Bei der Europawahl am 26. Mai will Manfred Weber (CSU) der mächtigste Mann der Europäischen Union werden. Doch vom Bekanntheitsgrad anderer Spitzenpolitiker kann der 46-Jährige nur träumen. Im Interview erklärt Weber, wie er die Bürger trotzdem für Europapolitik begeistern will, warum er auf mehr statt weniger europäische Zusammenarbeit drängt und wie er, der aus einer niederbayerischen 1.000-Seelen-Gemeinde stammt, zum EU-Fan wurde.
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Ich erlebe, dass das Interesse an der Europapolitik zuletzt gewachsen ist, gegenüber von vor fünf Jahren sogar deutlich. Die Diskussion um den Klimaschutz oder um das Urheberrecht zum Beispiel haben viele Menschen verfolgt und auch der Brexit trägt dazu bei, dass viele plötzlich erkennen: Es ist nicht klug, Europa infrage zu stellen.
Trotzdem haben noch zu viele Bürger das Gefühl, Europa sei zu weit weg. Das will ich ändern, indem ich deutlich mache, dass es die Menschen sind, die entscheiden. Denn sie wählen das Europäische Parlament. Ich trete mit klaren Zusagen an, damit die Menschen wissen, was sie bekommen, sollte ich Kommissionspräsident werden.
Sofern es klappt: Welches Thema werden Sie mit dem größten Nachdruck vorantreiben?
Erlauben Sie mir, drei Punkte zu nennen. Zunächst: wirtschaftliche Stabilität. Wir brauchen Wettbewerbsfähigkeit, Forschung und Innovation, müssen dafür sorgen, dass wir in der Digitalisierung nicht den Anschluss verlieren. Für die Wähler hierzulande mag wirtschaftliche Stabilität derzeit nicht vorrangig sein, weil es Deutschland gut geht. Aber auch hier trüben sich die Aussichten ein. Und in vielen anderen europäischen Ländern ist dies das zentrale Thema.
Der zweite Punkt ist die Migrationsfrage. Egal, wo in Europa ich unterwegs bin, fragen mich die Menschen: "Habt Ihr unter Kontrolle, was an den Außengrenzen passiert?" Ich möchte zusagen können, dass der Staat kontrolliert, wer hereinkommt, nicht die Schlepperbanden. Gleichzeitig müssen wir Syrien und Afrika gegenüber mehr tun.
Zum Dritten denke ich, dass wir eine Diskussion darüber brauchen, wo die Grenzen Europas sind. Das gilt für den Bürokratieabbau, ich möchte tausend überflüssige Gesetze streichen. Und: Die Türkei kann nicht Mitglied der EU werden. Wir sollten die Beitrittsgespräche beenden.
Wo Sie gerade auf die Außenpolitik zu sprechen kommen: Für Frust über die EU sorgt häufig deren mangelnde Schlagkraft. Die rührt aus der Pflicht, Beschlüsse in gewissen Bereichen einstimmig zu fassen. Sie plädieren für Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik. Lässt sich das durchsetzen?
Der Weg wird schwierig, keine Frage. Keiner gibt gerne Einfluss ab. Dennoch sehe ich gute Chancen, dass wir uns auf Mehrheitsentscheidungen in außenpolitischen Fragen einigen. Denn alle Staaten, sogar die großen wie Deutschland und Frankreich, spüren, dass wir als einzelne Länder in der Welt von heute nur noch bedingt Einfluss haben.
Man sollte sich da nichts vormachen: Wenn Europa es nicht schafft, sein ganzes Gewicht in die Waagschale zu werfen, dann werden wir unsere Werte nicht verteidigen können und international keine Rolle mehr spielen.
Ein anderer häufig gehörter Kritikpunkt lautet, die EU sei elitär und intransparent. Anfang des Jahres hat Ihre Fraktion dafür gesorgt, dass eine Abstimmung über strengere Regeln für Lobbyisten als geheime Abstimmung stattfand. Wie erklären Sie das?
Ich war nicht glücklich damit, dass die Abstimmung geheim stattfand. Für mich ist die Devise möglichst viel Transparenz. Dafür werde ich als möglicher Kommissionspräsident eintreten. Jeder, der in Brüssel als Lobbyist tätig ist, muss offenlegen, wer ihn finanziert und wessen Interessen er vertritt.
Für Verdrossenheit sorgt auch das Gefühl, dass Regelbrüche keine Konsequenzen haben, sei es, wenn Staaten gegen den EU-Stabilitätspakt verstoßen oder den Rechtsstaat aushebeln. Warum hat die EVP Viktor Orbáns Fidesz nicht längst aus der Fraktion geworfen?
Die EU ist eine Rechts- und Wertegemeinschaft. Das Einhalten dieser Regeln ist fundamental. Die EVP hat mit deutlicher Mehrheit für das Rechtsstaatsverfahren im Fall Polen und Ungarn gestimmt - das weitestgehende Instrument, das wir haben, um gegen ein Mitgliedsland vorzugehen. Und wir haben Fidesz vor wenigen Wochen aus der EVP suspendiert, um klarzustellen, dass es so nicht geht.
Man darf aber nicht vergessen, dass viel weitergehende Fragen dahinterstehen. Ich will nicht ganze Länder ausschließen, will keine Mauern bauen, sondern Brücken. Wir müssen im Gespräch bleiben, egal, wie schwer das manchmal ist.
In diesem Zwiespalt stecken jetzt auch die Sozialdemokraten bezüglich Rumänien, wo ein Sozialdemokrat regiert. Ich plädiere in der EU für einen neuen Rechtsstaatsmechanismus, den ich als Kommissionspräsident vorschlagen werde. Wenn es in einem EU-Land Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit gibt, sollten das unabhängige Richter feststellen, nicht Parteipolitiker.
Lassen Sie uns darüber sprechen, wie aus Ihnen ein Parteipolitiker wurde: Sie sind in Wildenberg aufgewachsen, einer niederbayerischen Gemeinde mit knapp 1.400 Einwohnern. Stammen Sie aus einer politischen Familie?
Mein Vater war Gemeinderat. Politik war bei uns zu Hause aber kein überdurchschnittlich großes Thema. Ich habe mich einfach dafür interessiert. In den 80er-Jahren, als ich angefangen habe, politisch zu denken, war Umweltschutz ein großes Thema. Das hat mich bewegt.
Mehr als Politik hat mich - das muss ich dazusagen - als Jugendlicher aber das Musikmachen geprägt. Ich habe Gitarre und Trompete gespielt, war Frontmann in unserer Band.
Aus Ihnen hätte auch ein Rockstar werden können?
Zumindest habe ich mir mit den Auftritten mein Studium finanziert. Es war eine klassische Coverband mit Kumpels aus der Schule, mit denen ich teilweise seit der ersten Klasse befreundet war.
Mit 16 wurden Sie Mitglied der Jungen Union. Ging jeder, der sich damals in Ihrer Heimat politisch engagieren wollte, automatisch zur CSU?
Dass die JU in meiner Gemeinde einen starken Verband hatte, mag eine Rolle gespielt haben. Wenn man sich einbringen will, braucht man Gemeinschaft als Andockpunkt. Aber ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht.
Es mag ungewöhnlich klingen für einen Jugendlichen, aber ich habe mit tatsächlich sämtliche Parteiprogramme mit der Post schicken lassen und die gelesen. An der CSU hat mich überzeugt, dass sie Identität und Tradition mit Modernität zusammenbringt. Und dass sie keine Einthemenpartei ist, sondern auf alle gesellschaftlichen Fragen Antworten hat.
Ihre politische Karriere ging dann steil bergauf. Sie wurden Kreisrat, JU-Vorsitzender in Bayern, Landtagsabgeordneter. Was hat Sie 2004 bewogen, in die Europapolitik zu wechseln?
Als klar wurde, dass das Mandat frei wird, habe ich keinen Moment gezögert, mich zu bewerben. Ich halte die Europapolitik schlicht für die spannendste politische Ebene, denn in Brüssel und Straßburg wird so viel entschieden, das unseren Alltag bestimmt - viel mehr, als viele wahrnehmen.
Gesetzt den Fall, Sie werden Kommissionspräsident: Was wollen Sie anders machen als Amtsinhaber Jean-Claude Juncker und was können Sie von ihm lernen?
Sollte es klappen, wäre ich der erste Kommissionspräsident, der vorher Abgeordneter im Europäischen Parlament war. Als solcher möchte ich raus aus den Hinterzimmern und das Parlament zum zentralen Ort der Debatten machen. Das Plenum muss der Ort sein, wo diskutiert wird und wo Mehrheitsentscheidungen getroffen werden, sprich, wo Demokratie gemacht wird. Es braucht auch einen neuen Stil, der mehr von den Bürgern her denkt.
Von Jean-Claude Juncker lernen kann man, wie wichtig es ist, auf die Menschen zuzugehen und zuzuhören. Die Zeitumstellung ist da ein gutes Beispiel. Er hat das Thema wahrgenommen, in einer Umfrage die Meinung der Bürger eingeholt und ihren Wunsch, die Zeitumstellung abzuschaffen, dann auch ernst genommen.
Was ist Ihr persönlicher Plan B?
Es gibt keinen Plan B. Ich kämpfe für meine Überzeugungen und will gewinnen. Nichts anderes treibt mich im Moment an.
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