- Herne, Gelsenkirchen, Duisburg – vor allem Wahlkreise in den großen Ruhrgebietsstädten galten lange als Festung der SPD. So auch der Bochumer Wahlkreis des Bundestagsabgeordneten Axel Schäfer.
- Doch so sicher, wie noch vor wenigen Jahren, kann er sich seines Sieges längst nicht mehr sein: Holte er bei der Bundestagswahl 2002 noch 57 Prozent der Erststimmen seines Wahlkreises, kam der Politiker zuletzt nur noch auf 37 Prozent.
- Im Interview verrät er, wie er seinen Wahlkreis verteidigen will.
Herr Schäfer, Sie sind Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Bochum I. Die Zeit der Traumergebnisse von 64 Prozent der Erststimmen, wie sie Ihr Parteikollege Karl Liedtke 1972 einfuhr, sind vorbei. Trotzdem ist der Wahlkreis seit 1961 fest in der Hand der SPD, Sie allein haben fünf Mal hintereinander ein Direktmandat geholt. Bei der letzten Bundestagswahl konnte die CDU den Abstand aber deutlich verkürzen. Wackelt der Wahlkreis diesmal?
Axel Schäfer: Es gibt immer nur relative Sicherheiten. Ich mache meinen Wahlkampf auf der Basis von 37 Prozent genauso, wie ich es auf der Basis von 57 Prozent getan habe. Ich liege in den Umfragen immer noch vorn, bei den Wahlkreiskarten ist Bochum I noch in meiner Farbe. Aber zugegeben: Die Ausgangslage ist die schwierigste, die wir seit 1949 je hatten.
Sie müssen Ihren Wahlkreis trotzdem deutlich stärker verteidigen als zuvor, der politische Gegner sieht ihn auf der Kippe. Was sind die Gründe dafür, dass die Hochburg angefangen hat zu bröckeln?
Es gibt mehrere Gründe: Zum einen haben wir einen gesellschaftlichen Wandel erlebt, bei dem Deutschland in vielen Belangen sozialdemokratischer geworden ist – von Frauengleichstellung über Anti-Diskriminierung bis Chancengleichheit. Die SPD hat hier in den letzten Jahren viel gestaltet, trotzdem wählen viele Menschen unsere Partei nicht mehr, weil sie glauben, dass soziale Gerechtigkeit nicht mehr unser Alleinstellungsmerkmal ist und sie die auch bei anderen Parteien finden. Die SPD schöpft ihr Potential an Führungskräften nicht aus – wir haben nicht genügend charismatische Männer und Frauen an der Spitze, die die SPD vertreten, obwohl wir sie als Mitglieder haben.
Axel Schäfer: "Mit charismatischen Sozialdemokraten geht etwas"
Also wäre ein Wechsel des Führungspersonals nötig?
Ein Blick auf die internationale progressive Allianz, in der sozialdemokratische Parteien aller Länder zusammengeschlossen sind, zeigt immerhin: In den USA hat der Demokrat
Gibt es klassische SPD-Hochburgen denn überhaupt noch, oder steht jede auf der Kippe?
Doch, es gibt sie trotzdem noch. Ich halte meinen Nachbarwahlkreis Bochum II-Herne für keine andere Partei gewinnbar als für die SPD. Aber der Wahlkreis in Essen-Süd ist 2013 zum Beispiel erstmals nach langer Zeit in CDU-Hände gefallen.
In Mannheim fiel bei der Landtagswahl zuletzt die einstige SPD-Bastion an die AfD. Welche Partei sehen Sie als Ihren Hauptkonkurrenten?
Auf Grundlage der Bundestagswahlergebnisse ist mein Hauptkonkurrent der CDU-Kandidat. Wenn man auf die Kommunalwahlergebnisse blickt, ist es der Grünen-Kandidat. Ich nehme aber alle Konkurrenten und Konkurrentinnen gleichermaßen ernst. Ich beziehe mich auf SPD-Politik und definiere mich nicht über die Abgrenzung zu anderen.
Auch wenn Sie siegessicher sind: Wie wollen Sie Ihren Wahlkreis im September verteidigen?
Es gibt eine Strategie. Es wird der quantitativ aktivste Wahlkampf aller Zeiten werden! Die heiße Phase des Wahlkampfs beginnt traditionell etwa sechs Wochen vor der Wahl – dann bekommen die Menschen ihre Wahlbenachrichtigung, Plakate hängen und der Wahlkampf ist für alle sichtbar. Ich werde aber bereits vier Wochen vorher jeden Tag Termine machen. Es sind bereits jetzt 40 Gespräche und Besuche in großen und kleinen Firmen, bei Vereinen, Gewerkschaften oder Kulturdienstleistern geplant. Ich mache auch wie jedes Jahr ein fünftägiges Betriebspraktikum und arbeite in einem Unternehmen mit. In der Vergangenheit war ich schon beim Olympia-Stützpunkt, bei der Straßenreinigung, bei Sozialverbänden, im Stahlwerk, im Krankenhaus und einst im Opel-Werk.
Wieso haben Sie sich entschieden, den Wahlkampf quantitativ so hochzufahren?
Die Umfrageergebnisse machen deutlich, dass die Ausgangslage bei der diesjährigen Wahl für uns sehr schwierig ist. Ich möchte qualitativ und quantitativ überzeugen. Das heißt für mich, jeden Tag präsent und ansprechbar für Bürgerinnen und Bürger zu sein. Das gilt zwar bereits generell, aber in den letzten zehn Wochen vor der Wahl noch einmal mehr.
Schäfer: "Umfrageergebnisse auf Bundesebene kommen auch in Bochum an"
Spiegeln Ihnen die Wählerinnen und Wähler in solchen Gesprächen zurück, dass sie einen Kanzler Olaf Scholz für unwahrscheinlich halten?
Die Diskussionen, die jetzt geführt werden, drehen sich kaum um Wahlchancen. Es geht um reale Probleme des Lebens: Fühlt man sich in seiner Stadt wohl? Wie gehen wir mit den Corona-Folgen um? Was wird zur Behebung der Schäden der Flutkatastrophe getan? Aber natürlich kommen auch die Umfrageergebnisse auf Bundesebene in Bochum an. Die SPD-Wähler und -Mitglieder sehen im Bund deutlich mehr Probleme als vor Ort. Als Direktkandidat der SPD bin ich natürlich in erster Linie Sozialdemokrat, aber ein Direktmandat zu gewinnen ist immer auch eine Persönlichkeitsfrage.
Wird Ihr Wahlkampfstil aggressiver werden?
Nein, meinen Wahlkampfstil behalte ich bei. Ich werde allerdings vermehrt in den sozialen Medien aktiv sein. Und ich werde öfter darüber reden, ob das, was die SPD macht, überhaupt noch wahrgenommen wird. Unser subjektives Problem ist, dass wenig über das, was die SPD macht, berichtet wird. In welcher Form so etwas geschieht oder wie SPD-Politik kommentiert wird, ist selbstverständlich Sache der Medien, aber die Hälfte dessen, was die SPD durchgesetzt hat, wird einfach verschwiegen. In der Berichterstattung heißt es oft, die Regierung habe etwas gemacht. Die politische Wahrnehmung sieht dann häufig so aus: Regierungshandeln gleich Kanzlerhandeln gleich Merkel gleich CDU. Das hat der SPD geschadet. Wir haben nicht ernten können, was wir gesät haben.
Schäfer: "Wählerinnen und Wähler fragen nach dem Alleinstellungsmerkmal der SPD"
Wozu führt das?
Das führt dazu, dass sich viele Wählerinnen und Wähler fragen: Was ist noch das Alleinstellungsmerkmal der SPD? Und vielleicht denken: Es wäre auch ohne die SPD gegangen. In vielen historischen Situationen ist das aber nicht der Fall gewesen! Dass die Sozialdemokratin Elisabeth Selbert den Satz im Grundgesetz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" verankert, dass die SPD maßgeblich vorangetrieben hat, dass Frauenfußball seit 1970 nicht mehr verboten ist oder Frauen auch ohne die Erlaubnis ihres Mannes einen Beruf ergreifen dürfen, fällt zu oft unter den Tisch.
Hat die SPD das vielleicht auch selbst zu wenig kommuniziert?
Ich sehe das aktuell bei einem bemerkenswerten Fakt: In den 299 Wahlkreisen in Deutschland treten für uns in etwa der Hälfte der Wahlkreise neue Direktkandidaten und -kandidatinnen an. Nur drei Prozent der Kandidatinnen und Kandidaten sind älter als 60 Jahre – ich bin einer der wenigen davon – und das, obwohl 30 Prozent unserer Wählerinnen und Wähler dieser Altersgruppe angehören. Da passiert aktuell ein großer Umbruch und Generationswandel, aber er ist sanft und wenig konfliktreich und fällt deshalb nicht auf. Vielleicht haben wir das aber auch zu wenig kommuniziert.
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