- Leserinnen und Leser fragen Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker - unser Format bietet den Usern unserer Plattform die Möglichkeit, einen direkten Draht zum Berliner Politikbetrieb herzustellen.
- Vor der Bundestagswahl brennen den Usern offenbar sehr viele Probleme unter den Nägeln.
- Von SPD-Politiker Kevin Kühnert wünschten sie sich Antworten auf Fragen zu Rente, Vermögenssteuer und Hartz IV.
Vor der Bundestagswahl am 26. September haben wir unseren Leserinnen und Lesern die Chance gegeben, ihre Fragen und Anliegen an sechs Spitzenkräfte der im aktuellen Bundestag vertretenen Parteien zu schicken.
Teil 1: Ihre Fragen an Linke-Politiker Gregor Gysi
Teil 2: Ihre Fragen an CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus
Teil 3: Ihre Fragen an Grünen-Politiker Cem Özdemir
Teil 4: Ihre Fragen an AfD-Politikerin Alice Weidel
Von SPD-Politiker
Herr Kühnert, wenn ich in meinem Konzern eine Führungsposition übernehmen möchte, muss ich Qualifikationen und Abschlüsse je nach Anforderung vorweisen. Warum ist das bei Politikern anders? Soweit ich informiert bin, haben Sie weder ein abgeschlossenes Studium noch eine fundierte Ausbildung. Was befähigt Sie also dazu, eine Führungsposition in unserem Land zu übernehmen beziehungsweise warum kann man in unserem Land Regierungsposten besetzen, ohne irgendwelche Qualifikationen nachweisen zu müssen?
Thomas, Landkreis Börde, 56, Mitarbeiter in einem Automobilkonzern
Kevin Kühnert: Seit meinem Abi verdiene ich eigenes Geld und habe nie staatliche Leistungen in Anspruch genommen. Wie immer mehr junge Menschen hatte ich keinen Anspruch auf BAFöG. Doch Studium, Arbeit und Ehrenamt in Sport und Politik? Das war nebeneinander nicht zu schaffen.
Ich habe das Studium dann geschmissen und mehrere Jahre in einem Callcenter gearbeitet. Dafür muss ich mich nicht rechtfertigen, denn nichts an so einem Lebensweg ist falsch oder anrüchig. Ganz im Gegenteil glaube ich, dass dem Bundestag, in dem heute gut 80 Prozent der Abgeordneten einen akademischen Abschluss haben, die Perspektiven prekär beschäftigter Menschen fehlen.
7,50 Euro Stundenlohn, Kettenbefristung und kein Betriebsrat, das kenne ich nicht nur aus der Theorie. Und genau gegen diese Zustände will ich mich im Parlament einsetzen.
Warum soll man einen
Eric, Rostock, 31, Industriekaufmann
Kühnert: Das sehe ich ausdrücklich anders. Bei Wirecard hat die Wirtschaftsprüfung kläglich versagt.
Der Wirecard-Skandal hat unglaubliche kriminelle Energien der früheren Verantwortlichen des Unternehmens offenbart sowie deutlich gemacht, dass Wirtschaftsprüfung und -beratung viel strenger voneinander getrennt gehören. Die gesetzlichen Regeln dafür hat Olaf Scholz grunderneuert und die Finanzaufsicht neu aufgestellt.
Die Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel hat er wiederholt als seine größte politische Niederlage bezeichnet. Die enorme Zustimmung, die er bis heute in Hamburg genießt, spricht dafür, dass dieses Bedauern aufrichtig ist.
Verantwortung zu übernehmen bedeutet aus meiner Sicht auch, sich als Bundeskanzler dafür einzusetzen, dass G7-Gipfel künftig aus Metropolen herausgehalten werden - und friedlicher Protest geschützt ist.
Werden Sie (erneut) eine Koalition mit der CDU/CSU und wohl auch mit der FDP eingehen, um regieren zu können?
Mathias, Niedersachsen, 62, Angestellter
Kühnert: CDU und CSU sind nach 16 Jahren im Kanzleramt ausgezehrt und gehören in die Opposition. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern die gemeinsame Überzeugung der gesamten SPD. Und deshalb werden wir alles dafür tun, eine SPD-geführte Bundesregierung ohne die Konservativen zu bilden.
Dass wir, wie die meisten Mitbewerber, neben der AfD keine anderen Parteien pauschal von der Zusammenarbeit ausschließen, das hat nichts mit Beliebigkeit zu tun. Sondern vielmehr mit den Erfahrungen des Herbst 2017, als Christian Lindner und die FDP aus einer Laune heraus das Land in eine Regierungskrise trieben. Der Lindner-FDP traue ich kein bisschen. Eine Regierung ohne sie ist erstrebenswert.
Warum wollen Sie per Vermögenssteuer bereits versteuertes Vermögen, das ich als Familienunternehmer investiert habe und immer noch investiere, wegnehmen, um damit Misswirtschaft der Politik wie bei der Mautkatastrophe auszugleichen? (Keine Ausreden: Die SPD ist in der Regierung in der Mitverantwortung!)
Lothar, Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, 72, Gesellschafter und Prokurist
Kühnert: Die von uns vorgeschlagene Vermögensteuer nach dem Schweizer Modell ist eine vermögensbezogene Steuer, wie zum Beispiel die Grundsteuer auch. Es ist dabei unerheblich, wie der Vermögensgegenstand erworben wurde - in der Regel in der Tat mit bereits versteuertem Einkommen.
Das wäre jedoch keine Besonderheit der Vermögensteuer, sondern ist gängige Praxis (bei Grund und Boden, Zinsen, Dividenden, Hunden...). Der grundlegende Gedanke hinter vermögensbezogenen Steuern ist, dass der Wert des Vermögens steigt. Deshalb darf man ja auch Schulden von der Bemessungsgrundlage abziehen.
Wir haben zudem klargestellt, dass wir Vermögen, das der Grundlage von Betrieben dient, nicht der Vermögensteuer unterstellen werden. Betriebsnotwendiges Vermögen ist schließlich auch bei der Erbschaft- und Schenkungssteuer befreit, daher ist die Abgrenzung kein Problem. Das Problem, das Sie schildern, tritt also nicht auf.
Warum muss ich meine selbst eingezahlte Rente versteuern? Ich zahlte jahrelang jeden Monat DM 500,- aus versteuertem und sozialverbeitragtem Nettoarbeitseinkommen in eine Privatrente ein - verdient als Angestellte bei einer wertschöpfenden Privatfirma, nicht beim Staat. Warum bekomme ich nicht einen so hohen Freibetrag, der es mir ermöglicht, keine Steuererklärungen mehr abzugeben, bis ich sterbe? Warum muss ich Elster online benutzen, obwohl ich zur Generation Offline gehöre? Werden Sie sich für die Rentner einsetzen? Oder sind Sie nur für die jüngere Generation da, die ja auch mal alt wird?
Christel, Hessen, 74, Rentnerin
Kühnert: Die SPD setzt sich bei der Rente für Jung und Alt gemeinsam ein - denn die Rente ist ein Versprechen zwischen den Generationen. Und ich kann Ihnen versichern, dass die Steuererklärung auch für junge Menschen nicht trivial ist. Denn bei der gesetzlichen Rente wird bis 2040 schrittweise auf die sogenannte nachgelagerte Besteuerung umgestellt.
Das bedeutet, dass jedes Jahr ein größerer Teil der Rentenbeiträge von der Einkommenssteuer im Erwerbsleben abgesetzt werden kann und damit nicht versteuert werden muss. Gleichzeitig erhöht sich jedes Jahr der Anteil der Rente, der individuell versteuert wird. Diese Änderungen wurden durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts notwendig.
Bei Ihrer privaten Rentenversicherung hingegen, die Sie aus versteuertem Einkommen angespart haben, wird die eigentliche Rente selbst nicht versteuert. Steuerpflichtig ist nur der sogenannte Ertragsanteil - das sind die Zinsen auf Ihr angespartes Kapital in der Rentenphase. Wie hoch dieser Ertragsanteil ist, hängt vom Alter bei Rentenbeginn ab.
Die Besteuerung der Rente statt der Rentenbeiträge ist übrigens in den allermeisten Fällen vorteilhaft. Denn im Rentenalter ist das Einkommen geringer und dadurch wird im Alter ein niedrigerer Steuersatz angewandt.
Der einzige Nachteil ist: Sie müssen eine Einkommenssteuererklärung abgeben, wenn der von Ihnen zu versteuernde Rentenanteil über dem Grundfreibetrag liegt. Sie können diese jedoch auch weiterhin vollständig offline ausfüllen.
Einen Tipp würde ich Ihnen aber trotzdem geben: Vielleicht bitten Sie doch jemanden aus der "Generation Online", möglicherweise Ihre Kinder oder Enkelkinder, um Unterstützung. Denn seit Kurzem gibt es den einfach zu bedienenden "Steuerlotsen Rente", mit dem Sie als Rentnerin ohne Vorwissen Ihre Steuererklärung erstellen können.
Wie sieht Ihre Strategie für eine Rentenreform aus? Schon heute rutscht eine Vielzahl an Rentnern in die Armut, obwohl sie ein Leben lang gearbeitet haben.
Indoha, Berlin, 56, Mitarbeiterin in der Öffentlichkeitsarbeit
Kühnert: Die gesetzliche Rente resultiert aus unseren Löhnen und daher stärkt die Rente, wer für höhere Löhne eintritt. Dank der SPD steigen die Renten nun wieder entsprechend der Löhne und wir werden mit einem Mindestlohn von 12 Euro nicht nur 10 Millionen Einkommen verbessern, sondern gleichzeitig auch die Beitragsbasis der gesetzlichen Rente stärken.
Weder werden wir das Rentenniveau sinken lassen, noch ein Rentenkürzungsprogramm namens Rente mit 68 oder gar 70 mitmachen. Die Grundrente bauen wir aus, Zeiten der Erziehung und Pflege von Angehörigen werden wir noch besser berücksichtigen, was insbesondere vielen Frauen hilft. Und in der Erwerbsminderungsrente sind insbesondere für die Bestandsrentner Verbesserungen überfällig.
Würde die SPD im Falle einer Regierungsbeteiligung Änderungen an den Hartz-IV-Gesetzen vornehmen wollen? Wenn ja, welche?
Peter, Landkreis Ammerland, 54, Angestellter
Kühnert: Nach 15 Jahren nicht enden wollender Hart IV-Diskussionen - auch innerhalb der Sozialdemokratie -, hat die SPD sich 2019 endlich entschieden: Wir wollen das Hartz-System überwinden und haben stattdessen ein Konzept für einen gerechten und zeitgemäßen Sozialstaat entwickelt.
Dazu gehören: Eine Kindergrundsicherung, ein Rechtsanspruch auf Qualifizierung und Weiterbildung (auch für Ältere), ein wieder an der Lebensarbeitszeit orientiertes Arbeitslosengeld I, der (bereits während Corona von uns durchgesetzte) Schutz von Wohnung und Erspartem, der Ausbau des Sozialen Arbeitsmarktes und vieles andere mehr.
Es wird immer gesagt, man soll sich auf Augenhöhe begegnen. Warum müssen dann Beamte nicht in die Rentenkasse einzahlen? Es würde dann auch besser in der Rentenkasse aussehen. Wird es je eine Änderung geben?
Regina, Landkreis Gießen, 60, Customer Service Representative
Kühnert: Sie haben total Recht: Zukunftsfest machen wir die Rente, indem wir sie zur Erwerbstätigenversicherung umbauen, in die künftig alle einzahlen - auch Beamte, Selbständige und selbstverständlich ebenso Politiker. Das Prinzip: Einer für alle, alle für einen.
Das möchte die SPD und das möchte ich persönlich, übrigens auch als Sohn zweier Beamter. Die Renten der geburtenstarken Jahrgänge können wir so besser finanzieren, ohne dass das System kollabiert. Zahlreichen Selbständigen haben wir den Weg in die gesetzliche Rente bereits erleichtert, da wollen wir jetzt weitermachen.
Was wird gegen die enorm ansteigenden Mieten unternommen? Es ist schon länger bekannt, dass viele Bürger bereits die Hälfte ihres Nettoeinkommens für die Miete zahlen müssen.
Michaela, Frankfurt am Main, 45, Angestellte
Kühnert: Insbesondere die bei Neuvermietung aufgerufenen Mieten überfordern immer häufiger die Menschen in Deutschland. Nach Überzeugung der SPD soll niemand mehr als 30 Prozent des Haushaltseinkommens für die Miete ausgeben müssen.
Um das zu schaffen, brauchen wir mehrere Instrumente. Eine Entfristung der Mietpreisbremse, bessere Mietspiegel und einen Mietenstopp von fünf Jahren überall dort, wo die Mieten jetzt explodieren. Diese fünf Jahre müssen dann für den bezahlbaren Neubau genutzt werden.
Die SPD will jedes Jahr 400.000 Wohnungen bauen, davon mindestens jede vierte als Sozialwohnung. Kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, gemeinnützigen Genossenschaften und umsichtigen Privaten wollen wir leistbares Bauland per Erbbaupacht bereitstellen und es somit gleichzeitig der Spekulation entziehen.
Die SPD war historisch gesehen immer eine Partei, die links einzuordnen war und für soziale Gerechtigkeit stand. Schröders Agenda 2010 hat diese politische Verortung der Partei pulverisiert. Die SPD befindet sich heute schön brav in der Mitte und hat ihr Profil verloren. Es zeigt sich, dass Opportunismus sich dann eben doch nicht lohnt. Wie konnte es so weit kommen?
Klaus, München, 60, Technischer Redakteur
Kühnert: Die Angstkampagnen, die Konservative und Neoliberale derzeit gegen Olaf Scholz und die SPD starten, sprechen deutlich gegen Ihre These. Niemand kann bestreiten, dass die SPD einige Jahre lang Vertrauen in ihre soziale Kompetenz verspielt hat. Das ist vorbei.
Seit Jahren ist jede soziale Verbesserung in Deutschland auf die SPD zurückzuführen: Mindestlöhne, Grundrente, Mietpreisbremse, Kurzarbeitergeld, Mindestvergütung für Azubis und vieles mehr. Alles gegen massive Widerstände und Lobbydruck durchgesetzt.
Und so machen wir weiter. Mit 12 Euro Mindestlohn, der Bürgerversicherung, einem Mietenstopp, der Ausbildungsgarantie und einer Vermögensteuer für Superreiche, die es zuletzt unter Helmut Kohl gab. Das ist nicht opportunistisch, sondern gerecht.
In der sechsten Folge unserer Reihe stellt sich
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