Eine Polit-Talkshow direkt nach einer Bundestagswahl ist in der Regel wie eine Feier, an der alle Geburtstag haben: Jede Partei fühlt sich als Sieger, verloren haben immer die anderen. Dass es gestern Abend bei "Anne Will" nicht so war, lag natürlich am Wahlergebnis, aber auch an einer angriffslustigen Anne Will.
Die Ausgangslage:
Bei der gestrigen Bundestagswahl erlitten sowohl CDU/CSU als auch die SPD deutliche Verluste. Die Grünen gewannen entgegen vorheriger Unkenrufe hinzu, ebenso wie die Linke. Die FDP verdoppelte ihre Stimmen und zieht wieder in den Bundestag ein. Die AfD wurde drittstärkste Kraft.
Wer war eingeladen?
Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern.Ursula von der Leyen (CDU), Ministerin der Verteidigung.Alexander Gauland (AfD), Spitzenkandidat und stellvertretender Bundessprecher.Cem Özdemir (B'90/Die Grünen), Spitzenkandidat und Bundesvorsitzender der Grünen.Wolfgang Kubicki (FDP), stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP.- Hans-Ulrich Jörges, "Stern"-Kolumnist
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Worum ging es bei "Anne Will"
Der Schock bei den Volksparteien über ihre Verluste saß gestern Abend tief, das konnte man vor allem bei Manuela Schwesig spüren. Zwar nicht über eigene Verluste, wohl aber über den Einzug der AfD zeigte sich Cem Özdemir schockiert, genauso wie Hans-Ulrich Jörges.
Es war diese enttäuschte Stimmung, die den gestrigen Abend zu einem sehr offenen und ehrlichen machte. Das war für einen Wahlabend ebenso ungewöhnlich wie spannend. Inhaltlich ging es vor allem um zwei Themen:
1. Die Rolle der Opposition:
Die SPD hatte direkt nach dem Bekanntwerden der Ergebnisse gesagt, dass sie in die Opposition gehen werde. Darauf angesprochen, erklärte Manuela Schwesig die Gründe: "Wir haben das nicht im Schnellschuss überlegt. Wir sind bei der letzten Wahl mit 25 Prozent gewählt worden und sind in die große Koalition gegangen. Wir haben die Dinge so gemacht, wie wir sie vorhatten und sind jetzt bei 20 Prozent.
Das ist nicht das Signal an die SPD: Macht so weiter!", erklärt Schwesig und ergänzt: "Opposition ist auch Verantwortung."
Das sieht Cem Özdemir zwar genauso, hält die Entscheidung der SPD, gar keine Koalitionsgespräche zu führen, aber für falsch.
Wolfgang Kubicki hält die SPD in diesem Punkt sogar für verantwortungslos: "Sie sagen, wir verabschieden uns und ihr müsst es jetzt machen – ob ihr könnt oder nicht, spielt gar keine Rolle.
Die staatspolitische Verantwortung kommt zu uns", argumentiert Kubicki, woraufhin Schwesig spitz kontert: "Denken Sie denn, dass Sie es nicht können, Herr Kubicki?"
2. Die Rolle der AfD:
Dass die AfD nun im Bundestag sitzt, sehen alle anderen Parteien und auch Jörges mit großer Sorge. Besonders deren Konzeptlosigkeit bei vielen Problemen wurde kritisiert: "Genau diese Ankündigungen, dass man auf den wichtigen Feldern der Zukunft keine Antworten hat, aber dann polarisiert und das Land spaltet – das ist genau die Masche, die wir bei Trump und vor dem Brexit erlebt haben und nun ist es an uns allen, deutlich zu machen: Sie haben keine Antworten," geht Ursula von der Leyen Alexander Gauland an.
Wolfgang Kubicki sieht den Einzug der AfD gelassener: "Ich hab' die AfD bei mir ja auch im Parlament. Zu allen wichtigen Fragen machen sie von ihrem Rederecht keinen Gebrauch. Es geht immer nur um Integration, Ausländer, Flüchtlinge und Sorgen.
Wir haben keine Furcht vor der AfD. Wir setzen uns mit denen auseinander, dann werden wir schon sehen, was davon übrig bleibt bei der nächsten Wahl."
Welche Erkenntnisse kann man aus "Anne Will" mitnehmen?
Gestern Abend war schnell klar, dass das keine Wahl war, in der sich wie sonst üblich jede Partei auf ihre Weise als Sieger fühlt.
Statt des sonstigen Nachwahlgetöses gab es klare Erkenntnisse: Die SPD will aus, aus ihrer Sicht, verständlichen Gründen definitiv in die Opposition gehen. Ob das gleichzeitig bedeutet, dass es nun eine sogenannte Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen geben wird, ist naheliegend, sicher ist es aber nicht.
Während die SPD in Gestalt von Manuela Schwesig bereits Fehleranalyse betreibt, hat man nach den gestrigen Worten von Ursula von der Leyen nicht den Eindruck, dass bei der Union bereits ein Aufarbeiten stattgefunden hat.
Immerhin war von der Leyen in ihren Aussagen so klar, dass es für sie ein Hinbewegen der CDU in Richtung AfD nicht geben werde.
Die Runde war sich weitgehend einig, dass ebenjene "Strategie von Seehofer, die AfD zu schonen und ihr nach dem Mund zu reden, grandios gescheitert ist", wie Ulrich Jörges es formulierte.
AfD-Wählern ging es nicht darum, dass die AfD bessere Konzepte hätte, sondern dass sie von der bisherigen Politik enttäuscht waren. Die gestrige Wahl war demnach die viel zitierte "Denkzettel-Wahl". Unverständlich ist trotzdem, warum man, um einen Denkzettel für was auch immer zu verpassen, die AfD wählen muss.
Umso unverständlicher, weil sich auch die AfD selbst gar nicht in der Rolle sieht, Deutschland durch eine konstruktive Politik voranzubringen, wie Alexander Gauland gestern Abend bestätigte: "Das ist im Moment nicht unsere Aufgabe."
Wie schlug sich Anne Will?
Gut. Will zeigte sich wie immer scharf in ihren Analysen, aber diesmal sah man sie auch scharfzüngig. Egal, wen sie bei ihren Fragen im Schwitzkasten hatte, er oder sie kam mit ihren Antworten nicht so einfach davon. Eines von vielen Beispielen war Alexander Gauland.
Der sah sich bei der einfachen Frage, was er denn mit seiner Aussage, die AfD werde "Merkel jagen" gemeint habe, von Anne Will benachteiligt: "Die Behandlung, die sie uns alle immer angedeihen lassen, bringen unsere Zahlen immer wieder nach oben."
Doch Anne Will ließ sich von Gaulands Opfer-Inszenierung nicht in die Irre führen und konterte souverän: "Der alte Trick, Herr Gauland, Sie stellen sich als verfolgte Unschuld dar, aber ich falle nicht drauf rein."
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