, dass so etwas im Raum steht." Die "Schweriner Zeitung" hatte zuerst über die Vorwürfe berichtet.
Beweise für eine Beteiligung Kramers oder anderer Parlamentarier gibt es bisher nicht. Dem "Spiegel" zufolge ermittelt der Landtag derzeit nicht gegen einen Abgeordneten.
Deshalb ist auch eine persönliche Rache Kerls gegen Kramer denkbar. Innerhalb der AfD, zumal in Mecklenburg Vorpommern, kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Intrigen und harten Auseinandersetzungen. So beleidigte etwa Ex-AfD-Fraktionsvize Holger Arppe mehrfach Parteikollegen in Chats, wie 2017 NDR und "Taz" enthüllten.
AfD-Fraktionschef streitet Vorwürfe ab
Kramer und Kerl gehören dem gleichen Kreisverband Vorpommern-Greifswald an. Der Lokalpolitiker Kerl sitzt für die AfD in der Greifswalder Bürgerschaft. Auf Facebook macht er zu seiner Abneigung gegen Fraktionschef Kramer und gegen Landeschef Leif-Erik Holm keinen Hehl.
Kramer selbst streitet die Vorwürfe gegen ihn vehement ab. In einer internen Chat-Nachricht an zwei AfD-interne Whatsapp-Gruppen, die AfD-Sprecher Philip Hentschel unserer Redaktion weitergeleitet hat, spricht Kramer von "üblen Gerüchten" eines "'Noch'-Parteimitglieds" sowie von "Lügen und Diffamierungen".
Weiter erklärt Kramer in der Nachricht: "Die Mutmaßungen und subtilen Unterstellungen sind Teil einer verlogenen Beschmutzungskampagne des Thomas Kerl gegen mich als Teil der Landesführung und neu gewählten Fraktionsvorsitzenden und finden nun ihren Tiefpunkt in Anschuldigungen zu unsittlichen Schlossgeschichten." Der AfD-Politiker begrüßte die internen Ermittlungen des Landtages, "da es absolut nichts zu verbergen gibt". Auf eine direkte Nachfrage unserer Redaktion reagierte Kramer nicht.
Laut des AfD-Sprechers habe Kramer inzwischen einen auf Medienrecht spezialisierten Rechtsanwalt beauftragt.
Update vom 29. Oktober: Die Landesverwaltung hat mitgeteilt, dass sie die Vorwürfe gegen den Haussicherheitsdienst "umfassend und gründlich geprüft" habe. Es hätten sich demnach "keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Behauptungen zutreffen". Die Landtagsverwaltung hat dem Urheber der Vorwürfe deshalb eine Unterlassungsaufforderung zukommen lassen. Darin werde er aufgefordert, die Vorwürfe zu unterlassen und die von ihm verantworteten Veröffentlichungen im Internet zu löschen. Zudem behält sich die Landtagsverwaltung vor, Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Schwerin wegen Verleumdung beziehungsweise übler Nachrede zu stellen.
"Die rechtlichen Schritte sind notwendig geworden, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Haussicherheitsdienstes vor offensichtlich unberechtigten Vorwürfen zu schützen", erklärte Landtagsdirektor Armin Tebben.
Verwendete Quellen:
- Schriftliche Statements des Landtags und aus der AfD-Fraktion
- Facebook-Seite von Thomas Kerl
- Nordkurier: "Wird der Schweriner Landtag für Sexpartys missbraucht?"
- Schweriner Zeitung: "Sex-Partys im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern?"
- Der Spiegel: "Berichte über Partys mit Prostituierten im Plenarsaal – Landtag prüft Vorwürfe"
- Taz: "Protokolle eines AfD-Politikers"
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