Polittalkshow ohne Politiker – das klingt in Wahlkampfzeiten erst einmal merkwürdig. Sandra Maischberger hat es gestern Abend trotzdem ausprobiert und pro Partei einen prominenten Fürsprecher eingeladen. Einer sorgt mit einem rhetorischen Kniff für kurze Aufregung.
Die Unentschiedenen. Bei kaum einer Bundestagswahl war das Heer der Unentschlossenen so oft Thema wie 2017. Je nach Umfrage liegt die Zahl der Unentschiedenen zwischen hoch und sehr hoch. An zu wenig Politiktalkshows kann es jedenfalls nicht liegen, dass sich angeblich jeder Zweite noch nicht entschieden hat.
"Illner intensiv", "Wahlarena", "TV-Duell" oder ProSiebens "Ein Mann, eine Wahl" mit
Worum ging's?
"Die Wahljury. Wer verliert, wer regiert?", fragte Sandra Maischberger gestern Abend. Hinter der poetisch etwas zweifelhaften Frage verbirgt sich keine konkrete Agenda, stattdessen hat
Wer war eingeladen?
- Für die Unionsparteien war Schauspielerin
Uschi Glas dabei. - Schauspielkollege Clemes Schick warb für die SPD.
- Der ehemalige Chefredakteur des "Focus", Helmut Markwort, tritt für die FDP an.
- Schauspieler Tayfun Bademsoy trommelt für die Grünen.
- Der ehemalige Fernsehmoderator Hans-Hermann Gockel hält es mit der AfD.
- Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge unterstützt die Linke.
Worüber wurde diskutiert?
Über Vieles. Soziale Gerechtigkeit, Armut, Steuerpolitik, Irakkrieg, Martin Schulz,
Bedauerlicherweise machte Maischberger dieses wichtige Fass, das im Wahlkampf so gut wie keine Rolle spielte, gar nicht erst auf. Stattdessen stand am Ende noch die Frage nach möglichen Koalitionen auf ihrem Zettel – eine Diskussion, die man sich hätte sparen können.
Wie vertraten die Promis "ihre" Parteien?
Von erwartbar bis unerwartet gut. Bei Clemens Schick und Uschi Glas bewegte sich zwar manches im gefühlten Bereich, aber vor allem die beiden Schauspieler waren es, die ihre Parteien zwar leidenschaftlich, aber auch am besonnensten vertraten. Armutsforscher Butterwegge stritt nicht weniger leidenschaftlich, argumentierte aber als Wissenschaftler am fundiertesten.
Das bekam besonders Hans-Hermann Gockel zu spüren. Gockel versuchte es immer wieder mit der bekannten Opferrolle und den üblichen Parolen wie zum Beispiel seinem subjektiven Empfinden, dass er, wenn er durch Bielefeld laufe, sich an Afrika erinnert fühle.
Gockel wirbt für die AfD, "weil man heute nicht mehr unbewaffnet aus dem Haus gehen kann". Um seine Sorgen zu unterstreichen, schockt Gockel die Anwesenden mit dem Geständnis: "Ich gebe es gerne zu, ich habe auch heute Abend eine Waffe im Studio dabei."
Gockel zieht seine "Waffe" aus der Sakko-Tasche
Es sei eine Waffe, von der er bislang immer überzeugt gewesen sei, dass sie ihn schütze, "doch da bin ich nicht mehr so sicher", erklärt Gockel - und greift in die Sakko-Tasche.
In diesem Moment wird klar, dass der ehemalige TV-Moderator mit einem rhetorischen Kniff taktiert. Denn er zieht ein kleines Büchlein in schwarz-rot-goldener Aufmachung hervor.
"Diese Waffe ist nämlich das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland", erklärt Gockel. Dieses werde immer weiter "verwässert". Er hoffe, dass man in Deutschland nicht schon bald "nach den Regeln der Scharia" leben müsse.
Hier machte ihn Butterwegge darauf aufmerksam, dass diese Wahrnehmung alleine in seinem Kopf stattfinde. Wenn er, Butterwegge, durch Bielefeld laufe, habe er eine ganz andere Wahrnehmung: "Ich wäre begeistert. Dass Sie etwas anderes sehen, hat mit Ihren Ressentiments zu tun. Es ist das Bild, das Sie im Kopf haben, das Sie bestätigt haben wollen", erklärt Wissenschaftler Butterwege.
Helmut Markwort vertrat die Politik seiner FDP weitgehend moderat – zumindest am Anfang. Als Tayfun Bademsoy sich jedoch im Ton vergriff und bei der Koalitionsdebatte die FDP als "Nuttenpartei, die mit jedem ins Bett geht" bezeichnet, dreht auch Markwort zunehmend rhetorisch auf und entgleitet bisweilen ins Unsachliche.
Wie schlug sich Sandra Maischberger?
Man kann seinen Job als Moderatorin natürlich so verstehen, dass man an seinen Stichworten klebt und die auch abarbeiten will. Wer ihr dabei in die Quere kommt, und sei es gerade noch so interessant, wird unterbrochen. Man kann sich aber auch ein bisschen zurücknehmen und Diskussionen einfach mal laufen lassen, wenn es spannend und interessant wird. Maischberger entschied sich für Lösung Nummer eins.
Wie hat der Politiktalk mit Prominenten funktioniert?
Ob nun nach dem gestrigen Abend ein Unentschlossener mehr weiß, wo er seine Kreuzchen machen soll, sei einmal dahin gestellt. Trotzdem funktionierte das Konzept von "Maischberger", einmal Prominente für "ihre" Partei und deren Ziele streiten zu lassen, überraschend gut. Wo bei manch anderem Politiktalk mitunter kaum Unterschiede zwischen den Parteien zu erkennen waren, zeigten sich die prominenten Fürsprecher zum Teil wesentlich farbiger.
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