- Leserinnen und Leser fragen Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker - unser Format bietet den Usern unserer Plattform die Möglichkeit, einen direkten Draht zum Berliner Politikbetrieb herzustellen.
- Vor der Bundestagswahl brennen den Lesern offenbar sehr viele Probleme unter den Nägeln.
- Von Cem Özdemir von den Grünen erwarten sie unter anderem Antworten auf Fragen zu Elektro-Mobilität, Gesundheit, Rente und Integrationspolitik.
Vor der Bundestagswahl am 26. September haben wir unseren Leserinnen und Lesern die Chance gegeben, ihre Fragen und Anliegen an sechs Spitzenkräfte der im aktuellen Bundestag vertretenen Parteien zu schicken.
Teil 1: Ihre Fragen an Linke-Politiker Gregor Gysi
Teil 2: Ihre Fragen an CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus
Gregor Gysi (Die Linke), Ralph Brinkhaus (CDU/CSU),
Beim Grünen Özdemir interessieren die Leserinnen und Leser vor allem die Bewältigung der Klimakrise, die Rente, das Gesundheitssystem oder auch die Integrationspolitik.
"Die Grünen befürworten den Ausbau der Elektro-Mobilität. Die Herstellung und insbesondere der Abbau der für die Akkus und Batterien benötigten Rohstoffe ist jedoch teils sehr umweltschädlich – wie passt das zusammen? Und wie sollten alte Akkus entsorgt werden?"
Nils, Landkreis Nordwestmecklenburg, 46, Angestellter
Cem Özdemir: Wir fordern Verbesserungen beim Lieferkettengesetz, damit Unternehmen dem Schutz von Umwelt und Menschenrechten umfassend nachkommen. Wir wollen auch, dass weniger bedenkliche Rohstoffe verwendet werden. Hoffnung machen Forschungsprojekte zu Akkus mit alternativen Rohstoffen und schon heute sinkt der Kobalt-Anteil in vielen Batterien. Weniger Rohstoffbedarf gelingt beispielsweise durch gutes Batterierecycling. Es funktioniert technisch bereits, doch bislang fehlen gesetzliche Regelungen. Wir setzen uns für hohe Sammelquoten ein, damit mehr Akkus ins Recycling gelangen, und damit zurückgewonnene Materialien in neuen Produkten eingesetzt werden. Und vergessen Sie nicht, wo Kerosin, Benzin und Diesel herkommen. Wie sie abgebaut, transportiert werden und welche Regime wir dadurch finanzieren. Fast alles ist besser für unseren Planeten, als die Fortsetzung davon.
"Wie wollen die Grünen eine CO2-freie Energieversorgung sicherstellen, die nicht nur den heutigen Strombedarf deckt, sondern auch den erwarteten Mehrbedarf für Heizen, Transport oder Verkehr? Wie soll die Energie gespeichert werden, um Bedarfsschwankungen auszugleichen?"
Bernd, Landkreis Hameln-Pyrmont, 68, Rentner
Özdemir: Ich will unseren Kindern und Enkeln keinen kaputten Planeten hinterlassen. Einer der wichtigsten Schritte ist, dass wir komplett auf Erneuerbare umsteigen und mit diesen Versorgungssicherheit schaffen. Die tragenden Säulen dafür sind der massive Ausbau von Wind- und Sonnenenergie. Neben Zuwachs bei der sauberen Stromerzeugung braucht es mehr Energieeffizienz und Intelligenz beim Verbrauch sowie eine rentable Perspektive für die Speicherung von Strom. Für die wenigen Stunden, an denen weder Sonne noch Wind uns Strom liefern, können mit grünem Wasserstoff betriebene Gaskraftwerke die Versorgung absichern.
"Was würden die Grünen in Regierungsverantwortung tun, um die Berufsflucht aus der Pflege aufzuhalten und diese umzukehren?"
Steve, Mülheim an der Ruhr, 32, Krankenpfleger
Özdemir: Die Coronakrise hat uns wie unter einem Brennglas gezeigt, welche Stärken und auch Schwächen unser Land hat. Für den überragenden Einsatz der Menschen im medizinischen und pflegerischen Bereich bin ich sehr dankbar. Dankbarkeit und Applaus allein reichen aber nicht aus. Was den Pflegenden wirklich hilft, sind eine faire Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen und eine angemessene Personalausstattung. Hier müssen wir an die Personalbemessung ran und unnötige Bürokratie sollte abgebaut werden. Und ich will, dass die Digitalisierung auch in jedem Krankenhaus ankommt. Es kann doch nicht wahr sein, dass Krankenhauspersonal 2021 noch handschriftlich Berichte schreiben muss. Für die Bezahlung braucht es vor allem gute Tarifverträge, die auch überall greifen.
"Wird es mit einer grünen Bundeskanzlerin eine Bürgerversicherung geben, in die jeder – also auch Beamtinnen und Beamte – einzahlt?"
Amelie, Kaiserslautern, 32, Biologin
Özdemir: Ja. Jeder Mensch in unserem Land soll sich auf unser leistungsfähiges Gesundheitswesen verlassen können und alle Versicherten sollen die Behandlung erhalten, die sie benötigen. Als Basis dafür braucht es eine gerechte und solidarische Finanzierung. Für uns Grüne steht dafür die Bürgerversicherung.
"Sollten abgelehnte Asylbewerber abgeschoben werden?"
Werner, Landkreis Merzig-Wadern, 64, Rentner
Özdemir: Menschen flüchten nach Deutschland in aller Regel aus Furcht um Leib und Leben. Gleichwohl stehen wir Grünen für Humanität und Ordnung – auch in der Flüchtlingspolitik. Wenn nun ein Asylantrag abgelehnt wird, weil eben keine politische Verfolgung erkennbar ist – dann kann dieser Person im Herkunftsland dennoch zum Beispiel die Todesstrafe oder Folter drohen. In solchen Fällen besteht eine Rechtspflicht, diesen Menschen Schutz zu bieten – auch wenn der eigentliche Asylantrag ohne Erfolg geblieben ist. Wenn sie aber – selbst nach sorgfältiger Prüfung und nach Ausschöpfung aller Rechtsschutzmöglichkeiten – kein Aufenthaltsrecht bekommen, dann müssen diese Menschen in ihr Herkunftsland zurückkehren. Nur so sorgen wir für Akzeptanz in der Bevölkerung und können Bleibeberechtigten die Perspektive geben, sich in Deutschland zu integrieren.
"Befürworten Sie Auslandseinsätze der Bundeswehr und den Export von Waffen?"
Barbara, Cottbus, 75, Gymnasiallehrerin im Ruhestand
Özdemir: Vor über zwanzig Jahren ging der Kosovo-Einsatz der NATO zu Ende. Die Entscheidung für diesen Einsatz mitzutragen, war eine der größten Zerreißproben für meine Partei. Unterm Strich hat sie uns als Friedenspartei jedoch gefestigt. Für mich ist klar: Als äußerstes Mittel braucht es auch den Einsatz des Militärs, damit Deutschland und Europa ihrer humanitären Verantwortung gerecht werden können und beispielsweise Genozide verhindert werden können. Waffenexporte an menschenrechtsverachtende Regime lehnen wir Grünen entschieden ab. Für alle anderen Waffenexporte fordern wir ein Rüstungsexportkontrollgesetz, das seinen Namen verdient – mit verbindlichen, einklagbaren Kriterien.
"Wie sollten in Zukunft Familie und Job besser miteinander vereinbart werden?"
Alina, Burgdorf, 29, Erzieherin
Özdemir: Als berufstätiger Vater von zwei Kindern weiß ich, wie schwierig Familie und Beruf häufig zu vereinbaren sind. Vor allem für Alleinerziehende ist die Lage häufig extrem herausfordernd. Wir wollen uns in der nächsten Bundesregierung unter anderem für ein Recht auf Ganztagsgrundschulen einsetzen und das Elterngeld auf 24 Monate ausweiten. Eltern wissen meist am besten, was richtig für ihre Kinder und ihre Familie ist. Wir wollen ihnen mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit ermöglichen, zum Beispiel durch eine "flexible Vollzeit", bei der sie ihre Arbeitszeit zeitweise reduzieren können. Das kann der Staat aber nicht alles lösen, dafür brauchen wir auch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die flexiblere Arbeitswelten schaffen und auf Familien mehr Rücksicht nehmen.
"Wie lassen sich fortwährende Forderungen zum Umweltschutz und steigende Umweltauflagen für das produzierende Gewerbe und der Erhalt des Industriestandorts Deutschland vereinbaren, sodass Unternehmensbereiche oder ganze Firmen nicht weiter nach Asien abwandern?"
Torsten, Regensburg, 58, Geschäftsführer
Özdemir: Mein Motto ist: Zwischen Umwelt und Wirtschaft gehört kein "Oder". Schon heute ist klar, die Märkte der Zukunft sind klimaneutral. Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir es schaffen, dass unsere Unternehmen die saubersten Produkte herstellen - Klimaschutz "Made in Germany" als Exportschlager für die ganze Welt. Dabei wollen wir die Unternehmen unterstützen und setzen auf Innovationen und Wettbewerb aber auch verlässliche Rahmenbedingungen und Anreize. Beispielsweise mit Investitionszuschüssen und degressiven Abschreibungen.
"Wie sieht Ihr ÖPNV-Konzept für Menschen auf dem Land aus, wenn diese vom Auto auf Busse und Bahnen umsteigen sollen?"
Christian, Schleswig-Holstein, 36, Angestellter im öffentlichen Dienst
Özdemir: Es ist kein Naturgesetz, dass Leute ohne Auto auf dem Land aufgeschmissen sind. Das ist die Folge falscher CSU-Verkehrspolitik! In Deutschland wurden seit 1994 rund 5.400 Kilometer Bahnstrecke stillgelegt, rund 115 Mittelzentren haben keinen Bahnanschluss. Wenn der Schulbus das einzige öffentliche Verkehrsmittel vor Ort ist, hängt man ländliche Räume ab. Wir wollen, dass alle selbst aussuchen können, ob sie mit Auto, Bus, Bahn oder Rad mobil sind. Dafür braucht es ein gutes Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln. Um das in der Fläche zu ermöglichen, muss Mobilität in Zukunft zunehmend intelligent und vernetzt gedacht werden. Zum Beispiel, indem vom Regionalbahn-Halt bei Bedarf ein Fahrzeug gerufen werden kann, das dann je nach Nachfrage die umliegenden Dörfer abfährt. Technisch ist das alles schon möglich, was fehlt ist der Wille in der Politik.
"Was sollte Ihrer Meinung nach an den Hartz-IV-Gesetzen geändert werden?"
Peter, Landkreis Ammerland, 54, Angestellter
Özdemir: Wir Grünen wollen Hartz-IV zu einer echten Grundsicherung weiterentwickeln, die das Existenzminimum wirksam sichert und gesellschaftliche Teilhabe möglich macht. Dazu gehört auch, durch bessere Beratung auf Augenhöhe die Sanktionen überflüssig zu machen. Das allein reicht aber nicht. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die echte Chancengleichheit und Teilhabe für alle ermöglicht. Dafür müssen wir vor allem in die Bildung für alle investieren, damit die Durchlässigkeit unserer Gesellschaft wieder zunimmt.
In der vierten Folge unserer Reihe stellt sich
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