Die Migrationsfrage wühlt Deutschland auf, Digitalisierung ist immer noch Neuland und die europäische Friedensordnung liegt in Trümmern. Und dann ist da auch noch das Klima. Die nächste Bundesregierung hat einiges zu tun.
Wenn am Sonntag um 18 Uhr die Wahllokale schließen, endet ein kurzer, intensiver Winterwahlkampf. Danach muss es mit der Regierungsbildung in Berlin schnell gehen. Denn die Probleme drängen – vor allem außenpolitisch. In der Ukraine droht ein Diktatfrieden, Russlands Machthaber
Der nächste Bundeskanzler ist also gleich gefordert. Und es warten noch mehr Herausforderungen: von verschleppter Digitalisierung über Klima- und Wirtschaftskrise bis zur Dauerbaustelle Gesundheitswesen. Unsere Redaktion sagt, was die nächste Regierung sofort angehen muss.
1. Migration
Kaum ein Thema hat zuletzt für so unversöhnliche Debatten gesorgt wie der Umgang mit der Flucht und Zuwanderung. Das Land braucht endlich einen Migrationsfrieden: ein Paket, auf das sich die demokratische Mitte des Landes einigen kann.
Dazu können weitere Migrationsabkommen mit anderen Staaten gehören. Dazu kann die Ausweisung weiterer sicherer Herkunftsstaaten gehören. Beides würde es deutschen Behörden erleichtern, abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimat zurückzubringen. Dazu muss aber auch eine bessere Unterstützung der überlasteten Kommunen gehören – und leichtere Regeln für ausländische Fachkräfte, auf die unsere Gesellschaft angewiesen ist. Eine Abschottung des Landes und eine komplette Abschaffung des Rechts auf Asyl würden zum Deutschland des 21. Jahrhunderts nicht passen.
Eine Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich eine weitere Begrenzung der ungesteuerten Einwanderung. Die nächste Bundesregierung muss diesem Wunsch gerecht werden, ohne dabei fundamentale Prinzipien der Humanität und des Völkerrechts zu verletzen. Das mag nach den aufgeheizten Diskussionen des Wahlkampfs schwierig klingen. Aber möglich ist es.
2. Wirtschaft
Die Krise ist Dauerzustand geworden. Seit Corona geht nichts mehr. Inzwischen taumelt die deutsche Volkswirtschaft ins dritte Rezessionsjahr – und kein Aufschwung ist in Sicht.
Die Alarmsignale sind überdeutlich: Der Arbeitsmarkt – lange robust – schwächelt, die Zahl der Arbeitslosen bewegt sich in Richtung drei Millionen. Die Industrieproduktion ist im vergangenen Jahr um rund fünf Prozent gesunken. Und Umfragen zeigen: Die Wirtschaft blickt pessimistisch in die Zukunft.
Nicht alles hat die Ampel verschuldet. Viele Probleme wie die fatale Abhängigkeit von russischem Gas hat sie geerbt. Ein Problemlöser war die Scholz-Regierung aber nicht: Ihre Wirtschaftspolitik war widersprüchlich – etwa beim Abschalten funktionierender Atomkraftwerke mitten in der größten Energiekrise.
Die Ampel ist Geschichte, die Probleme aber bleiben. Die nächste Regierung muss sie schnell angehen. Die Unternehmenssteuern sind zu hoch, die Bürokratie erdrückend, Energie zu teuer. Auch die Lohnnebenkosten müssen runter. An echten Reformen bei Gesundheit und Rente führt kein Weg vorbei – sonst kommt das böse Erwachen erst noch.
3. Europa
Ein EU-Gipfel ohne
Drei Jahre hat Europa vergeblich darauf gewartet, dass Deutschland seiner Führungsrolle gerecht wird. Dass die Bundesrepublik vorangeht und Konsens herstellt. Stattdessen verkam Europapolitik für die Ampel vor lauter innenpolitischem Chaos zur Nebensache. Die deutsch-französische Freundschaft ist belastet, die Beziehungen zu Polen sind selbst nach der Abwahl der rechtsnationalen PiS-Regierung bestenfalls durchwachsen.
Das muss sich ändern. Noch immer tobt Krieg in Europa und die USA brechen als verlässliche Partner weg. Wenn die EU jetzt nicht geeint agiert, droht sie geopolitisch zerrieben zu werden.
Diese Aufgabe kann die nächste Bundesregierung nicht allein lösen. Doch ohne eine klare Haltung Deutschlands kann Europa sie nicht bewältigen.
4. Verteidigung
Schon als der Bundestag das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr beschloss, war klar: Es wird nicht reichen. Zu lange ist das Militär vernachlässigt worden, zu lang die Liste an mangelhaftem Material.
Inzwischen ist das Sondervermögen laut Bundeswehr "praktisch vollständig" verplant. Verbessert hat sich die Lage Deutschlands nicht. Bis das bestellte Material geliefert ist, werden Jahre vergehen, und der Truppe fehlt das Personal. Noch so ein Problem.
Derweil macht Donald Trump Ernst und kündigt an, nicht mehr für die Verteidigung Europas einzustehen. Ein heftiger Bruch mit der Nachkriegsordnung. Für Deutschland und die EU wird Sicherheit deshalb deutlich teurer.
Deutschland müsste seinen Wehretat um 28 Milliarden Euro pro Jahr (!) aufstocken. Das reicht dann gerade, um auch nach dem Jahr 2028 – dann ist das Sondervermögen verbraucht – das Zwei-Prozent-Ziel der Nato einzuhalten. Doch von Experten heißt es unisono: Das ist maximal noch eine Untergrenze.
Woher dieses Geld kommen soll? Eine Antwort darauf hat derzeit niemand. Nach dem 23. Februar wird die Regierung eine finden müssen – und zwar im Stechschritt.
5. Digitalisierung
Im August 2022 hat die Bundesregierung erstmals eine eigene Digitalstrategie verabschiedet. Darin verpflichteten sich die Ministerien und das Kanzleramt, Deutschland bis zum Ende der Legislatur "spürbar digitaler" zu machen.
Tatsächlich sind einige digitale Angebote eingeführt worden: das Deutschlandticket, das E-Rezept oder die elektronische Patientenakte. Deutschland hinkt in Sachen Digitalisierung im europäischen Vergleich dennoch weit hinterher. Im DESI-Index der Europäischen Kommission liegt die Bundesrepublik auf Platz 13.
Die Verwaltung muss dringend ganzheitlich digitalisiert werden. Dafür gibt es sogar ein eigenes Gesetz – das Onlinezugangsgesetz (OZG). Ziel ist es, 575 Verwaltungsdienstleistungen zu digitalisieren. Doch das ist noch lange nicht erreicht. Als Grund gibt das zuständige Bundesinnenministerium unter anderem die föderalen Strukturen an. Es braucht ein eigenes Digitalministerium, um die Zuständigkeiten zu bündeln. Da sind sich die meisten Parteien inzwischen einig. Im besten Fall mit einem Digitalbudget.
6. Klima
Vor der Bundestagswahl 2021 hat Olaf Scholz auf Plakaten mit der Botschaft: "Kanzler für Klimaschutz" geworben. Das ist aktuell vergessen. In diesem Wahlkampf kommt das Thema Klima kaum vor. Selbst die Grünen werben kaum damit.
Doch wenn der Wahlkampf vorbei ist, muss das Thema zurück auf die Tagesordnung. Denn ob man es hören will oder nicht: Der Klimawandel bedroht die Menschheit in nie gekanntem Ausmaß.
Die Ampel-Regierung hat den Ausbau erneuerbarer Energien deutlich vorangetrieben, Deutschlands Treibhausgas-Ausstoß ist drei Jahre in Folge gesunken. Doch das genügt nicht. Deutschland hat das EU-Klimaziel zuletzt nicht erreicht, im Klimaschutz-Index CCPI ist es 2024 um zwei Ränge auf Platz 16 abgerutscht. Nachholbedarf gibt es vor allem in den Bereichen Verkehr und Gebäude. Da muss die neue Regierung ran, ebenso an klimaschädliche Subventionen wie das Dienstwagenprivileg oder die Steuerbefreiung für Flugbenzin.
Leider wird es auch damit nicht getan sein, schließlich kennen Treibhausgase keine Staatsgrenzen. Die ganz große Aufgabe ist, den Klimaschutz global voranzutreiben. US-Präsident Donald Trump will davon nichts wissen. Zugpferd muss deshalb Europa sein – mit Deutschland vorne dran.
7. Gesundheit
"Wenn jetzt nichts passiert, fährt das System gegen die Wand." Das hat der Chef der Krankenkasse IK, Ralf Hermes, der "Zeit" gesagt. Um noch einen Kronzeugen zu zitieren: Gesundheitsminister Karl Lauterbach warnte im Interview unserer Redaktion vor "erbarmungslos" steigenden Kosten im Gesundheitswesen – wenn nichts passiert.
Die Krankenversicherung ist in Schieflage: Steigende Preise für Arzneimittel oder die bessere Bezahlung des Pflegepersonals treiben Kosten in die Höhe. Der medizinische Fortschritt bedeutet: Immer mehr Krankheiten können behandelt werden, und das kostet Geld. Das deutsche Gesundheitssystem ist extrem teuer – und dabei noch nicht einmal besonders gut. Lange Wartezeiten für Arzttermine sind nur ein Beispiel.
In den vergangenen Jahren haben verschiedene Regierungen am System herumgedoktert. An weiteren Stellschrauben lässt sich drehen. Doch die Politik wird um Strukturreformen nicht herumkommen. Das Ziel muss sein, die Kosten des Gesundheitssystems zu senken. Etwa durch mehr Telemedizin. Lauterbachs Krankenhausreform war ein Anfang. Weitere große Eingriffe müssen folgen.
Verwendete Quellen
- tagesschau.de: "Auf 2,7-Grad-Kurs"
- DESI-Index der Europäischen Kommission
- Bundesdruckerei: Onlinezugangsgesetz 2.0
- "Climate Change Performance Index" von Germanwatch, NewClimate Institute und anderen Forschungseinrichtungen
- Die Zeit vom 30. Dezember 2024: Kassensturz