• Alle drei Kanzlerkandidaten waren in den vergangenen Tagen in den Gebieten unterwegs, die von der Flutkatastrophe schwer getroffen wurden - und setzten dabei unterschiedliche Akzente.
  • Welchen Eindruck haben Laschet, Scholz und Baerbock in den Hochwasser-Gebieten hinterlassen?
Eine Analyse

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Entschlossenheit, Tatkraft, Entscheidungsfreudigkeit und ein guter Instinkt für das richtige Mittel zur richtigen Zeit – in Krisen zeigt sich oft der wahre Charakter eines Menschen und nicht zuletzt von Politikerinnen und Politikern. Wer Krise kann, kann auch Kanzler, heißt es.

Die Disziplin "Krisenmanagement" hat schon viele Politiker ganz nach oben befördert oder ihrer Karriere zumindest neuen Schwung verliehen. Wer behält kühlen Kopf? Wer verfügt über das nötige Fingerspitzengefühl? Wer schafft es, die Nöte, das Leid und die Trauer der Opfer und Betroffenen richtig zu erfassen und einzufangen ohne den Eindruck zu erwecken, zerstörte Häuser und Hochwasser-Tote als Wahlkampfkulisse zu missbrauchen?

Schmidt und Schröder machte erfolgreiches Krisenmanagement zu Kanzlern

Für Helmut Schmidt beispielsweise wurde die Hamburger Sturmflut im Februar 1962 zur Bewährungsprobe. Der damals 43-jährige SPD-Politiker bewies als damaliger Polizeisenator der Hansestadt in Abwesenheit des erkrankten Bürgermeisters, dass er Krisen bewältigen kann. Dieser Ruf begleitete ihn in seiner folgenden politischen Karriere, die 1974 mit dem Sprung ins Kanzleramt ihren Höhepunkt fand.

Ähnlich erfolgreich als Krisenmanager präsentierte sich Gerhard Schröder 2002 im Sommer des Elbe-Hochwassers. Der SPD-Kanzler marschierte in Gummistiefeln über Deiche, schlug den Betroffenen und den wackeren Helfern vor Ort mitfühlend auf die Schulter, traf in der Ansprache den richtigen Ton und riss dadurch kurz vor der Bundestagswahl noch einmal das Ruder herum zugunsten der bis dahin schwächelnden rot-grünen Bundesregierung.

Und 2021? Die aktuelle Flutkatastrophe, die vor allem Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen sowie Bayern betrifft, bietet jedenfalls allen drei Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl am 26. September die Möglichkeit, sich dem Wahlvolk zu präsentieren.

Armin Laschet (CDU), Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) haben sich in den vergangenen Tagen in die Krisengebiete aufgemacht, sich die Umstände vor Ort angeschaut – und sich dabei recht unterschiedlich verhalten und geschlagen.

Armin Laschet: Verhängnisvolles Lachen an der falschen Stelle

Der Kanzlerkandidat der Union ist zeitgleich Ministerpräsident des vom Hochwasser schwer gebeutelten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Insofern war sein Besuch des Rhein-Erft-Kreises zumindest rein formal kein Wahlkampf für die Kanzlerschaft, sondern der Einsatz eines Regierungschefs für sein Bundesland.

Zwar trug Laschet vor Ort Gummistiefel, doch beim gemeinsamen Auftritt mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Erftstädter Ortsteil Blessem unterläuft dem CDU-Chef ein kapitaler Fehler. Während Steinmeier Worte des Mitgefühls für die Betroffenen äußert, fangen Kameraleute Armin Laschet ein, der im Hintergrund etwa zehn Meter hinter dem Bundespräsidenten mit einem Landrat und anderen in einer kleinen Gruppe zusammensteht – und lacht. Ein fatales Signal in der Außenwirkung.

Laschet teilt später mit, er bedauere "den Eindruck, der durch eine Gesprächssituation entstanden sei". Und räumt ein: "Dies war unpassend und es tut mir leid." Am Sonntag erklärt er im WDR-Fernsehen: "Ich war den ganzen Tag unterwegs, es gab emotionale Begegnungen, die mich auch wirklich erschüttert haben. Und deshalb ärgere ich mich umso mehr über diese wenigen Sekunden."

Der Ärger ist verständlich, denn haften bleibt beim potenziellen Wähler in erster Linie der Kanzlerkandidat, der trotz Dutzender Todesopfer und verheerender Schäden zu Scherzen und Späßen aufgelegt ist.

Olaf Scholz: Vizekanzler mit Erfahrung und dem Finanzministerium im Rücken

In seiner Funktion als Vizekanzler hat der SPD-Kanzlerkandidat ebenfalls legitimen Anlass, sich persönlich einen Eindruck der Gegebenheiten zu verschaffen. Zumal die Chefin, Kanzlerin Angela Merkel, noch zum Besuch bei Joe Biden in den USA weilt, als das Hochwasser seine zerstörerische Kraft am vergangenen Donnerstag entfaltet. Scholz unterbricht also seinen Wanderurlaub und reist zuerst in das Katastrophengebiet Bad Neuenahr-Ahrweiler im nördlichen Rheinland-Pfalz. Er findet mitfühlende Worte und zeigt sich betroffen von der "gewaltigen Zerstörung, die die Natur angerichtet hat".

Praktischerweise ist Scholz auch Bundesfinanzminister, und als solcher kündigt er im Namen der ganzen Bundesregierung eine solidarische Unterstützung für die betroffenen Regionen an. Die Katastrophe sei nicht allein auf Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen beschränkt, sondern "eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung". Die Unterstützung müsse den Ländern, den Landkreisen, den Gemeinden und auch den Bürgerinnen und Bürgern zugutekommen - "hier und auch anderswo, wo das Wasser zugeschlagen hat und große Zerstörung angerichtet hat".

Am Sonntag stattet Scholz an der Seite von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder noch dem inzwischen ebenfalls von Hochwasser betroffenen Gebiet im Berchtesgadener Land einen Besuch ab – und verspricht in Schönau am Königssee Soforthilfe für die Flutopfer. Dabei orientiere man sich an Zahlungen bei der letzten Flut, also an etwa 400 Millionen Euro, erklärt Scholz. "Wir sind bereit, unseren Anteil zu leisten." Insgesamt, so Scholz, bewegten sich die Ausgaben für die verheerenden Schäden in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen allerdings im Milliarden-Bereich.

Scholz kauft man die ehrliche Betroffenheit ab, er spielt in der Krisensituation seine jahrelange Erfahrung aus. Er trifft den richtigen Ton und kann auch durch seine qua Amt mögliche monetäre Unterstützung punkten.

Annalena Baerbock: Zurückhaltende Anteilnahme ohne Medienbegleitung

Außer mitfühlend klingenden Twitter-Nachrichten ist von der Kanzlerkandidatin der Grünen, die wie Scholz eigentlich im Urlaub weilt, zu Beginn der Hochwasser-Katastrophe wenig zu hören und vor allem wenig zu sehen. Es sei nun das "Gebot der Stunde", die Rettungskräfte bei ihrer Arbeit so gut wie möglich zu unterstützen, erklärt Baerbock am Donnerstag. Es sei richtig, dass Bund und Länder dafür jetzt alle Kräfte mobilisierten. Die Grünen-Vorsitzende fordert zudem schnelle und unbürokratische Hilfe für die "Menschen, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, weil ihr Hab und Gut, ihre Häuser einfach weggeschwemmt wurden".

Ende der vergangenen Woche unterbricht auch Baerbock ihre Ferien, besucht selbst die Katastrophengebiete im Westen Deutschlands und informiert sich über die Lage. Bilder von ihr in Gummistiefeln liefert sie dabei nicht: Auf eine Pressebegleitung oder öffentliche Auftritte verzichtet sie bewusst. "Es ging mir darum, wirklich zuhören und auch trösten zu können. Da macht es einen Unterschied, ob Kameras laufen oder nicht", erklärt sie im Interview mit dem "Spiegel" ihr Vorgehen. Fernab der Medienöffentlichkeit konnte Baerbock zum Beispiel folgende Eindrücke gewinnen: "Mir haben Helfer in Rheinland-Pfalz von Familien erzählt, die tagelang auf dem Dach ausharrten, bis endlich die Retter kamen. Da zieht sich einem das Herz zusammen. Wir müssen uns besser gegen solche Extremwettereignisse wappnen, um Menschen zu schützen."

Dass die Grünen seit Jahren vehementer als jede andere deutsche Partei vor den fatalen Auswirkungen des Klimawandels warnen, erwähnt Baerbock nicht. Das könnte ihr schließlich als reines Wahlkampfgetöse ausgelegt werden. Anders als etwa Landesvater Laschet hat Baerbock im Katastrophengebiet keine konkrete Aufgabe zu erfüllen. Zudem kommt Rechthaberei nie gut an und würde angesichts von so vielen Todesopfern wohl auch pietätlos wirken. Mögliche Fettnäpfchen hat Baerbock insgesamt erfolgreich umschifft.

Mit Material von dpa und afp.

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