Der EU könnte aktuellen Umfragen zufolge ein Rechtsruck bei den Europawahlen 2024 drohen. Vor allem progressive Kräfte müssen nach heutigem Stand bangen.
Massive Zuwächse bei Rechten und Nationalkonservativen, Verluste bei den Grünen: Gut fünf Monate vor der Europawahl im Juni prognostizieren Meinungsumfragen einen deutlichen Rechtsruck bei dem Urnengang.
Die Fraktion "Identität und Demokratie", der auch die AfD angehört, könnte Hochrechnungen zufolge die viertstärkste Fraktion werden. Die Machtverhältnisse im Europaparlament könnten sich damit verschieben, progressive Fraktionen fürchten um ihre Mehrheit.
Größte Fraktion dürfte die konservative Europäische Volkspartei bleiben, in der auch die Abgeordneten von CDU und CSU sitzen. Bislang ist jedoch eine Mehrheit aus Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken möglich. Eine solche Mehrheit setzte sich unter anderem beim geplanten EU-Lieferkettengesetz und mehreren Vorhaben aus dem Klimapaket Green Deal durch.
Progressive befürchten Verschiebung der Machtverhältnisse
In den Verhandlungen mit den Mitgliedsländern drängte das Parlament in der Folge etwa auf strengere Auflagen für Landwirte oder Unternehmen - teils heftig kritisiert von Abgeordneten der Union. "Es kommt sehr wohl darauf an, wie dieses Parlament zusammengesetzt ist", erklärte der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Daniel Caspary, mit Blick auf die Wahl. Das Parlament dürfe nicht als Institution mit einer einheitlichen Meinung wahrgenommen werden, sagte Caspary der Nachrichtenagentur AFP.
SPD, Grüne und Linke befürchten, die Konservativen könnten nach der Wahl mit den Stimmen rechter Fraktionen unter anderem neue Klimagesetze blockieren oder Entscheidungen aus dem Green Deal zurückdrehen. Erklärtes Ziel sei es, "weiter eine progressive Mehrheit bilden zu können", betonte die SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley. Falle diese Mehrheit, ändere das die Verhältnisse in nahezu allen Debatten im Europaparlament, erklärte auch die Spitzenkandidatin der deutschen Grünen, Terry Reintke.
Grünen drohen Verluste
Für die rechte Fraktion ID hatte die Plattform Europe Elects, die Meinungsumfragen aus den 27 EU-Ländern hochrechnet, Ende November deutliche Zuwächse prognostiziert. Sie könnte demnach viertstärkste Fraktion nach Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen werden. Auf fast ebenso viele Sitze könnte die Fraktion "Europäische Konservative und Reformer" kommen, in der unter anderem Abgeordnete der nationalkonservativen PiS-Partei aus Polen sitzen.
Ein solches Ergebnis wäre "ein katastrophales Signal", erklärte Grünen-Politikerin Reintke. Bei den Grünen werden europaweit den Umfragen zufolge Verluste erwartet, sie hatten bei der letzten Wahl 2019 vor allem mit Stimmen aus Deutschland und Frankreich ein Rekordergebnis eingefahren.
Ziel der Grünen sei es, Abgeordnete aus mehr Mitgliedsländern zu gewinnen, sagte Reintke. "Wenn wir in Teilen Europas gar nicht vertreten sind, ist es viel schwieriger zu sagen, wir sind eine der vier großen pro-europäischen Kräfte."
Zweite Amtszeit für Kommissionspräsidentin von der Leyen?
Die großen europäischen Parteien haben sich verpflichtet, europaweite Spitzenkandidaten für den Spitzenposten in der EU-Kommission aufzustellen. "Wir haben ein großes Interesse daran, dass Ursula von der Leyen Kommissionspräsidentin bleibt", erklärte Daniel Caspary.
Offiziell ist bislang nicht bestätigt, dass von der Leyen eine zweite Amtszeit anstrebt. Die Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien sollen jeweils bei Europa-Parteitagen in den kommenden Monaten nominiert werden.
Gewählt wird zum Großteil über nationale Listen, mit dem sogenannten Spitzenkandidaten-Prinzip soll für Wählerinnen und Wähler jedoch klarer werden, für wen sie ihre Stimme abgeben. Laut einer Dezember-Umfrage des Parlaments wollen derzeit rund 68 Prozent der Menschen in der EU zur Wahl gehen. Meist ist die Wahlbeteiligung am Ende bei der Europawahl jedoch niedrig - 2019 lag sie bei rund 51 Prozent. (afp/thp)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.