- Die Berlinerinnen und Berliner haben ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Die Wahl von 2021 musste wiederholt werden, weil es Pannen gegeben hatte.
- Wahlsiegerin ist die CDU (28,2 Prozent), die vor SPD (18,4 Prozent) und Grünen (18,4 Prozent) deutlich stärkste Kraft wird.
- Experte Ulf Kemper ordnet die ersten Ergebnisse ein und erklärt ihre Bedeutung für die Bundespolitik.
Nach rund eineinhalb Jahren ist die Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin am Sonntag wiederholt worden. Die CDU mit Spitzenkandidat
SPD und Grüne lieferten sich am Wahlabend mit am Ende jeweils 18,4 Prozent ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz zwei und drei, das die Sozialdemokraten mit nur 105 Stimmen mehr knapp für sich entschieden haben. Die SPD ist die Partei mit den größten Stimmverlusten. Die FDP schafft den Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus nicht, sie holte 4,6 Prozent der Stimmen. Linke und AfD kommen auf 12,2 beziehungsweise 9,1 Prozent der Wählerstimmen.
Experte: "Giffey konnte keinen Amtsbonus ausspielen"
Politikwissenschaftler Ulf Kemper sieht das starke Ergebnis der CDU vor allem im Kontext enttäuschter Wähler. "In den ersten Analysen zu Wählerwanderungen zeigt sich, dass die CDU stark von der SPD dazugewonnen hat", sagt er. Offensichtlich gebe es in Berlin eine große Unzufriedenheit, beispielsweise über die Ineffektivität der Verwaltung.
"Von der SPD sind auch viele Wähler zu Hause geblieben", sagt Kemper. Einzelne Wähler hätten aus Unzufriedenheit ihr Kreuz bei der CDU gemacht und nicht unbedingt aus Überzeugung. "Frau Giffey konnte sich offensichtlich in der kurzen Zeit keinen Amtsbonus erarbeiten und nun ausspielen", sagt Kemper weiter. Das Thema der Inneren Sicherheit – prominent von der CDU beackert – hätte außerdem nach den Silvesterkrawallen in Berlin an Bedeutung gewonnen.
Steigt die FDP jetzt im Bund aus?
Die Bedeutung für den Bund schätzt Kemper als nicht besonders hoch ein. "Falls es zu einem Farbwechsel in Berlin käme, hätte das nicht unmittelbar bundespolitische Auswirkungen", meint er. Bemerkenswert sei aber der mögliche Nicht-Einzug der FDP ins Abgeordnetenhaus. "Sie scheint in den Ländern zunehmend in Bedrängnis zu sein, die bundespolitische Zugehörigkeit zur Ampel wirkt sich offensichtlich bisher nicht positiv für die FDP aus", so der Experte.
Diese Tendenz zeichne sich für die FDP schon seit Längerem ab. "Die Landtagswahlniederlagen führen sicherlich dazu, dass in der FDP noch einmal strategisch nachgedacht wird", meint er. Einen Ausstieg aus der Ampelregierung sieht er, insbesondere in den aktuellen Krisenzeiten, allerdings nicht kommen. "Es könnte aber sein, dass die FDP mehr Ansprüche stellt und sich klarer positioniert", schätzt der Experte. In der Kommunikation werde sie in Zukunft mehr auf die eigenen Wählerinnen und Wähler bedacht sein.
CDU sieht Regierungsauftrag bei sich
Bei der CDU herrscht derweil Partystimmung. Generalsekretär Mario Czaja sagte in der ARD: "Berlin hat gewonnen, Berlin kann feiern." Die jetzige Regierung sei abgewählt. Es wäre "unanständig", wenn SPD, Grüne und Linke noch einmal versuchten, eine Regierung zu bilden, selbst wenn es rechnerisch ginge.
"Über 28 Prozent sind mittlerweile ein hoher Wert, aber das Wahlergebnis ist jetzt auch nicht so zu interpretieren, dass die CDU in Berlin nun zur einzigen Volkspartei" wird", kommentiert Kemper. Ihr Ergebnis verdanke die CDU Berlin der Unzufriedenheit mit den anderen Parteien.
Kommt es zu einem Regierungswechsel?
Dass es zwangsläufig zu einem Regierungswechsel kommt, glaubt Kemper nicht. Für ausschlaggebend hält er dabei vor allem, ob SPD oder Grüne am Ende das Rennen um Platz zwei machen. Nach der derzeitigen Hochrechnung hat die bisherige rot-grün-rote Koalition in jedem Fall weiter eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus.
"Franziska Giffey hat gesagt, die SPD denkt nur an eine Fortführung der Koalition, wenn die SPD stärkste Kraft ist", erinnert Kemper. Unter grüner Führung würde die SPD eher nicht in eine Neuauflage eintreten.
Konkret sagte die amtierende Bürgermeisterin: "Es ist ein bitterer Abend für die SPD. Wir haben hier eine Situation, in der die Berlinerinnen und Berliner ganz klar gezeigt haben, dass sie sich Dinge anders wünschen." Natürlich sei man angetreten, um eine Regierung anzuführen. "Dafür müsste es, um ein anderes Bündnis einzugehen, mindestens Platz zwei werden und da müssen wir abwarten, ob das gelingt", so Giffey. Kemper dazu: "Die SPD fürchtet, künftig auch an die Grünen zu verlieren, wenn sie nicht mehr die Bürgermeisterin stellt und in der Koalition Juniorpartner ist."
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Was rechnerisch möglich ist
Dass die SPD in eine große Koalition einsteige, sei gegenwärtig eher unwahrscheinlich. SPD, Grüne und Linke würden in Berlin weiter links stehen als in den anderen Bundesländern. "Es könnte insofern zur Fortführung der Rot-Rot-Grünen-Koalition kommen", meint der Experte. Die Stimmverluste seien für die Koalition "unschön", aber keine "Vollkatastrophe, bei der sie konstatieren müsste, dass der Regierungsauftrag gar nicht mehr gegeben ist", so der Experte.
Die CDU könnte eine Große Koalition anführen oder Schwarz-Grün bilden. "Beides halte ich eher für unwahrscheinlich", meint Kemper. Genaues lasse sich aber wohl erst sagen, wenn das enge Rennen um Platz zwei endgültig entschieden sei. Eine schwarz-grüne Koalition sei eventuell denkbar, wenn die CDU den Grünen sehr große Zugeständnisse zugestehen würde.
Die CDU selbst sieht ihren Regierungsauftrag klar: Spitzenkandidat Wegner sagte: "Ich glaube, das Wahlergebnis zeigt deutlich, dass die Berlinerinnen und Berliner den Wechsel wollten." Wegner will nun "eine erfolgreiche Berlin-Koalition anführen". Dafür werde man Gespräche mit SPD und Grünen führen.
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