- Christian Lindner schließt eine Ampel-Koalition nicht aus, baut aber gleichzeitig hohe Hürden für ein Bündnis mit SPD und Grünen auf.
- Der Vorsitzende der FDP pocht besonders auf die Schuldenbremse: "Wer auch immer Finanzminister wird – er wird sehr häufig sagen müssen: Nein, nicht jetzt."
- Im Interview mit unserer Redaktion spricht Lindner über seinen Porsche, den persönlichen Beitrag zum Klimaschutz – und eine ungelöste Aufgabe.
Herr
Christian Lindner: Ich mag das Wort nicht. Wir wollen, dass unser Land seine Chancen nutzt, um freier, fairer, nachhaltiger, innovativer und digitaler zu werden. Wo es eine Möglichkeit gibt, unsere Projekte und Werte einzubringen, machen wir das.
Das heißt: Anders als 2017 nehmen Sie dieses Jahr die Verantwortung an?
Es gilt das Gleiche wie 2017: Wir möchten regieren. Aber wir stellen nicht persönliche Karrieren ins Zentrum. Wir fühlen uns auch nach der Wahl an Zusagen gebunden. 2017 haben wir bewiesen, dass wir zu harten Entscheidungen fähig sind, wenn die Inhalte nicht stimmen. Die Menschen können sich auch in diesem Jahr darauf verlassen, dass es mit der FDP keine höheren Steuern und keine Aufweichung der Schuldenbremse gibt. Sie können sich darauf verlassen, dass wir unser Land nicht weiter nach links führen, sondern in der Mitte halten.
Ihre Sympathien für ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen sind bekannt. Schließen Sie eine Ampel-Koalition mit SPD und Grünen dagegen aus?
Wir schließen nicht aus, mit den anderen Parteien des demokratischen Zentrums Gespräche zu führen. Wir sind eine eigenständige Partei. Mir fehlt aber die Fantasie, welches inhaltliche Angebot Herr
Christian Lindner zu Koalition mit den Grünen: "Es gibt fundamentale Unterschiede"
Egal ob Jamaika oder Ampel: Wenn die FDP regiert, wird sie das wohl zusammen mit den Grünen machen müssen. Man hat aber das Gefühl, dass die beiden Parteien im Wahlkampf eher ihre Feindschaft zelebrieren.
Eine Feindschaft ist es nicht. In unserer politischen Kultur haben wir politische Mitbewerber, Feindschaften sollten wir im demokratischen Zentrum nicht pflegen. Aber es gibt eben fundamentale Unterschiede: Die Grünen haben Klimaschutz nach dem Modell Bullerbü mit subventioniertem Lastenfahrrad im Programm. Unser Ziel ist dagegen, deutsche Klimaschutz-Technologie zum Exportschlager für die ganze Welt zu machen. Außerdem wollen wir, dass Unternehmen ihre Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung steuerlich abschreiben können. Das kostet den Staat so gut wie nichts, wäre aber ein echter Antrieb für neue Jobs, Start-ups und Zukunftstechnologien.
Ein Tempolimit auf Autobahnen würde auch nichts kosten. Das Umweltbundesamt sagt, es würde die CO2-Emissionen deutlich mindern.
Für mich ist der Beitrag eines Tempolimits zur Bekämpfung der Erderwärmung außerordentlich gering. Auch mit einem Elektroauto kann man mehr als 130 Kilometer pro Stunde fahren. Es ist außerdem eine Frage des Menschenbilds, ob man Erwachsenen zutraut, nachts auf der Autobahn bei gutem Wetter eine verantwortungsbewusste Entscheidung zu treffen.
Wie schnell fahren Sie auf der Autobahn?
Mein Auto fährt nicht so schnell, dass ich in den Bereich über der Richtgeschwindigkeit käme.
Fahren Sie nicht Porsche?
Ja, aber einen ganz alten. Und den nur wenige Hundert Kilometer im Jahr.
"Ich fahre hier in Berlin schon einen Hybrid"
Würden Sie sich auch ein Elektroauto kaufen, wenn der Porsche nicht mehr fährt?
Ich fahre hier in Berlin schon einen Hybrid, der batterieelektrisch und mit Wasserstoff angetrieben wird. Meinen Porsche würde ich auch gerne mit synthetischem Kraftstoff betanken, denn dann wäre das 40 Jahre alte Auto klimaneutral.
Sie selbst versuchen ebenso klimaneutral zu sein: Sie kompensieren zumindest die Emissionen, die Sie produzieren. Warum thematisieren Sie das so wenig?
Es gibt Dinge, mit denen man nicht hausieren gehen muss. Übrigens war auch die FDP-Fraktion die erste Fraktion im Bundestag, die klimaneutral war.
Die FDP bekennt sich in ihrem Wahlprogramm zum Pariser Klimaabkommen. Wie will ihre Partei das darin festgeschriebene Ziel erreichen, die Erwärmung der Erde auf maximal 1,5 Grad Celsius zu begrenzen?
Wir wollen ein Limit für den CO2-Ausstoß – und innerhalb dieser Begrenzung Technologieoffenheit, Ideenwettbewerb und Erfindergeist ermöglichen. Das Instrument hat sich in Europa im Industrie- und Energiebereich bereits bewährt. Wegen dieses CO2-Handelssystems ist zu erwarten, dass die deutschen Kohlekraftwerke auch ohne Zutun der Politik deutlich vor dem festgelegten Datum 2038 vom Netz gehen werden.
Die FDP will also früher als geplant aus der Kohle aussteigen?
Wir überlassen das innerhalb des CO2-Budgets dem marktwirtschaftlichen Prozess. Der wird zu dem Ergebnis kommen, dass der Kohleausstieg vor 2038 kommt. Schon jetzt sind viele Braunkohle-Kraftwerke nicht mehr rentabel.
Und was passiert, wenn der CO2-Preis rasch steigt und die nötigen Innovationen nicht schnell genug kommen? Das kann für Unternehmen teuer werden – vor allem aber für die Bürgerinnen und Bürger.
Tatsächlich muss der Staat mit dem Geld, das ihm aus dem CO2-Preis zufließt, eine Kompensation schaffen. Wir wollen mit diesen Einnahmen die EEG-Umlage und die Stromsteuer senken. Davon profitieren der Bafög-Empfänger und die Rentnerin genauso wie der mittelständische Betrieb. Was dann noch übrig bleibt, wollen wir den Menschen pro Kopf auszahlen. Als Klimadividende.
Was bedeutet das?
Wenn dein CO2-Fußabdruck durchschnittlich groß ist, wird es für dich belastungsneutral. Ist dein Fußabdruck größer als der Durchschnitt, zahlst du für diese Lebensweise drauf oder musst sie verändern. Ist er kleiner als der Durchschnitt, bekommst du sogar noch etwas raus.
"Plattformen wie Google, Apple, Amazon und Facebook sollten künftig ihren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten"
Apropos Geld. Im Wahlprogramm der FDP ist aufgeführt, welche Steuern Sie nicht wollen: Solidaritätszuschlag, Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer, Luftverkehrssteuer, Schaumweinsteuer, Biersteuer, Kaffeesteuer. Was wollen Sie denn?
Eine neue Steuer hätte ich: Plattformen wie Google, Apple, Amazon und Facebook sollten künftig ihren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten. Die nächste Bundesregierung muss eine globale Mindeststeuer umsetzen. Darüber hinaus sehe ich nicht, dass irgendwer in Deutschland zu wenig Steuern zahlt.
Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und das Ifo-Institut haben berechnet, dass im Haushalt 87,6 Milliarden beziehungsweise 73,1 Milliarden Euro fehlen würden, wenn das FDP-Wahlprogramm Realität wird. Da kann man Ihnen ja kaum das Finanzministerium anvertrauen.
Es ist gar nicht unsere Absicht, das gesamte steuerpolitische Programm in einem Jahr umzusetzen. Es geht um die Richtung. Wir wollen Schritt für Schritt vorgehen. Ein erster Schritt wäre das schon angesprochene Abschreibungsprogramm, um wieder wirtschaftliche Dynamik zu bekommen. Ein zweiter Punkt, wo wir uns Entlastung wünschen, betrifft das Sozialsystem: Die alleinerziehende Mutter in Hartz IV mit einem Minijob muss bis zu 80 Prozent ihres Zuverdienstes an den Staat abtreten. Das halte ich für eine Respektlosigkeit gegenüber Menschen, die sich mit Fleiß aus der Bedürftigkeit herausarbeiten wollen.
Prozentual würden Großverdiener nach Ihrem Steuerprogramm aber stärker entlastet als Geringverdiener.
Das wäre bei allen Parteien so. SPD, Grüne und Linke haben den Solidaritätszuschlag als Einnahmequelle in ihre Steuerprogramme eingebucht. Der Soli ist aber 31 Jahre nach der deutschen Einheit aus unserer Sicht verfassungswidrig. Wenn Sie bei SPD, Grünen und Linken den Soli abziehen, haben Sie den gleichen Effekt wie bei uns.
Finden Sie das gut? Dass Großverdiener vergleichsweise stärker entlastet werden als Geringverdiener?
Höhere Steuern im Höchststeuerland gehen im Zweifel zulasten der Möglichkeit, dass mittelständische Betriebe wieder Rücklagen aufbauen können. Sie gehen auch zulasten der Attraktivität privater Investitionen.
Im Wahlkampf versprechen die Parteien sehr viel. Union und FDP wollen alle möglichen Entlastungen. SPD, Grüne und Linke wollen massive Investitionen. Falls Sie nach der Wahl mitregieren: Wie können Sie da sicher sein, dass Sie die Schuldenbremse einhalten?
Es geht uns um eine Trendwende. Nach einem Jahrzehnt der Belastung über Steuern, Abgaben und Bürokratie wollen wir wechseln in ein Jahrzehnt der Entlastung. Wer auch immer Finanzminister wird – er wird sehr häufig sagen müssen: Nein, nicht jetzt.
"Wir möchten an dem gemessen werden, was wir vor der Wahl sagen"
Das wird bei den Wählerinnen und Wählern nicht gut ankommen.
Ich bin Anhänger einer klaren Ansprache. Wir möchten an dem gemessen werden, was wir vor der Wahl sagen.
Die FDP hat nicht besonders viele Frauen in der Parteiführung. Wird es eine FDP-Ministerin geben, wenn Sie Teil der Bundesregierung werden?
Das FDP-Regierungsteam wird so vielfältig sein, wie wir es sind. Wir haben derzeit vier Regierungsbeteiligungen in den Ländern. In der Hälfte davon stehen für die FDP Frauen an der Spitze.
Wenn wir auf die Mitgliederzahlen schauen, ist der Frauenanteil allerdings nur in der AfD und der CSU noch geringer als bei der FDP. Warum ist ihre Partei so unattraktiv für Frauen?
Wir haben einen enormen Mitgliederzuwachs. In meiner Amtszeit sind 37.000 der jetzt 74.000 Mitglieder zur FDP gestoßen...
… wie viele davon waren weiblich?
Da waren viele Frauen dabei, aber es kommen in der Tat mehr Männer als Frauen. Für mich ist das auch eine ungelöste Aufgabe, denn die FDP ist die attraktivste Partei für Frauen: Wir verbinden den Einsatz für Emanzipation, für Vereinbarkeit von Familie und Karriere, moderne Gesellschaftspolitik mit wirtschaftlicher Vernunft, Technologiefreude und Respekt vor Leistung.
Ein großes Thema in Ihrem Programm ist Digitalisierung. Sie haben selbst über sich gesagt, sie würden vor allem elektronisch arbeiten. Eines Ihrer Wahlplakate zeigt Sie aber am Schreibtisch mit Zettel und Stift, neben ihnen liegt ein dicker Stapel Papier. Wie passt das zusammen?
Zu bestimmten Anlässen schreibe ich Briefe auf Papier und per Hand.
Wem haben Sie zuletzt einen Brief geschrieben?
Ich schreibe ständig Briefe. Ich gratuliere allen FDP-Mitgliedern ab dem 70. Geburtstag persönlich. Kondolenzbriefe bei Todesfällen schreibe ich natürlich auch per Hand. Ich selbst bin aber privat komplett papierlos. Ich habe alles in einer Cloud. Wenn Sie mich jetzt nach meinem Mietvertrag fragen, hätte ich den in 15 Sekunden zur Hand.
Warum dauert dann die Digitalisierung der Behörden so lange?
Das hat viele Gründe. Einer davon ist, dass es kein zentrales Projektmanagement gibt. Deshalb schlagen wir vor, endlich ein Digitalisierungsministerium einzurichten. Es hätte unter anderem die Aufgabe, bei jedem neuen Gesetz einen Digitalcheck durchzuführen. Bevor das Gesetz beschlossen wird, muss die Ministerialverwaltung prüfen: Wie würde man diese Idee denn digital verwalten?
Ein eigenständiges Digitalministerium klingt nach Symbolpolitik. Ihre Pläne könnten Sie doch auch anders umsetzen.
Die Erfahrung der vergangenen vier Jahre empfiehlt einen anderen Weg als bisher. In Nordrhein-Westfalen gibt es auf Initiative der FDP ein Digitalisierungsministerium. Dort sind die Erfahrungen positiv. Deutschland sollte sich Estland zum Vorbild nehmen. Wir müssen aber auch bei der digitalen Infrastruktur Tempo machen und zusätzliche Mittel mobilisieren. Unser Interesse muss es sein, schnelles Internet auszubauen und Funklöcher zu schließen. Und wegen Ihrer Sorge um den Haushalt: Ich glaube, das alles geht auch ohne höhere Steuern und Schulden, indem der Staat zum Beispiel seine mehr als 20 Milliarden Euro aus der Beteiligung bei der Deutschen Telekom einsetzt. Mit diesen Vermögenswerten können wir besseres anstellen.
"Demokratisches Limit sollte vor allem für höchste Regierungsämter gelten"
In Ihrem Wahlprogramm steht, dass Sie für eine Amtszeitbegrenzung des Kanzlers beziehungsweise der Kanzlerin sind, nach zwei Amtszeiten soll Schluss sein. Weiter heißt es dort: "Demokratie lebt auch vom Wechsel der verantwortlichen Persönlichkeiten. Ämter in einer Demokratie sollten deshalb grundsätzlich immer Ämter auf Zeit sein." Gilt das auch für Sie? Schließlich sind Sie jetzt acht Jahre Parteivorsitzender.
Die Macht des FDP-Vorsitzenden ist gegenüber dem eines Kanzlers oder einer Kanzlerin natürlich begrenzter (lacht). Ich bin für einen natürlichen Wechsel. Aber das demokratische Limit sollte vor allem für höchste Regierungsämter gelten. Sonst droht die Verwaltung des Status Quo. Ich spreche aus Erfahrung.
Haben Sie so schlechte Erfahrungen mit Angela Merkel gemacht?
Ich zolle Angela Merkel Respekt dafür, dass sie ihre intellektuellen Fähigkeiten 16 Jahre lang in den Dienst unseres Landes gestellt hat. Aber trotzdem wird die nächste Regierung Deutschland mit erheblichem Erneuerungsbedarf übernehmen: bei Staatsfinanzen, Rente, Digitalisierung, Bildung, Klima, Wettbewerbsfähigkeit, Infrastruktur, Bundeswehr, EU. Das ist keine Geringschätzung von Frau Merkel als Person. Doch nach 16 Jahren ist Deutschland ein Sanierungsfall.
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