Vorwürfe, Unterstellungen und wenig Kompromissbereitschaft: An den Spannungen zwischen den Grünen und der CSU könnten die Jamaika-Sondierungen scheitern. Warum treten ausgerechnet die beiden Parteien mit den geringsten Stimmanteilen als Querulanten auf?

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Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt trat mitten in der Nacht müde vor die Kameras, um ihre Analyse abzugeben. Parteikollege Winfried Kretschmann, Baden-Württembergs Ministerpräsident, lehnte jeden Kommentar ab. Und von Jürgen Trittin, dem Parteilinken, war gar nichts zu sehen.

Dieses Szenario wirkt dieser Tage vertraut, doch die Eindrücke beschreiben das Ende der Sondierungsgespräche zwischen Grünen und CDU/CSU nach der Bundestagswahl 2013. Sie waren gescheitert.

Im Anschluss bildeten Union und SPD eine Großen Koalition. 2017, so hieß es damals in vielen Kommentaren, sei das Land vielleicht reif für ein schwarz-grünes Bündnis in Berlin.

Vier Jahre später wollen sich die Grünen und die Union jetzt gemeinsam mit der FDP an einer Jamaika-Koalition versuchen - möglicherweise. Denn gerade zwischen den beiden Parteien mit dem geringsten Stimmanteil knisterte und krachte es in den Sondierungsgesprächen gewaltig.

Familiennachzug ist der große Streitpunkt

Besonders beim Thema Familiennachzug von Flüchtlingen scheinen die Fronten zwischen CSU und Grünen auch nach dreiwöchigen Sondierungen unvereinbar.

Die Grünen setzen sich dafür ein, dass der ausgesetzte Familiennachzug von Flüchtlingen mit subsidiärem, sprich eingeschränktem Schutz, nicht verlängert wird. Die Christsozialen wollen dies unbedingt verhindern, die FDP im Übrigen auch.

Die Regelung, die im März 2018 ausläuft, betrifft vor allem Menschen, die vor Kriegen fliehen, aber nicht vor gezielter Verfolgung.

"Da bewegt sich nichts – das ist der pure Stillstand", sagte ein Verhandler der "Bild-Zeitung". In der Nacht auf Freitag lehnten die CSU-Verantwortlichen einen Kompromissvorschlag der FDP ab. Dieser sah vor, in Härtefällen und wenn die Flüchtlinge in Deutschland nicht auf staatliche Leistungen angewiesen sind, den Familiennachzug zu erlauben.

Zwischenzeitlich hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vorgeschlagen, den Zuzug auf 500 Menschen im Monat zu begrenzen. "Wir wollen eigentlich überhaupt keinen Familiennachzug für Menschen, die nur vorübergehend bei uns bleiben können", wird CSU-Chef Horst Seehofer auf "Zeit Online" zitiert.

Druck von der Basis

Eine Erklärung für die Haltung der CSU: Wegen des schlechten Bundestagswahlergebnisses in Bayern, wo die Partei unter 40 Prozent fiel, wollen die Verantwortlichen ihr konservatives Profil im Hinblick auf die Landtagswahl 2018 schärfen. Ein Entgegenkommen in der Asylfrage lässt sich damit nicht vereinbaren.

Für die Grünen gehört dagegen eine humane Flüchtlingspolitik zur Partei-DNA. "Wie viele Kompromisse kann man eingehen, ohne das eigene Profil zu verlieren?", fasste CDU-Vize Armin Laschet das Dilemma zusammen.

Bei den Themen Landwirtschaft, Verkehr und Energie gibt es ebenfalls noch Redebedarf zwischen Grünen und CSU.

Eine Einigung wird auch durch Flügelkämpfe in den Parteien erschwert. Bei den Grünen wacht der Parteilinke Jürgen Trittin, der einflussreiche Vertreter des Fundi-Flügels, über die Verhandlungsführer Katrin Göring-Eckhardt und Cem Özdemir.

Bei der CSU steht der durch die Bundestagswahl geschwächte Parteivorsitzende Seehofer enorm unter Druck, auch durch Mit-Verhandler Alexander Dobrindt, den Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag.

"Keiner von beiden kann hier mit einem Kompromiss raus, den der andere nicht mitträgt. Jeder will aber auch härter und stärker sein als der andere – und das führt zu einer gewissen Unbeweglichkeit bei den Bayern", sagte ein Mitglied aus einem der Sondierungs-Teams der "Bild-Zeitung".

Schließlich muss die CSU-Spitze einen möglichen Kompromiss später noch der Basis verkaufen. "Ein Ja zu Jamaika in Berlin, ein Nein aus München – es könnte die CSU zerreißen", kommentiert Christian Deutschländer im "Münchner Merkur".

Auch die Grünen können es sich nicht leisten, die Basis zu verprellen: Sie werden ihre Mitglieder später über den möglichen Koalitionsvertrag abstimmen lassen.

CSU und Grüne giften sich an

Als wäre diese Gemengelage nicht kompliziert genug, gingen CSU und Grüne am Freitagfrüh auch noch verbal aufeinander los – nicht zum ersten Mal.

Aus dem Sondierungsteam der Ökopartei hieß es, es gebe einen Machtkampf bei der CSU am Verhandlungstisch, Parteichef Seehofer habe kein Mandat mehr.

Der beklagte sich daraufhin, mit solchen Thesen und Falschbehauptungen werde das Gesprächsklima unnötig belastet. "Die müssen für Ordnung sorgen bei sich", forderte Seehofer.

Steckt ein Revanche-Manöver der Grünen hinter den Spekulationen? Von der CSU wurde zuletzt gestreut, Grünen-Chefin Göring-Eckardt verfüge über kein echtes Verhandlungs-Mandat, weil sie Dinge vom Telefon ablese und immer wieder für Nachfragen aus dem Saal gehe.

Und CSU-Landesgruppenchef Dobrindt zog sich mit markigen Sprüchen ("Schwachsinns-Positionen") schon länger den Unmut der Grünen-Spitze zu.

Für Anna Reimann von "Spiegel Online" entsteht durch die offen ausgetragenen Scharmützel der Eindruck, dass CSU und Grüne daran arbeiten, "im Falle eines Scheiterns schon vorab die Schuld auf den jeweils anderen zu schieben."

Positive Signale am Freitagabend

Am Freitagabend waren dann plötzlich wieder ein paar positive Signale zu vernehmen. Die Grünen boten in der Verkehrspolitik einen Kompromiss an und verzichteten auf die bisher geforderte höhere Besteuerung von Diesel.

"Logischerweise muss das für alle gelten, dass man sich bewegt", sagte Parteichef Cem Özdemir nach Beratungen mit Union und FDP in Berlin.

Auch aus dem Mund von Alexander Dobrindt kamen plötzlich versöhnliche Töne: "Das Verständnis für die jeweils gegenteilige Position, das wächst ja in diesen Gesprächen". Das Ziel sei es nun, "die Knoten, die da jetzt eingeknüpft sind, aufzukriegen", meinte der Noch-Verkehrsminister.

Vielleicht würde es ihm helfen, sich an 2013 zu erinnern. Nachdem die schwarz-grünen Sondierungsgespräche durch die Ökopartei beendet wurden, sagte Dobrindt, damals noch CSU-Generalsekretär: "Es hat kein Problem gegeben, das nicht überwindbar war."

Bis Sonntag wird sich zeigen, ob das auch für die Jamaika-Sondierungen anno 2017 zutrifft. Um 18 Uhr wollen die Parteien ihre Gespräche endgültig beendeten haben.

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