CDU, CSU und SPD verhandeln seit Sonntag über eine mögliche Große Koalition. Über Inhalte sprechen die Parteien erst einmal hinter verschlossenen Türen, am Donnerstag sollen die Ergebnisse verkündet werden. Klar ist aber, dass Union und SPD vor allem in einem Punkt aufeinander zugehen müssen.

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Abtasten, annähern - und im besten Fall anschließend verhandeln: Sondierungsgespräche stecken erst den Rahmen ab, sie bringen noch keine finale Entscheidung.

Am Sonntag haben diese Gespräche zwischen CDU, CSU und SPD über Bedingungen für die Bildung einer Großen Koalition begonnen. Am 11. Januar sollen sie abgeschlossen sein.

Die wichtigsten Themen bei den Sondierungen

Kanzlerin Angela Merkel betonte vor dem Auftakt der Sondierungen, dass auf eine neue Bundesregierung gewaltige Aufgaben zukommen.

Kritiker hatten ihr sowie SPD und CSU in der Vergangenheit wiederholt mangelnden Reformwillen vorgehalten.

Größte Streitpunkte sind die Migrations- und Flüchtlingspolitik sowie eine von der SPD geforderte einheitliche gesetzliche Bürgerversicherung für das Gesundheitswesen.

Probleme dürfte es außerdem bei dem Thema Steuern, Investitionen und Europa geben.

Streitpunkt Europapolitik

SPD-Chef Martin Schulz hat noch vor den Sondierungen mit dem Vorschlag überrascht, bis 2025 die Vereinigten Staaten von Europa schaffen zu wollen.

Ähnlich äußerte sich nun Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). Demnach muss Europa im Zentrum eines möglichen Koalitionsvertrages von Union und SPD stehen.

Gabriel sagte in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin", die große Koalition habe 2013 den Fehler gemacht, dass sie sich mehr auf die Innenpolitik konzentriert habe und zu wenig auf Europa.

Es werde endlich Zeit, dass Deutschland eine Antwort auf die Reformvorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gebe.

Dies könnte ein Knackpunkt in den Sondierungen werden. Das Thema soll am Montag auf der Agenda stehen.

Politikforscher Dr. Werner J. Patzelt zufolge wird die Union auf diese Forderung nicht eingehen.

"Die Vorstellung, dass Deutschland sich an die Spitze eines Prozesses setzt, an dessen Ende möglichst rasch die 'Vereinigten Staaten von Europa' stehen, während man Staaten, die nicht mitmachen wollen, einfach aus dem Bundesstaat wirft, werden sich CDU und CSU gewiss nicht zu eigen machen."

Einigung bei Steuern in Sicht

Auch hier liegen die Positionen weit auseinander. Die Sozialdemokraten wollen den Spitzensteuersatz anheben. Statt maximal 42 sollen künftig 45 Prozent gelten, die ab 76.200 Euro zu versteuerndem Einkommen fällig würden.

CDU und CSU wollen den Spitzensteuersatz dagegen statt bisher ab 54.000 Euro erst ab 60.000 Euro erheben. Das waren die Pläne vor der Bundestagswahl 2017.

"Hier dürften CDU/CSU nachgeben. Eine neue Große Koalition wird mit Sicherheit viele sozialpolitische Maßnahmen, zum Beispiel den Wohnungsbau, in den Koalitionsvertrag schreiben", meint Patzelt im Gespräch mit unserer Redaktion. "Deswegen wird der Finanzbedarf trotz sprudelnder Steuereinnahmen weiter steigen."

Die SPD müsste dagegen wohl auf eine Erbschafts- und Vermögenssteuer verzichten, sagt der Politikexperte.

Diskussion um Finanzspielraum

Bereits am Sonntag wurde über den möglichen finanziellen Rahmen für eine neue Koalition diskutiert. Dieser soll offenbar bei 45 Milliarden Euro liegen.

Bereits im Wahlkampf hatte vor allem die SPD neben Investitionen in den Sozialbereich auch viel Geld für Bildung versprochen.

Hier scheint eine Einigung prinzipiell möglich, denn auch die Union will Deutschland modernisieren.

So sagte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) nach der ersten Sondierungsrunde, Deutschland brauche eine "Innovationskoalition", die einen Schwerpunkt bei Bildung und Forschung setze.

Gleichzeitig sagte er aber auch: "Mir gefällt die Grundtonalität, die derzeit herrscht, nicht so sehr. Wir reden sehr viel über Geld-Ausgeben."

CDU-Fraktionschef Volker Kauder bezeichnete die Äußerungen hingegen als nicht berechtigt.

Auch die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner sagte: "Wir wissen um die begrenzten Finanzspielräume und sind guter Dinge."

Wohl keine Bürgerversicherung, aber ...

Deutlich weiter liegen Union und SPD beim Thema Gesundheit auseinander.

Den Sozialdemokraten schwebt eine sogenannte Bürgerversicherung vor, in die Angestellte, Beamte und Selbständige gleichermaßen einzahlen sollen.

Patzelt hält das für unwahrscheinlich. "Die Union wird hier wohl ebenso hart sein wie bei der Migrationsfrage. Nach Ansicht der Union würde eine Bürgerversicherung nicht die medizinische Versorgung verbessern, sondern zu höheren Kosten bei Versorgungsengpässen führen", erklärt der Universitätsprofessor.

Was allerdings möglich scheint: Die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Denn die gute Arbeitsmarktlage bringt den Sozialkassen Rekordeinnahmen, so dass die aktuell einseitig von den Arbeitnehmern getragenen Zusatzbeiträge zur Krankenversicherung fallen könnten.

Offener Streit in der Migrationspolitik

Das Zünglein an der Waage könnte die Migrationspolitik werden. Patzelt hält es für möglich, dass an dieser Frage die Bildung einer Koalition scheitert.

Denn die Union will die Flüchtlingsaufnahme generell auf 200.000 Menschen pro Jahr begrenzen, die SPD lehnt dies ab.

"Die CDU hat sich inzwischen mit der CSU auf eine Obergrenze geeinigt, freilich unter einem anderen Namen. Davon abzurücken, würde von der CSU im Jahr der für sie entscheidenden Landtagswahl in Bayern schlicht als Verrat ihrer Schwesterpartei aufgefasst werden", erklärt er das Dilemma der Union.

Die CSU hat bei ihrer Winterklausur zudem gerade erst eine Reihe von asylpolitischen Forderungen beschlossen, die der SPD nicht gefallen dürften: etwa Leistungskürzungen für Asylbewerber oder die verstärkte Rückführung, auch in Länder wie den Irak.

Ein weiteres Streitthema ist der Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus. Dieser ist derzeit ausgesetzt. Die SPD will ihn wieder ermöglichen.

Politikforscher Patzelt glaubt, dass am Ende die Parteichefs in einer Spitzenrunde dieses Kernstreitpunkt-Thema lösen müssen - oder es zu keiner Koalition kommt.

Prof. Dr. Werner J. Patzelt ist Gründungsprofessor des Dresdner Instituts für Politikwissenschaft und hat die Professur für Politische Systeme und Systemvergleich seit 1991 inne. Schwerpunkte seiner Lehr- und Forschungstätigkeit sind unter anderem die vergleichende Analyse politischer Systeme, die Parlamentarismusforschung und die politische Kommunikation.
Mit Material der dpa
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